Die Klassenkämpfe in den USA und der „Trumpismus“

Zur jüngsten ökonomischen und politischen Entwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika

Anlässlich der heutigen US-Präsidentschaftswahlen veröffentlicht PlotPoint im Folgenden einen ausführlichen Text, in dem das Phänomen des „Trumpismus“ in die US-amerikanische Entwicklung der letzten Dekaden eingeordnet wird. Der Text beansprucht zu zeigen, dass die sich in diesem Phänomen manifestierenden strukturellen Probleme der bürgerlichen Gesellschaft in den Vereinigten Staaten von Amerika aus langfristigen ökonomischen Entwicklungstendenzen und Trends der Produktion und Akkumulation des Kapitals entspringen. Er gibt, auf der Grundlage der von Marx und Engels wissenschaftlich erarbeiteten Kritik der politischen Ökonomie und ihrer materialistischen Geschichtsauffassung, einen Überblick über diese Tendenzen und die ihnen entsprechende Wirtschaftspolitik in den USA. Dabei kritisiert er den Mythos von der „weißen Arbeiterklasse“ als entscheidender Klassenbasis des „Trumpismus“ sowie die in der Linken verbreitete Auffassung, dass es sich bei diesem Phänomen um einen „Bonapartismus“ oder sogar um eine Form des „Faschismus“ handle. In einem abschließenden Abschnitt werden dann mögliche Szenarien für den Ausgang und den Nachgang der Wahl skizziert.

1. Einleitung

Donald Trump wurde am 20. Januar 2017 unter dem Motto „uniquely American“ zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt, nachdem er am 8. November des vorherigen Jahres entgegen demoskopischer Prognosen und Erwartungen politischer Experten die Wahl gegen seine demokratische Konkurrentin Hillary Clinton gewonnen hatte. Nach diesem Wahlsieg mussten dieselben Experten die tollsten Verrenkungen anstellen, um zu „erklären“, warum das, was sie für unmöglich gehalten hatten, schließlich doch passiert war. Schenkt man ihren Erklärungen Glauben, dann ist spätestens mit Trumps Wahlsieg in der entwickeltsten kapitalistischen Nation der sich weltweit im Auftrieb befindende „Populismus“ an die Macht gekommen. Trump und die nach ihm als „Trumpismus“ bezeichnete spezifische Spielart des „Populismus“ werden dabei zumeist fälschlicherweise nicht als ein bloßes Symptom, sondern als Ursache einer tiefgreifenden Krise der US-amerikanischen Gesellschaft verstanden. Tatsächlich hat der „Trumpismus“ diese Krise jedoch nicht verursacht, sondern nur katalysiert. Er ist auch kein Ausdruck einer Geschichte, die bereits als Tragödie stattgefunden hat und sich nun als Farce wiederholt: Trump ist kein Bonaparte und erst recht nicht Hitler in neuem Gewand, zu dem ihn Teile der Linken deklariert haben. Das Phänomen des „Populismus“ kann auch nicht, wie es in Bezug auf Trump häufig versucht wird, aus persönlichen Eigenschaften politischer Charaktermasken erklärt werden. Ansonsten psychologisiert man die wirtschaftlichen und politischen Grundlagen dieses Phänomens. Schließlich ist der „Populismus“, über den spätestens seit der Wahl Trumps zum Präsidenten im Rahmen der herrschenden Meinungsbildung allerorten diskutiert wird, zwar nur symptomatischer Ausdruck struktureller Probleme, aber nicht nur solcher der kapitalistischen Produktionsweise in den USA, sondern aller historisch entwickelten Gemeinwesen, in denen diese Produktionsweise herrscht.

Die sich in dem Aufstieg des „Trumpismus“ manifestierenden strukturellen Probleme der bürgerlichen Gesellschaft in den Vereinigten Staaten von Amerika entspringen vielmehr, so beansprucht der vorliegende Text zu zeigen, langfristigen ökonomischen Entwicklungstendenzen und Trends der Produktion und Akkumulation des Kapitals. Mit ihnen setzen sich zunehmend bestimmte Zentrifugalkräfte durch, die der gemeinhin als „Globalisierung“ bezeichneten internationalen Verflechtungen kapitalistischer Reproduktionsprozesse entgegenwirken. Die zunehmende Durchsetzung dieser Kräfte in den entwickelten kapitalistischen Ländern drückt sich nicht nur in einer verstärkten Hinwendung zu neomerkantilistischer Wirtschaftspolitik und nationalistischen Weltanschauungen aus, sondern auch in einer zunehmenden Desintegration von wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen, die gegenüber dem auf einem gesellschaftlichen Gesamtkapital beruhenden Nationalstaat einen höheren Vergesellschaftungsgrad aufweisen.[1]

Wie der folgende Text darzustellen versucht, droht die forcierte Durchsetzung gegen die „Globalisierung“ gerichteter Tendenzen eine Desintegration der bestehenden unilpolaren Weltordnung unter der Führung der Vereinigten Staaten nach sich zu ziehen. Damit einhergehend kommt es immer mehr zu einer geopolitischen Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen den bestehenden globalen Hegemonialmächten. Diese Verschiebung, so zeichnet es sich zumindest vorerst ab, findet auf Kosten des globalen Blocks der privatkapitalistischen Länder mit einem entsprechend liberal-demokratischen Überbau zugunsten eines geopolitischen Lagers der weltweiten Konterrevolution statt, das ökonomisch von China und militärisch von Russland angeführt wird. Sie spiegelt sich innerhalb des Lagers der auf einer privatkapitalistischen Produktionsweise beruhenden Länder der „westlichen“ Hemisphäre darin wieder, dass es zu einer politischen Verschiebung zugunsten bestimmter Fraktionen der jeweiligen nationalen Bourgeoisien und ihrer politischen Vertreter kommt, welche den gegen die „Globalisierung“ wirkenden Umständen zum Durchbruch verhelfen möchten. Dabei verfolgen diese entweder eine neurechtes bis neofaschistisches politisches Programm, was gemeinhin fälschlicherweise als politischer „Rechtsruck“ bezeichnet wird, oder aber die Agenda einer neuen herrschenden Klasse im Wartestand und der von ihr repräsentierten bourgeoissozialistischen Linken, die gegenüber der privatkapitalistischen Produktionsweise auf die Etablierung einer staatskapitalistischen Reproduktionstotalität unter dem Regime einer bürokratischen Despotie abzielt. Beide politischen Flügel und die dahinter stehenden Fraktionen der Bourgeoisie werden vom Lager der globalen Konterrevolution gezielt gefördert und teilweise auch zum Schein gegeneinander ausgespielt, um die privatkapitalistische Reproduktionstotalität und die ihr entsprechende Staatsform der liberalen Demokratie in den kapitalistischen Zentren des „Westens“ von zwei Seiten politisch in die Zange zu nehmen und nachhaltig zu untergraben.

Die bürgerlichen Ideologen können diese unter unseren Augen vorgehende geschichtliche Bewegung nicht angemessen erfassen, weil ihnen dafür die notwendigen Begriffe und Kategorien fehlen, insbesondere hinsichtlich der ökonomischen Grundlagen dieser Bewegung. Sie müssen sich daher damit begnügen, entweder einzelne Phänomene des epochalen Umbruchs, vor dem wir zu stehen scheinen, in fachwissenschaftlicher Idiotie akribisch bis ins letzte Detail zu zergliedern, bloß um sie beschreiben zu können, oder aber in positivistischer Datensammlungswut bestimmte empirische Fakten, in denen sich die grundlegende historische Entwicklung unserer Zeit ausdrückt, anzuhäufen. Dementsprechend werden von ihnen unter dem äußerst unscharfen Oberbegriff des „Populismus“ disparate, sich vornehmlich in der Sphäre der bürgerlichen Politik ausdrückenden Erscheinungsformen dieser geschichtlichen Bewegung subsumiert, ohne den wesentlichen inneren Zusammenhang dieser Phänomene hinreichend zu erforschen. Daneben versuchen bourgeoissozialistische und faschistische (einschließlich islamfaschistischer) Ideologen, diese Bewegung auf Grundlage der isolierten und verkehrten Erscheinungsformen der ökonomischen Verhältnisse mit den verschiedensten Begriffsapparaten einer falschen Metaphysik zu deuten und ihren politischen Interessen dienstbar zu machen, etwa in dem sie auf den „Neoliberalismus“ und den „Finanzmarktkapitalismus“ zurückgeführt wird. Die „leere Breite“ wird hier also durch die „leere Tiefe“ ergänzt.

Demgegenüber beansprucht der gegebene Text, auf Grundlage des originären wissenschaftlichen Kommunismus, wie er von der „Partei Marx“ entwickelt wurde, die der ökonomischen und politischen Entwicklung der USA zugrundeliegenden Tendenzen herauszuarbeiten. Dafür wird sich insbesondere auf die von Marx geleistete Kritik der politischen Ökonomie sowie die von ihm in Zusammenarbeit mit Engels erarbeitete materialistische Auffassung der Geschichte, die unter anderem in dieser Kritik enthalten ist, gestützt. Nur auf dieser theoretischen Grundlage lässt sich auch eine strategische Orientierung für eine eigenständige Innen- und Außenpolitik des Proletariats in den verschiedenen Ländern formulieren, die als „revolutionäre Realpolitik“ (Luxemburg/ Lukács) nicht die jeweiligen Partikularinteressen einzelner Teile, sondern das Gesamtinteresse dieser Klasse vertritt und über nationalstaatliche Grenzen hinweg auf eine moderne kommunistische Revolution als Endziel der Arbeiterklassen aller Länder zielt. Eine solche Orientierung müssen Kommunisten ihrem eigenen Anspruch nach, als „der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder“, welche „theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung“[2] voraushat, für die USA noch leisten.  Sie kann hier nicht vollständig erarbeitetet, sondern vielmehr sollen vor dem Hintergrund der Betrachtung der wesentlichen ökonomischen und politischen Entwicklungen in der jüngeren Geschichte der Vereinigten Staaten nur ihre theoretischen Voraussetzungen in Grundzügen skizziert werden.

2. Entwicklung des nationalen Gesamtkapitals der USA vor dem Zweiten Weltkrieg

Der Aufstieg des „Trumpismus“ kann nicht unmittelbar aus der sogenannten „Großen Rezession“ von 2007 bis 2009 erklärt werden, die sich im Zuge einer sich zur Weltwirtschaftskrise ausweitenden konjunkturellen Überakkumulationskrise entwickelte. Bereits der zurzeit des Eintritts dieser Krise amtierende Präsident der Vereinigten Staaten Georg W. Bush Junior  begann damit, die Rezession durch den „Economic Stimulus Act“ von 2008 abzumildern.[3] Unter Barack Obama, der das Amt des US-Präsidenten 2009 inmitten Krise übernahm, gelang es, mit dem noch im selben Jahr verabschiedeten Konjunkturprogramm des „American Recovery and Reinvestment Act“ die Folgen der Rezession spürbar abzuschwächen und schließlich eine konjunkturelle Erholung der US-amerikanischen Wirtschaft einzuleiten.[4] Entgegen den pessimistischen Prognosen zahlreicher bürgerlicher und „marxistischer“ bzw. sich auf Marx beziehender Ökonomen[5] kam es infolge dieses Aufschwungs ab 2010 zu einem kontinuierlichen Wachstum des nationalen Gesamtkapitals der USA, das bis zum Jahr 2017 anhielt. Das war die drittlängste Wachstumsperiode in der Geschichte des Landes. Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu Beginn der Präsidentschaft Obamas noch ein Negativwachstum von etwa 2,8 Prozent zu verzeichnen hatte, schwankte es in dieser Wachstumsperiode zwischen 1,6 und 2,6 Prozent. Dieses Wachstum drückte sich auch in einer Abnahme der Arbeitslosigkeit um nahezu die Hälfte aus, von 9,3 Prozent im Jahr 2009 auf 4,7 Prozent im Jahr 2016. Gleichzeitig stieg, vor allem bedingt durch die getroffenen konjunkturpolitischen Maßnahmen, die Staatsverschuldung auf etwa 105 Prozent des gesamten BIP. Dabei erreichte sie 2016 den höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg (vgl. Abb. 1).

Abbildung 1


Die Trump-Administration erbte also von Obama einerseits ein sich im Wachstum befindendes US-Nationalkapital mit sinkender Arbeitslosenquote, andererseits eine exorbitante Staatsverschuldung als Vermächtnis. Trump wurde demnach nicht, wie es gemäß dem mechanischen Materialismus des „marxistischen“ Ökonomismus zu erwarten gewesen wäre, in einer ökonomischen Krise, sondern im Gegenteil in einer Phase des konjunkturellen Aufschwungs zum US-Präsidenten gewählt. Der „Trumpismus“ kann daher nicht als akute politische Reaktion auf konjunkturelle Krise verstanden, sondern muss vor dem Hintergrund langfristiger ökonomischer Tendenzen und Trends erklärt werden. Zentral für diesen Aufstieg war die politische Agenda des „America First“, mit der den USA entsprechend Trumps Wahlkampfslogan „Make America Great Again“ zu einer neuen Größe verholfen werden soll. Der darin implizierte angebliche „Niedergang“ der Vereinigten Staaten bezog sich allerdings nicht auf eine schlechte wirtschaftliche Entwicklung der USA unter Obama. Vielmehr zielte das politische Programm des „Trumpismus“ auf eine Rückkehr zum sogenannten „Goldenen Zeitalter“ der kapitalistischen Produktionsweise in den Vereinigten Staaten, also die langanhaltende Prosperitätsphase der Nachkriegsperiode von 1950 bis 1973.

Die ökonomischen Voraussetzungen für diese Phase einer langfristigen wirtschaftlichen Prosperität reichten bis in die Zwischenkriegszeit zurück. Bereits nach dem ersten Weltkrieg begannen sich ökonomische Tendenzen, die durch den Zweiten Weltkrieg lediglich katalysiert wurden, langfristig Geltung zu verschaffen. Hinsichtlich ihrer natürlichen Bedingungen sind die Vereinigten Staaten seit jeher reich an vielfältigen Ressourcen wie Bodenschätzen und fruchtbaren Böden, wobei auch ihre Lage in einer gemäßigten Klimazone von Vorteil ist. Schon im 19. Jahrhundert fingen US-Regierungen an, diese Ressourcen durch ihre Wirtschaftspolitiken gezielt auszuschöpfen. Durch eine ausreichende Bevölkerungsanzahl und eine relative hohe Bevölkerungsdichte in den städtischen Ballungszentren verfügten die Vereinigten Staaten außerdem über eine ausreichende Menge an individuellen Konsumenten, sodass sich eine binnenwirtschaftliche Orientierung ihres nationalen Gesamtkapitals etablieren konnte. Außerdem besaßen sie eine hinreichend große Menge an Arbeitskräften, die zur industriellen Produktion vernutzt werden und aus der sich, gemäß dem allgemeinen Gesetz der kapitalistischen Akkumulation, eine industrielle Reservearmee als relative Überbevölkerung entwickeln konnte.[6] Diese relative Überbevölkerung diente als Reservoir von Arbeitskräften, die in zyklischen Phasen des Booms der US-Konjunktur von der kapitalistischen Produktion absorbiert und in Krisen wieder aus der aktiven Arbeiterarmee in die industrielle Reservearmee zurückgeworfen werden konnten. Bedingt durch diese günstigen natürlichen und gesellschaftlichen Bedingung wurden die USA nach dem ersten Weltkrieg zum Vorreiter einer spezifischen Form der„großen Industrie“ (Marx), die den Produktionsprozess durch Standardisierung der Massenproduktion, eine fortschreitende Automatisierung des Maschinensystems, die Etablierung der Fließbandproduktion und eine arbeitswissenschaftlich fundierte (sog. „scientific management“) Taktung des Produktionsprozesses sowie eine zugespitzte Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit rationalisierte. Diese Form großindustrieller Produktion wurde unter dem Begriff des nach dem Automobilproduzenten Henry Ford benannten „Fordismus“ (Gramcsi) bekannt. Die dieser Form entsprechenden Produktionsmethoden einer auf die Spitze getriebenen Zerlegung des Arbeitsprozesses in manuelle und geistige Arbeit, welche die Verstümmlung des Arbeiters zu einem monoton-repetitive Teilarbeit verrichtenden Teilindividuum verstärkte, und die Unterwerfung des Arbeiters unter für die Arbeitsabläufe vorgegebene Zeiten wurden nach dem Ingenieur Frederick W. Taylor als „Taylorismus“ bezeichnet.

Mit der „fordistischen“ Form großindustrieller Produktion des Kapitals verwirklichten sich die im kapitalistischen Produktionsprozess angelegten Tendenzen zur Entwicklung der Maschinerie und großen Industrie vollumfänglich. Damit wurde der historische Übergang von der modernen Manufaktur zur großen Industrie, als entwickelster Methode zur Produktion des relativen Mehrwerts durch die Verkürzung der für die Produktion einer Ware gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, vollzogen. Diese Form der Mehrwertproduktion wurde dadurch gegenüber der Produktion des absoluten Mehrwerts durch die Verlängerung der absoluten Arbeitszeit, also des Arbeitstages, in den USA dominierend.[7] Vermittelt über die aufblühenden US-amerikanischen Gewerkschaften, die weitgehend darauf verzichteten, ihre organisierten Kräfte gleichzeitig als einen Hebel „zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems“[8] zu verwenden, wurde zugleich ein sozialpartnerschaftlicher Klassenkompromiss zwischen Arbeit und Kapital geschlossen, während die Arbeitslöhne zur Stimulation der binnenwirtschaftlichen Nachfrage nach individuellen Konsumtionsmitteln gesteigert wurden. Dadurch sollte eine instrumentelle Haltung der Arbeiter gegenüber der industriellen Produktion geschaffen und eine opportune Einstellung gegenüber den „tayloristischen“ Produktionsmethoden erzeugt werden, die zugleich das Kommando der Arbeit über das Kapital verschärften und eine strenge Arbeitsdisziplin erforderten. Die Entwicklung der Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit und damit die Produktivität der industriellen Produktion konnte infolgedessen schließlich soweit gesteigert werden, dass die USA bereits in den 1920er Jahren zum weltweit größten Industrieproduzenten wurden. Unter dem 1921 neugewählten republikanischen Präsidenten Warren G. Harding, der mit dem Wahlkampfslogan „Rückkehr zur Normalität“ (sog. „return to normalcy“) warb, kehrte die USA nach ihrer Intervention in den Ersten Weltkrieg unter dem vorangegangenen demokratischen Präsidenten Woodrow Wilson wieder zu einem außenpolitischen Isolationismus (sog. „Monroe-Doktrin“) zurück. Zugleich entwickelte sie sich unter der Regierung Hardings zur führenden Handelsmacht auf dem Weltmarkt, wodurch sie von einer einstigen Schuldnernation zur größten Gläubigernation avancierte. Die Konjunktur erlebte damit einen zyklischen Aufschwung, was sich in steigenden Aktienkursen ausdrückte.

Einhergehend mit dem Aufstieg der USA zum weltweit größten Industrieproduzenten setzte sich die bestehende Tendenz zur Konzentration und Zentralisation des Kapitals auf höherer Stufenleiter durch. Dadurch kam es zur vermehrten Etablierung von Großkonzernen als neuer Unternehmensform: die zuvor von einzelnen Unternehmen vollzogenen, aufeinanderfolgenden Etappen einer Produktionskette wurden nun unter dem Kommando eines hierarchisch gegliederten Gesamtkonzerns konzentriert, wodurch die Produktion zunehmend systematisch geplant wurde. Auf Basis der Konkurrenz der Einzelkapitale bildeten sich so vermehrt Monopole und Oligopole in führenden Produktionszweigen heraus, die allerdings durch die über die Konkurrenz vermittelte Ausgleichung der Profitraten langfristig wieder relativiert wurden. Zugleich wuchsen die staatlichen Interventionen in die Wirtschaft in einem solchen Ausmaß, dass der Staat nicht mehr nur als „ideeller Gesamtkapitalist“ (Engels) die Rahmenbedingung für die Akkumulation des nationalen Gesamtkapitals der USA garantierte, sondern selbst zum wirtschaftlichen Akteur wurde, indem er durch Verstaatlichungen und Subventionen und politische Regulation der Preise in die Produktion sowie durch eine systematisch betriebene Finanzpolitik in die Zirkulation eingriff. In der Folge nahm nicht nur der staatliche Einfluss auf die Kapitalakkumulation zu, sondern es entstand ein eigenständiger öffentlicher Wirtschaftssektor, mit dem sich eine „mixed economy“ (Mattick), d.h. ein privatkapitalistisch-staatlich gemischtes Wirtschaftssystem als historisch neue Form der kapitalistischen Produktionsweise etablierte.[9] Der damit erzielte Produktivitätsanstieg der nationalen Gesamtarbeit der US-Wirtschaft führte dazu, dass der US-Dollar international zur stärksten Währung wurde, welche schrittweise die zuvor vom britischen Pfund-Sterling ausgeübten Funktionen des Weltgeldes als Leit- und Reservewährung übernahm.

Die einsetzenden „Goldenen Zwanziger“ (sog. „Roaring Twenties“) in den USA führten infolge des gestiegenen allgemeinen Lohnniveaus, das der „fordistischen“ Form der Produktion des industriellen Kapitals und dem mit ihr einhergehenden Klassenkompromiss zwischen Bourgeoisie und Proletariat entsprach, schließlich zu einer steigenden Nachfrage nach individuellen Konsumtionsmitteln. Der Erwerb dieser Mittel resultierte nicht nur in einem relativen Sinken der Ungleichheit der Einkommen, sondern auch der Vermögen und damit allgemein in einem steigenden wirtschaftlichen Wohlstand. Dies führte wiederum zu einer stark steigenden Relevanz und einer Modernisierung zielgruppenspezifischer Werbung durch die Zunahme der ökonomischen Bedeutung der Nachfrage. Die wachsende Möglichkeit zur individuellen Konsumtion und die damit einhergehende steigende Nachfrage führte zu einer Diversifizierung mannigfaltiger Angebote von Waren, die zur Gewinnung eines Vorteils in der verschärften Konkurrenz entsprechend beworben werden mussten, z.B. durch Etablierung von „Marken“ der innerhalb desselben Produktionszweig miteinander konkurrierenden industriellen Einzelkapitale.[10] Die Herausbildung der dieser besonderen geschichtlichen Form der großen Industrie entsprechenden proletarischen Lebensverhältnisse wurde dabei durch die interkulturelle Zusammensetzung der US-amerikanischen Arbeiterklasse, in der sich der kosmopolitische Charakter der Bevölkerung der Vereinigten Staaten als eines kulturellen „melting pots“ ausdrückte, begünstigt. Hinzu kam, dass im Zuge der Etablierung der „fordistischen“ Form der großen Industrie zahlreiche afroamerikanische Arbeiter aus den Südstaaten von der Produktion industriellen Kapitals absorbiert und in die sich im Aufschwung befindenden Industriezentren des Nordens binnenmigrierten. Dadurch avancierte die USA bereits vor dem Zweiten Weltkrieg nicht nur ökonomisch, sondern auch sozio-kulturell zur internationalen Führungsmacht.

Im Zuge des Aufstiegs der USA zur internationalen Handelsmacht in der Zwischenkriegszeit stieg auch die Wall Street in New York zum weltweit wichtigsten Finanzzentrum neben London auf. Am 25. Oktober (sog. „Schwarzer Freitag“) kam es zum Börsencrash in New York: innerhalb weniger Wochen wurden Börsenwerte in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar vernichtet, wodurch Millionen Privatpersonen und tausende Banken zahlungsunfähig wurden. Dieser Crash weitete sich in der Folge zu einer von 1929 bis 1932 andauernden Weltwirtschaftskrise mit außerordentlichem Charakter (sog. „Große Depression“) aus. In den USA begann diese „Große Depression“ im Sommer 1929, wobei sich der Abschwung rapide verschärfte und bis zum Anfang des Jahres 1933 andauerte. Das Bruttosozialprodukt (BSP) schrumpfte allein von 1929 bis 1932 von über 100 Milliarden US-Dollar auf weniger als 60 Milliarden und die Arbeitslosigkeit stieg sprunghaft auf 25 Prozent.[11] Eine Pleitewelle rollte durch das Land, in deren Zuge hunderttausende Farmer und Kleinunternehmer bankrott gingen. Auch die Industrieproduktion brach ein und es kam aufgrund eines starken Preisfalls zur Deflation. Etliche US-amerikanische Bürger, insbesondere Arbeiter und Kleinbürger, wurden obdachlos und litten Hunger. Die Selbstmordrate schnellte auf bis zu 30 Prozent in die Höhe und es bildeten sich Obdachlossiedlungen, die nach dem damals amtierenden Präsidenten Herbert Hoover „Hoovervilles“ genannte wurden.[12] Aufgrund des Fehlens eines ausgebauten Sozialstaates konnten weder die lokale Sozialhilfe noch private Wohltätigkeit die sozialen Folgen der Krisen abfangen und die akute Not lindern. Die Krise wurde durch protektionistische Maßnahmen wie die Erhöhung von Zöllen durch den „Smoot-Hawley-Tarif“ und eine Austeritätspolitik öffentlicher Finanzen noch verschärft. Als Reaktion auf die Folgen der Krise wurden von dem im März 1933 neugewählten US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt ab dem Jahr seines Amtsantritts bis 1938 ökonomische und soziale Reformen erlassen, die historisch als „New Deal“ bekannt wurden. Diese Reformen sollten die aus der „Großen Depression“ folgende wirtschaftliche und soziale Not der Arbeiterklasse lindern, die Nachfrage nach individuellen Konsumtionsmitteln durch Kreditzahlungen und Lohnersatzleistungen erhöhen und damit die Konjunktur stimulieren, die Infrastruktur ausbauen, die im Zuge der Krise eingesetzte Deflation durch eine Konzentration von Goldreserven bei der US-Notenbank („Fed“) und eine Fixierung des Goldpreises bekämpfen, aber auch die „Finanzmärkte“ regulieren.[13] Damit trug der „New Deal“ entscheidend zur Etablierung eines neuen sozialpartnerschaftlichen Klassenkompromiss und zur Stabilisierung der US-Wirtschaft bei, wobei er die Grundlagen für einen rudimentären Sozialstaat legte und auch ausbaute. Insgesamt forcierte der „New Deal“ den Charakter der kapitalistischen Produktionsweise in den USA als eines gemischten Wirtschaftssystems, was sich unter anderem an der Verstaatlichung von Banken und Energieunternehmen zeigte. Darüber hinaus trug er aber auch wesentlich zur gesellschaftlichen Verallgemeinerung der spezifisch „fordistischen“ Form der großen Industrie und der ihr entsprechenden „tayloristischen“ Produktionsmethoden bei. Politisch wurden die Reformen von einer demokratischen Koalition verschiedener Klassensegmente und sozialen Gruppen wie politischen Organisationen und Aktivisten der demokratischen Partei, ethnischen Minderheiten wie Juden und Afroamerikanern, Industriearbeitern, Farmern, Arbeitslosen, Künstlern und Intellektuellen getragen, die bis 1967 Bestand hatte.

3. Das „Goldene Zeitalter“ der Nachkriegsprosperität

Im Zuge des Zweiten Weltkrieges konnte sich die bereits in der Zwischenkriegszeit einsetzende Entwicklung der USA zum „Demiurg des bürgerlichen Kosmos“ (Marx), die durch den Krieg lediglich beschleunigt wurde, endgültig durchsetzen. Sowohl die Verluste an Menschenleben, die insgesamt bei weniger als 0,5 Prozent der gesamten US-Bevölkerung lagen,[14] als auch sachlichen Schäden durch den Krieg hielten sich in den Vereinigten Staaten insgesamt gering. Die geringen Sachschäden schlossen ein, dass auch das konstante Kapital und insbesondere dessen fixer Bestandteil, der seinen Wert nur sukzessive über mehrere Kapitalumschläge hinweg an die produzierten Waren abgibt, kaum entwertet oder zerstört wurde. Im Verlauf des Krieges wurden die USA zum größten Finanzier interalliierter Kriegsschulden, womit sie zur größten Gläubigernation weltweit avancierten. Entscheidend für die entstehende Dominanz des US-amerikanischen über die anderen nationalen Gesamtkapitale auf dem Weltmarkt war allerdings die weitgreifende Transformation ihres „gemischten Wirtschaftssystems“ in eine Kriegswirtschaft. Infolge dieser Umwandlung wuchs die Industrieproduktion etwa um das Doppelte, da die rasant zunehmende Rüstungsproduktion zu einer Ausdehnung der Produktionsmittel, einem rasanten Anstieg der aktiven Arbeiterarmee und einer immensen kriegswirtschaftlichen Steigerung der Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit geführt hatte. Der Anstieg der Arbeitsproduktivität führte nicht nur zu einem deutlichen Wachstum des BSP, das sich vom Einbruch auf 56 Milliarden US-Dollar zu Beginn der Präsidentschaft Roosevelts im Jahr 1933 bis 1945 auf rund 211 Milliarden Dollar fast vervierfachte,[15] sondern auch einem Anstieg  der allgemeinen Profitrate des nationalen Gesamtkapitals der Vereinigten Staaten, die mit einem jeweiligen Anstieg von 33 Prozent in den Kriegsjahren 1943 und 1944 ihren bis dato historischen Höchststand erreichte.[16] Die Zahl der „Industrie-Soldaten“ (Marx) erhöhte sich bis zum Ende des Krieges im Jahr 1945 um 20 Prozent auf 64 Millionen, indem Arbeitslose aus der relativen Überbevölkerung von der Rüstungsproduktion absorbiert, das Alter der Erwerbsfähigkeit reduziert und die Arbeitskräfte von Frauen verstärkt inwertgesetzt wurden. Neben der erhöhten Produktion des relativen Mehrwerts durch die Entwicklung der Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit wurde auch die Produktion des absoluten Mehrwerts erhöht, indem die Wochenarbeitszeit zur Produktion des industriellen Kapitals im Durchschnitt auf 45,2 Stunden angehoben wurde.[17] Dadurch konnte zunächst ein Ende der Massenarbeitslosigkeit und im Verlauf des Krieges sogar Vollbeschäftigung erreicht werden (vgl. Abb. 2).

Abbildung 2

Diese Vollbeschäftigung ging allerdings nicht auf eine Erholung des nationalen Gesamtkapitals der USA zurück, sondern beruhte auf der keynesianischen Methode defizitfinanzierter Staatsausgaben (sog. „deficit spending“), insbesondere in der Rüstungsindustrie. Der Preis dafür war eine exorbitant steigende Staatsverschuldung des Bundes, die bis zum Kriegsende im Jahr 1945 auf die bis dahin historisch beispiellose Höhe von 258 Milliarden US-Dollar wuchs, von denen 50 Milliarden an die alliierten Verbündeten der USA flossen.[18] Im Zuge dieser Entwicklung erklomm die produktive Gesamtarbeit der USA während des Zweiten Weltkrieges die höchste Entwicklungsstufe im Weltmaßstab und gelangte damit an die Spitze der internationalen Hierarchie der verschiedenen Nationalökonomien, wodurch ihr nationales Gesamtkapital mit einer deutlich gestärkten Weltmarktführungsposition aus dem Krieg hervorging. Aufgrund ihrer Rolle als weltweit größte Gläubigernation, welche die meisten Anleihen anderer Länder hielt, bestimmten die Vereinigten Staaten auch die mit dieser Hierarchie gegebene spezifische internationale Arbeitsteilung. Diese Dominanz der USA auf dem Weltmarkt zeigte sich unter anderem in ihren teilweisen Monopolpositionen in bestimmten Produktionszweigen wie der Technologie und einem Anteil von etwa 20 Prozent am weltweiten Exportvolumen, die sie in den 1950er Jahren innehatten.[19] Der Außenhandel der USW war aufgrund der binnenwirtschaftlichen Orientierung ihres nationalen Gesamtkapitals zwar relativ gering international verflochten, aber ihr Konjunkturzyklus wurde – aufgrund der relativen Schwäche der nationalen Gesamtkapitale in Westeuropa, aber vor allem des ungleichen Anteils am Welthandel –, bestimmend für den Zyklus der Weltmarktkonjunkturen und der unter ihrer Dominanz stehenden anderen kapitalistischen Nationen. Dabei war die progressive Entwicklung zwischen dem Wachstum des Welthandels und dem der USA gegenläufig, weil die beschleunigte Akkumulation des US-Gesamtkapitals nicht mit der Expansion des Weltmarktes Schritt halten konnte, sodass der Anteil dieses Gesamtkapitals an den Weltexporten kontinuierlich abnahm.

Ausgehend von den USA als Demiurg der bürgerlichen Welt traten die entwickelten kapitalistischen Länder nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in eine Periode beschleunigter Kapitalakkumulation ein, in der es zu einer historisch beispiellosen Prosperität mit bis dahin ungekannten wirtschaftlichen Wachstumsraten und steigendem sozialen Wohlstand kam. Die Bedingungen für diese Periode einer langanhaltenden Nachkriegsprosperität, die in den USA unter der Bezeichnung „Golden Age“, in Frankreich als „Trente glorieuse“ und in der BRD als „Wirtschaftswunder“ bekannt wurde, variierten allerdings zwischen diesen Nationen. Im Unterschied zu den USA was es in Europa während des Krieges in einem immensen Umfang zur Entwertung und Zerstörung von Kapital gekommen. Damit waren, zusammen mit der langen Dauer der wirtschaftlichen Depression ab den 1930er Jahren, außergewöhnliche geschichtliche Bedingungen gegeben, unter denen sich langfristig der ökonomische Trend einer beschleunigten Kapitalakkumulationen international etablieren konnte. Obwohl dieser Trend also alle entwickelten kapitalistischen Nationen umfasste, unterschieden sich die Wachstumsraten der verschiedenen Nationalkapitale aufgrund einer ungleichmäßigen Entwicklung ihrer nationalen Akkumulationen teilweise gravierend. Die lange Dauer dieses Trends wurde durch das sich in diesen Nationen durchsetzende keynesianische Wirtschaftsparadigma begünstig, in dessen Rahmen mit „deficit spending“ eine antizyklische Konjunkturpolitik zur Abmilderung konjunktureller Rezessionen betrieben wurde. Diese Wirtschaftspolitik besaß allerdings nur eine katalysatorische Funktion, d.h. sie war nicht ursächlich für den langfristigen Trend einer beschleunigten Kapitalakkumulation.[20]

In den ersten Nachkriegsjahren blieb die Wiederherstellung und der Aufschwung der Wirtschaft allerdings noch auf die USA beschränkt.[21] Ihr nationales Gesamtkapital musste als Kriegswirtschaft demontiert und wieder für die zivilen Zwecke der kapitalistischen Produktion nutzbar gemacht werden. Dies schloss neben der Reparatur an den insgesamt geringfügig gebliebenen Sachschäden, die durch den Krieg entstanden waren, auch die stoffliche Umstrukturierung der Produktion, insbesondere von der Rüstungsindustrie zur zivilen Schwerindustrie, und die Wiedereingliederung des ehemaligen Militärpersonals in den zivilen Korpus der US-amerikanischen Arbeiterklasse (sog. „Demobilisierung“) ein. Daraufhin brach zunächst die industrielle Produktion des Kapitals ein und es kam zu einer rapide steigenden Arbeitslosigkeit. Doch bereits im Jahr 1946 setzte eine Wiederbelebung der US-Wirtschaft ein, die von steigenden produktiven Investitionen in den fixen Bestandteil des industriellen Kapitals und einem Ausbau der Infrastruktur, vorrangig von Immobilien, charakterisiert war. Dadurch erfuhr die Industrieproduktion einen erneuten Aufschwung, der einen Anstieg des BIP und der Beschäftigung nach sich zog. Bedingt durch diese Abnahme der Arbeitslosigkeit, aber auch aufgrund der relativen Stärke der Gewerkschaften, die in den 1950er Jahren den Höchststand an Mitgliederzahlen zu verzeichnen hatten, begann die US-amerikanische Arbeiterklasse an der Entwicklung der Produktivkräfte und des gesellschaftlichen Reichtums teilzuhaben. Das drückte sich nicht nur in einer relativ geringeren Ungleichheit zwischen den Einkommen und Vermögen aus, sondern auch in einem starken Anstieg des individuellen Konsums notwendiger Lebensmittel.

Durch die sich auf der Grundlage der „fordistischen“ Form der großen Industrie beschleunigende Akkumulation des US-Nationalkapitals, die durch den wachsenden Welthandel nach dem Zweiten Weltkrieg noch forciert wurde, wandelte sich dieser konjunkturelle Aufschwung zu einer langanhaltenden Prosperitätsphase. Diese Phase war von durchgehend hohen Wachstumsraten der Wirtschaft und vergleichsweise schwachen zyklischen Abschwüngen gekennzeichnet, da sich nicht nur die Dauer, sondern auch die Schwankungen der konjunkturellen Zyklen deutlich reduzierten. Insbesondere weibliche Arbeitskräfte strömten auf den Arbeitsmarkt, was die Stimulation der individuell konsumtiven Nachfrage weiter antrieb, während die Qualifikation künftiger Arbeitskräfte durch einen Anstieg von wissenschaftlichen Abschlüssen an höheren Bildungsinstitutionen wie Colleges und Universitäten erhöht wurde. Die landwirtschaftliche Produktion wurde zunehmend kapitalisiert, was zu einer Auflösung der durch bäuerliche Familienarbeit betriebenen Farmen zugunsten einer Industrialisierung der agrikolen Produktion und einer starken binnenwirtschaftlichen Migration ehemals niedrigbezahlter Landarbeiter in die städtischen Metropolen führte, wo sie besser bezahlte Jobs annahmen. Dadurch wurde die bereits bestehende Tendenz zur Urbanisierung forciert. In der Folge entstanden die sogenannten „suburbs“, als Vororte für Familien vornehmlich weißer Arbeiter, die zur Arbeit in die Metropolen pendelten. Hinzukommend setzte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in den kapitalistisch entwickelten Ländern ein regelrechter „Babyboom“ ein, der bis zur Einführung der Pille Mitte der 1960er Jahre (sog. „Pillenknick“) andauerte und seit dem 19. Jahrhundert die einzige Periode einer kontinuierlich steigenden Fertilitätsrate in diesen Ländern darstellte. Dadurch wurde, insbesondere in den USA, ein immenses Reservoir an potenziellen Arbeitskräften geschaffen. Diese Faktoren führten bis zum Anfang der 1970er Jahre zusammengenommen zu einer absoluten Zunahme produktiver Lohnarbeiter des US-Nationalkapitals, also einer Vergrößerung des „produktiven Gesamtarbeiters“ (Marx) als Methode zur Produktion des absoluten Mehrwerts. Dadurch konnte schließlich eine Vollbeschäftigung in relativ sicheren Beschäftigungsverhältnissen erreicht werden. Die Kehrseiten der beschleunigten Akkumulation des US-Gesamtkapitals in der Nachkriegsära bestanden allerdings in einer ökonomischen Depravation des ländlichen Südens, einer zunehmende Konzentration von Slums und einer verstärkten soziokulturelle Segregation innerhalb der Metropolen, wovon überwiegend Afroamerikaner und lateinamerikanische Migranten betroffen waren.

Die auf einer beschleunigten Kapitalakkumulation beruhende Nachkriegsprosperität wurde institutionell durch die Weiterentwicklung des internationalen Geld- und Währungssystems begleitet, welche ihrerseits wiederum wesentlich zur Stabilisierung dieser Prosperitätsphase beitrug. Vor dem Ersten Weltkrieg bestand der internationale Währungszusammenhang in einem Goldstandard bzw. für diejenigen Länder, welche statt Goldreserven goldkonvertible Währungsreserven anlegten in einem Golddevisenstandard. Dieser Goldstandard bestand zwar über die Zwischenkriegszeit hinweg, aber nach dem Zweiten Weltkrieg wurde zur internationalen Durchsetzung des langfristigen Trends einer beschleunigten Kapitalakkumulation eine historisch höher entwickelte Form des Geld- und Währungssystem etabliert, die als „Bretton Woods-System“ bezeichnet wurde. Dieses System legte fixe Währungsparitäten, d.h. im Wechselkurs ausgedrückte Verhältnisse der verschiedenen nationalen Währungen zum Gold fest und bestimmte damit die Goldkonvertibilität dieser Währungen. Dabei fungierte der US-Dollar, entsprechend der Stellung des US-Gesamtkapitals als Demiurg des bürgerlichen Kosmos, als internationale Leit- und Reservewährung, die ein fixes Goldquantum repräsentierte und dadurch mit Gold gedeckt war. Vermittelt über ihre außenwirtschaftliche Bindung an diese Leitwährung waren die Währungen der anderen nationalen Gesamtkapitale indirekt mit Gold konvertibel, womit der US-Dollar außenwirtschaftlich die Funktion des Wertmaßes dieser Währungen übernahm. Demnach handelte es sich beim „Bretton Woods-System“ um einen Gold-Dollar-Standard.

Historisch eingebettet wurde dieses Währungssystem in einen multilateralen Freihandel, der wiederum die für die Übernahme der Weltgeldfunktionen des US-Dollars notwendige Liberalisierung des US-Außenhandels forcierte. Die US-Außenpolitik der Nachkriegsära zielte dementsprechend auf die Etablierung einer liberalen Weltordnung unter unilpolarer Führung der USA. Als institutionelle Stützpfeiler dieser Ordnung wurden zusammen mit dem Bretton Woods-System der „Internationale Währungsfonds“ (IWF) und die „Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung“ (Weltbank) geschaffen, die beide daher auch als „Bretton Woods-Institutionen“ bezeichnet werden. Konzipiert wurden sie als internationale Instrumente zur Steuerung des Geld- und Währungssystems, wobei der IWF den Außenhandel fördern und die Weltbank den Wiederaufbau der westeuropäischen Länder finanzieren sollte. Damit trug das Bretton Woods-System wesentlich zur wechselseitigen internationalen Forcierung und Stabilisierung der beschleunigten Akkumulation der nationalen Gesamtkapitale in den kapitalistischen Industrieländern bei. Binnenwirtschaftlich verpflichteten sich die Organisationen der Arbeiterklasse wie Gewerkschaften und Arbeiterparteien, einschließlich der stalinisierten Kommunistischen Parteien, in einem informellen Konsens, das Lohnniveau in diesen Ländern niedrig zu halten und nicht gegen die relativ schweren Arbeitsbedingungen zu opponieren. Damit verschob sich das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen, insbesondere in den Vereinigten Staaten, zugunsten der Bourgeoisie. Diese Verschiebung wurde juristisch zementiert, indem nur zwei Jahre nach dem Ende des Krieges der „Labor-Management Relations Act“ (sog. „Taft-Hartley-Gesetz“) zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitern und Kapitalisten erlassen wurde. Dieses Gesetz verschlechterte die Verhandlungsposition der Gewerkschaften gegenüber den Unternehmern erheblich und sicherte die Lohnzurückhaltung der US-amerikanischen Arbeiterklasse rechtlich ab. Sie optimierte damit die Bedingungen für die beschleunigte Akkumulation des nationalen Gesamtkapitals der USA durch die durchschnittliche Senkung der Lohnkosten und dadurch des Kostpreises für die kapitalistisch produzierten Waren, womit wiederum das allgemeine Preisniveau zur Inflationsbekämpfung stabilisiert wurde. Zugleich nahm die Staatsverschuldung der Vereinigten Staaten über die gesamte Periode des Bretton Woods-Systems, vor allem aufgrund des historisch einzigartig hohen Wirtschaftswachstums, in deutlichem Maße kontinuierlich ab (vgl. Abb. 3).

Abbildung 3

4. Das Ende der Nachkriegsprosperität

Das „Goldene Zeitalter“ der Nachkriegsperiode währte trotz aller Verheißungen nicht allzu lang. Die allgemeine Profitrate des nationalen Gesamtkapitals der Vereinigten Staaten lag nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem höchsten Stand in der gesamten Periode der Nachkriegsprosperität und fiel anschließend, entsprechend dem„Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate“ (Marx),[22] kontinuierlich ab. Bereits zu Beginn der 1960er Jahre fiel sie auf ein vergleichsweise niedriges Niveau von etwa 6 Prozent, das sich in den folgenden Konjunkturzyklen trotz vereinzelter Schwankungen im Wesentlichen fortsetzte.[23] Ursächlich für diese Entwicklung war ein tendenzielles Sinken der allgemeinen Mehrwertrate des US-Nationalkapitals, während infolge einer gestiegenen industriellen Produktivität die Produktionsmittel im Vergleich zur Anzahl der Arbeitskräfte relativ wuchsen, was sich hinsichtlich der Wertzusammensetzung des Kapitals in einer relativen Zunahme des für diese Produktionsmitteln vorgeschossenen konstanten Kapitalteils auf Kosten des in Arbeitskräften ausgelegten variablen Teils widerspiegelte. Damit setze sich das ökonomische Gesetz der „steigenden organischen Zusammensetzung“ (Marx) des Kapitals für das nationale Gesamtkapital der Vereinigten Staaten durch. Das Steigen dieser Zusammensetzung konnte nicht durch die allgemeine Mehrwertrate kompensiert werden, da diese dafür stärker als jener Anstieg hätte wachsen müssen. Infolgedessen kam zu einem tendenziellen Fall der allgemeinen Profitrate, die sich in der gesamten Periode der Nachkriegsprosperität bis in die Jahre 1974 und 1975 für das US-Nationalkapital durchsetzte.

Mit dem gesunkenen Niveau der allgemeinen Durchschnittsprofitrate begann auch die Dynamik der beschleunigten Kapitalakkumulation in den USA abzunehmen. Damit begann auch das wirtschaftliche Wachstum in den Vereinigten Staaten zu schrumpfen, während es in Europa und Asien, insbesondere Westdeutschland und Japan, deutlich zunahm. Grundlage hierfür war ein relativ dynamischerer Verlauf der beschleunigten Kapitalakkumulationen in der BRD und Japan. Damit wurden auch die internationalen Produktivitätsvorsprünge der USA tendenziell nivelliert, wodurch die Vereinigten Staaten schrittweise die auf diesen Vorsprüngen beruhenden Konkurrenzvorteile auf dem Weltmarkt verloren. Das zeigte sich daran, dass ihre Anteile am Weltmarkt fielen und der Export ihrer Industriewaren relativ gegenüber anderen Warensorten, insbesondere landwirtschaftlich produzierten Waren und Halbfabrikaten, sank. Damit büßten die USA zunehmend die Rolle als Demiurg des bürgerlichen Kosmos ein, was sich ab 1971 darin ausdrückte, dass der Konjunkturzyklus auf dem Weltmarkt nicht mehr von der Akkumulation des US-Gesamtkapitals bestimmt wurde. Infolgedessen wurde auch die Rolle des US-Dollars als Weltgeldersatz unterminiert, d.h. er verlor seine Monopolstellung als einzige globale Leitwährung und wurde gegenüber konkurrierenden Währungen zunehmend schwächer, was zur Spekulation mit ihm führte. Zugleich hatte sich mit der Verlangsamung der reproduktiven Kapitalakkumulation die Akkumulation an Geldkapital in den USA beschleunigt, wodurch die steigenden Spekulationen mit dem US-Dollar noch begünstigt wurden. Verschärft wurde diese Entwicklung durch die Etablierung einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik, die nicht nur Vollbeschäftigung zum Ziel hatte, sondern auch zur Finanzierung des Vietnamkrieges und der sozialpolitischen Reformen der am „New Deal“ anknüpfenden „Great-Society“-Programme von 1964 bis 1969 unter dem damals amtierenden Präsidenten Lyndon B. Johnson dienen sollte. Doch statt zu einer Abnahme der ökonomisch begründeten sozialen und politischen Konflikte kam es in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zu einer politischen Polarisierung der US-amerikanischen Gesellschaft. Der für die USA desaströse Verlauf des Vietnamkrieges und die inneren Spannungen ihrer bürgerlichen Gesellschaft ließen das Narrativ vom drohenden Niedergang der US-amerikanischen Weltmacht aufkommen, das auch heutzutage ebenso von der politischen Rechten wie Linken eifrig bedient wird, aufkommen. Die staatlichen Reformen schufen keine stabile „Great Society“, wie sich insbesondere an den Bürgerrechtsgesetzen zeigte, die das Problem des unter der Bezeichnung „Rassenfrage“ verhandelten anti-schwarzen Rassismus in den Vereinigten Staaten nicht lösen konnten. So kam es Mitte der 1960er Jahre zu bürgerkriegsähnlichen Aufständen in den segregierten schwarzen Getthos (sog. „race riots“) der städtischen Metropolen im Norden und Westen der USA, die insbesondere von dem prekarisierten und pauperisierten Segment der schwarzen US-Arbeiterklasse geführt wurden. Diese führten aufgrund massiver Gewalt vonseiten der Polizei und der Nationalgarde regelmäßig zu mehreren Dutzend Toten.

Die bis dahin betriebene keynesianische Wirtschaftspolitik hatte zu Steigerungen der Nominallöhne bei steigender Beschäftigung geführt. Infolgedessen kam es zur Inflation, die sich durch das Bretton Woods-System auf die anderen entwickelten Länder mit kapitalistischer Produktionsweise auszuweiten drohte.[24] Zugleich kam es aufgrund des diesem System inhärenten Konstruktionsfehlers eines Reservewährungsdilemmas (sog. „Triffin-Dilemma“) zu steigenden Zahlungsbilanzdefiziten des US-Nationalkapitals.[25] Mit dem dadurch bedingten Anstieg des Leistungsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten wurde das Vertrauen in den US-Dollar als internationale Leit- und Reservewährung unterminiert. Bereits seit Ende der 1950er Jahre überstiegen die in ausländischen Zentralbanken gelagerten Reservebestände an US-Dollar die Goldreserven der USA bei weitem, d.h. der Dollar konnte seine Funktion als internationale Reservewährung nicht mehr erfüllen. Damit machte sich der fundamentale Widerspruch zwischen der ungleichmäßigen Entwicklung den Akkumulationsraten der verschiedenen nationaler Gesamtkapitale und den fixen Währungsparitäten geltend. In der Folge wurde die Konvertibilitätsverpflichtung von US-Dollar in Gold im Jahr 1968 auf die Zentralbanken der dem Bretton Woods-System beigetretenen Nationen beschränkt, bevor der damals amtierende Präsident Richard Nixon am 15. August 1971 die offizielle Goldkonvertibilität des US-Dollars aufhob (sog. „Nixon-Schock“). Im März zwei Jahre danach brach schließlich das gesamte System vollständig zusammen, woraufhin es auch offiziell endgültig außer Kraft gesetzt wurde.[26] In der Folge traten an die Stelle des Golddollarstandards flexible Wechselkurse, womit sich der internationale Währungszusammenhang zu einem währungspolitischen Mosaik aus unterschiedlichen Wechselkurspraktiken entwickelte. Dieses Fehlen einer einheitlichen internationalen Währungsordnung, das bis heute andauert, ist Ausdruck davon, dass es seit Mitte der 1970er Jahre keinen Demiurgen des bürgerlichen Kosmos und damit auch kein eindeutiges Zentrum für den Weltmarkt mehr gibt. Stattdessen besteht ein Polyzentrismus zwischen den führenden kapitalistischen Zentren der USA, Europas unter ökonomischer Führung der BRD, Japans und Chinas. Dieser Polyzentrismus stellt den ökonomischen Kontext dar, indem die derzeitigen geopolitischen Verschiebungen zwischen diesen Weltmächten vonstattengeht.

Neben den USA erfuhren auch anderen führende kapitalistischen Länder während der Periode der auf einer beschleunigten Kapitalakkumulation beruhenden Nachkriegsprosperität einen tendenziellen Fall der Durchschnittsprofitraten ihrer nationalen Gesamtkapitale. Der Fall der Profitrate war also keinesfalls auf das US-Nationalkapital beschränkt, sondern vielmehr ein allgemeines Phänomen der entwickelten kapitalistischen Zentren, welches das Ende des langfristigen Trends beschleunigter Kapitalakkumulation weltweit verursachte. Das Ende der Nachkriegsprosperität wurde schließlich von der konjunkturellen Überakkumulationskrise in den Jahren 1974 und 1975 markiert, die als Weltwirtschaftskrise in allen entwickelten kapitalistischen Ländern zeitgleich durchlaufen wurde. Diese bereits 1973 einsetzende Krise, die unter dem Namen „Ölkrise“ bekannt wurde, führte in den entwickelten kapitalistischen Nationen zu dem schwersten wirtschaftlichen Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg.[27] Das zeigte sich nicht nur in einem partiellen Rückgang ihrer Exporte, sondern auch in einem Abschwung des Welthandels. Aufgrund des tendenziellen Falls ihrer nationalen Durchschnittsprofitraten kam es in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern nicht nur, wie bereits in vergangenen konjunkturellen Überakkumulationskrisen, zu einer erheblichen Verringerung von Geschäftsinvestitionen in produktives Kapital und einer steigenden Arbeitslosenrate, sondern auch zu einer steigenden Inflation. In den USA brach die Produktion des industriellen Kapitals 1974/1975 ein, womit Entlassungen zunahmen und die Arbeitslosigkeit merklich anstieg. Darüber hinaus ging die Akkumulation des nationalen Gesamtkapitals und internationalen Handels der Vereinigten Staaten absolut zurück. Die langfristigen ökonomischen Folgen der Krise könnten allerdings erneut durch politische Konjunkturmaßnahmen zulasten des US-Staatshaushalts, insbesondere zur Förderung der Produktion von notwendigen Lebensmittel und Dienstleistungen zur individuellen Konsumtion sowie der Rüstungsproduktion, aber auch durch sozialstaatliche Transferleistungen an private Haushalte abgefedert werden. Damit konnte eine längere Depression abgewendet werden, wodurch es lediglich zu einer zwar schweren, aber relativ kurzfristigen Rezession des US-Nationalkapitals kam.

Langfristig führte die Abmilderung der Krise von 1974/1975 durch konjunkturpolitische Maßnahmen jedoch dazu, dass auch der darauffolgende konjunkturelle Aufschwung relativ beschränkt blieb. Für eine langfristige wirtschaftliche Erholung wäre die Entwertung einer bedeutenden Masse an fixem Kapital notwendig gewesen, die durch den auf „deficit spending“ beruhenden Staatsinterventionismus aber gerade verhindert werden sollte. Diejenigen industriellen Einzelkapitale, welche als Bruchstücke des nationalen Gesamtkapitals der USA ohne diese Konjunkturmaßnahmen aufgrund mangelnder Profitabilität in der Krise entwertet worden wären, konnten sich nun auch nicht im Zuge des erneuten Konjunkturaufschwungs wieder dauerhaft erholen. Daher kam es langfristig zum Untergang zahlreicher industrieller Kapitale, was sich in den USA schlagend an der Umwandlung des „Manufacturing Belt“ als einstiger Schwerpunktregion großindustrieller Produktion zum „Rust Belt“ zeigte. Ebenso begann sich der Anteil der industriellen Produktion der USA an der gesamten Industrieproduktion weltweit insgesamt rückläufig zu entwickeln.[28] Diese historische Entwicklung wurde später gemeinhin falsch als „De-Industrialisierung“ interpretiert, in deren Folge sich ein „post-industrielles Akkumulationsregimes“ etabliert haben soll. In Wirklichkeit verlor die große Industrie im Zuge dieser Entwicklung zwar gesamtwirtschaftlich an Bedeutung, vor allem gegenüber dem sich aufschwingenden Sektor kapitalproduktiver Dienstleistungen, aber sie kam als entfaltete Methode zur Produktion des relativen Mehrwerts keinesfalls an ihr historisches Ende. In den Vereinigten Staaten spielt sie vielmehr nach wie vor eine entscheidende Rolle für den Export von Warenkapital und die Beschäftigung von Lohnarbeitern.[29] Mit dem Untergang etlicher industrieller Einzelkapitale, die sich nach der Krise von 1974/1975 nicht mehr dauerhaft erholen konnten, stieß also nicht die große Industrie selbst, sondern lediglich ihre mit dem Begriff des „Fordismus“ bezeichnete spezifische geschichtliche Form und die ihr entsprechenden „tayloristischen“ Produktionsmethoden an eine historische Schranke: die „fordistische“ Form großindustrieller Produktion und ihre Produktionsmethoden führten nicht mehr zur weiteren Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit, womit sie historisch obsolet wurden.[30] Dadurch bedingt verloren zahlreiche US-amerikanische Industriearbeiter nicht nur ihre Arbeitsplätze, sondern das Ende der besonderen geschichtlichen Form der großen Industrie führte darüber hinaus zu einer sozialen Umwälzungen innerhalb des US-Proletariats, da diese entlassenen vormaligen Industriearbeiter aus ihrem bisherigen industrieproletarischen Milieu der Nachkriegsära herausgerissen wurden. Das führte einerseits zu einer gesteigerten Individualisierung durch die Loslösung aus einem zuvor relativ starren Netz sozialer Beziehungen zugunsten einer erhöhten Mobilität und zunehmender Möglichkeiten individueller Konsumtion, andererseits aber auch zu einem Verlust der einstigen industrieproletarischen Identität und einer Zunahme sozialer Entfremdung, vorrangig forciert durch die verschärfte Konkurrenz unter den Arbeitern. Ähnliches gilt für den Bildungsbereich der USA, insofern es einerseits zu einer gesellschaftlichen Öffnung der Bildungsinstitutionen für gesellschaftlich marginalisierte Gruppen wie etwa Afroamerikaner durch politische Reformen kam, aber andererseits die akademische Ausbildung zunehmend den Erfordernissen des unmittelbaren Produktionsprozesses angepasst und damit technokratisiert wurde, was eine tendenzielle Proletarisierung der akademischen Intelligenz zur Folge hatte.

Auf das Ende der „fordistischen“ Form der großen Industrie folgten neue Produktionszweige und damit auch Arbeitsplätze, insbesondere im sogenannten „Finanzsektor“ und dem „privaten Dienstleistungssektor“, wobei diese Arbeitsplätze im Unterschied zu den vergleichsweise sicheren Beschäftigungsverhältnissen in der spezifisch „fordistischen“ Form der großen Industrie prekär waren. Für diejenigen industriellen Einzelkapitale, deren Profitrate noch nicht so weit gesunken war, dass sie durch die mit dem Erlahmen der Akkumulation des US-Nationalkapitals sich verschärfende Konkurrenz untergingen, konnte das Sinken ihrer individuellen Profitraten zwar durch die staatlichen Konjunkturmaßnahmen teilweise kompensiert werden. Dies änderte aber nichts Wesentliches an dem sich langfristig durchsetzenden tendenziellen Fall der allgemeinen Profitrate. Als Reaktion auf diese Tendenz wurde das durch den Staatsinterventionismus zur Verfügung gestellte Geldkapital von den industriellen Kapitalisten nicht dafür genutzt, um in neues produktives Kapital zu investieren und damit die reproduktive Kapitalakkumulation wieder zu beschleunigen, sondern um die Profitabilität der bestehenden industriellen Produktion zu erhöhen. Dafür wurde die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte, insbesondere der Technologie, vorangetrieben, was zu einer weiteren Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals zur Folge hatte. Diese Erhöhung wirkte wiederum verstärkend auf die Tendenz zum Fallen der Profitrate zurück. Nicht nur in den USA, sondern in allen entwickelten kapitalistischen Nationen wurde daneben als eine Methode zur Produktion des relativen Mehrwerts die Arbeit intensiviert, vor allem durch Erhöhung des Arbeitstempos, und als Methode zur Produktion des absoluten Mehrwerts die Wochenarbeitszeit verlängert. Hinzu kam, zusätzlich zu den neu entstandenen unsicheren und schlecht entlohnten Arbeitsplätzen, die Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse in der Industrie durch Arbeit in Teilzeit oder Leiharbeit. Diese Faktoren trugen zur Senkung des allgemeinen Lohnniveaus bei, sodass sich die am BIP gemessen Lohnquote in allen entwickelten Industrieländern gegenüber der Prosperitätsphase in der Nachkriegszeit signifikant verringerte. Während die Löhne also im Durchschnitt sanken, mussten die Kosten für Bildung oder auch Gesundheit aufgrund des zwar ausgeweiteten, aber immer noch rudimentären Sozialstaats in den Vereinigten Staaten von einem Großteil des US-amerikanischen Proletariats selbst getragen werden. Dies führte zu einer zunehmender Privatverschuldung, welche durch die gestiegenen Möglichkeiten zur individuellen Konsumtion und relativ günstige Konsumentenkredite noch verstärkt wurde.

5. Die Ära der „Globalisierung“

Seit dem durch den tendenziellen Fall der Profitrate bedingten Ende der beschleunigten Kapitalakkumulation und der Nachkriegsprosperität bestehen die Haupttriebkräfte der ökonomischen und wirtschaftspolitischen Entwicklungen in den USA und den anderen kapitalistischen Zentren in Reaktionen auf dieses Fallen. Eine der entscheidenden Reaktionen, mit denen die Verlangsamung der reproduktiven Kapitalakkumulation innerhalb der kapitalistischen Industrieländer durch eine Anhebung ihrer Profitraten zu kompensieren versucht wurde, bestand darin, der „propagandistischen Tendenz“ (Marx) des Kapitals zur Bildung des Weltmarkts zur verstärkten Durchsetzung zu verhelfen.[31] Die in den fortgeschrittenen kapitalistischen Nationen bestehende Tendenz zum Fallen der allgemeinen Profitrate sollte durch eine verstärkte Hinwendung zum auswärtigen Handel kompensiert werden, wodurch seit dem Ende der 1970er Jahre eine neue Expansionsphase des Welthandels eingeleitet wurde (vgl. Abb. 4).

Abbildung 4

Dabei stieg der Welthandel schneller an, als die jeweiligen Wachstumsraten der reproduktiven Kapitalakkumulation der entwickelten kapitalistischen Zentren. Dies führte zu einer deutlichen Verschärfung der Konkurrenz nicht nur um Weltmarktanteile, sondern auch um die günstigsten Produktionsbedingungen für das industrielle Kapital. Seit Anfang der 1980er Jahre stiegen außerdem neue nationale Gesamtkapitale, die gemeinhin als „Schwellenländer“ bezeichnet wurden, zu wichtigen Akteuren auf dem Weltmarkt auf. Vor dem Hintergrund des niedrigen Niveaus der Profitraten und aufgrund der verschärften Weltmarktkonkurrenz, die wiederum binnenwirtschaftlich zu einer Zuspitzung des Klassengegensatz zwischen den nationalen Bourgeoisien und Arbeiterklassen führte, kam es zu umfassenden Abwanderungsbewegungen von Kapital. Individuelles industrielles Kapital, das sich innerhalb seiner entsprechenden Nationalökonomie nicht mehr profitabel genug verwerten konnte, wich in andere Länder aus, insbesondere in aufstrebende „Schwellenländer“. Diese Expansion industriellen Einzelkapitals über die territorialen Grenzen seines jeweiligen nationalen Gesamtkapitals hinaus war nicht dadurch bedingt, dass es binnenwirtschaftlich absolut nicht mehr angewandt werden konnten. Vielmehr fielen die nationalen Durchschnittsprofitraten in den entwickelten kapitalistischen Ländern so weit, dass industrielles Kapital zu höheren Profitraten im Ausland beschäftigt werden konnte. Diese Expansionsbewegung des industriellen Kapitals, die zur Erschließung neuer Absatzmärkte führte, stellte eine Form der Attraktion der Kapitale aufeinander auf der Ebene des Weltmarkts dar. Dadurch kam es, trotz der verschärften Konkurrenz auf dem Weltmarkt, zu einer zunehmenden Verflechtung nationaler Reproduktionsprozesse durch den internationalen Handel.

Zentral für diese Entwicklung war die zur Kompensation des Sinkens der Profitraten in den kapitalistischen Zentren notwendige Einsparung von Lohnkosten, für die einzelne Betriebe oder sogar gesamte Produktionszweige aus den hochentwickelten Industrieländern in sogenannte „Niedriglohnländer“ mit relativ billigeren Arbeitskräften ausgelagert wurden, um den Anteil der Lohnkosten am Kostpreis des produzierten Warenkapitals zu reduzieren. In der Folge kam es in den westlichen Industrienationen zu einem langfristigen Anstieg der Arbeitslosigkeit, der zu dem seinerzeit historisch neuen Phänomen einer „strukturellen Arbeitslosigkeit“ führte, von dem der „Rust Belt“ in den USA ein beredtes Zeugnis ablegte. Selbst dort, wo diese Verlagerung nicht stattfand, drohten industrielle Kapitalisten gegenüber ihrer Arbeiterschaft und den Regierungen damit, um die Löhne zu drücken und die Kürzung von Sozialleistungen durchsetzen zu können. Dieses „Herunterdrücken des Arbeitslohns unter seinen Wert“[32] war eine weitere Ursache, die dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegenwirkte. Durch diese Lohndrückerei konnten die Löhne, insbesondere in den USA und Europa im Durchschnitt gesenkt und die Profitraten der industriellen Einzelkapitale erhöht werden. Dadurch sank in den USA nicht nur der Lohnzuwachs im gesellschaftlichen Durchschnitt, wobei mit Einberechnung der Inflation das Wocheneinkommen der US-Arbeiter sogar deutlich zurückging, sondern auch das mittlere Haushaltseinkommen der US-Bürger.

In der Folge kam es zu zunehmender Privatverschuldung durch Privatkredite und Hypotheken, die zur konjunkturellen Stimulation des US-Nationalkapitals auch staatlich gefördert wurde. Zugleich etablierten die industriellen Einzelkapitale infolge des Aufstiegs der neuen Schwellenländer internationale Produktions- und Wertschöpfungsketten und eine damit einhergehende neue internationale Arbeitsteilung. Diese historische Entwicklung einer verstärkten weltweiten Verflechtung kapitalistischer Reproduktionsprozesse, die auf das Ende der langanhaltenden Prosperitätsphase des Nachkriegsbooms folgte, wird gemeinhin unter dem äußerst unscharfen Begriff der „Globalisierung“ gefasst. Dieser Entwicklungsprozess nahm nicht nur seinen Ausgang von der USA, sondern wurde aufgrund ihrer nach wie vor bestehenden dominanten Führungsrolle innerhalb der unipolaren Weltordnung, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert hatte, auch wesentlich von ihr bestimmt. Die immer stärkere „Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarkts“[33] erschien so, nicht zuletzt vorangetrieben durch die in den USA historisch etablierte „Kulturindustrie“ (Adorno/ Horkheimer), als eine Internationalisierung des „american way of life“, damit aber auch des darin enthaltenen bürgerlichen Glücksversprechens der fortgeschrittensten kapitalistischen Nation.[34]

Diese Entwicklung einer zunehmenden ökonomischen, sozialen und kulturellen Integration der verschiedenen Nationen über den Weltmarkt war allerdings keineswegs ein neues Phänomen, wie der Begriff der „Globalisierung“ nahelegt. Der Weltmarkt bildet vielmehr „überhaupt die Basis und die Lebensatmosphäre der kapitalistischen Produktionsweise“[35], stellt also eine wichtige historische Voraussetzung für die Entstehung dieser Produktionsweise dar. Die Erschließung und Kolonialisierung neuer Territorien im sogenannten „Zeitalter der europäischen Expansion“ vom 15. bis in das 17. Jahrhundert waren entscheidende Hauptbestandteile der von Marx als „ursprüngliche Akkumulation“ bezeichneten historischen Entstehung des Kapitalverhältnisses, welche die „Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära“[36] einleiteten. Sie führten zu großen Umwälzungen im Handel und beschleunigten dadurch die Entwicklung des Handelskapitals, sodass durch die rasche Expansion des Weltmarkts, den damit einhergehenden Anstieg des Welthandels, der verschärften Konkurrenz der europäischen Nationalstaaten um transkontinentale Handelsvorteile, die Entwicklung moderner Transport- und Kommunikationsmittel sowie nicht zuletzt das Kolonialsystem die Sprengung der historischen Fesseln der feudalen Produktionsweise wesentlich verstärkt wurde. Nachdem sich die kapitalistische Produktionsweise zu einer konkreten Totalität herausgebildet hatte, schlug der Weltmarkt von einer ihrer historischen Voraussetzungen zu ihrem Resultat um, womit die bürgerliche Gesellschaft ihre geschichtliche Aufgabe zur Schaffung eines spezifisch kapitalistischen Weltmarkts erfüllte, indem das industrielle Kapital die entferntesten Regionen der Welt mit seinen Waren eroberte.[37] Der Welthandel wurde so zum Mittel für die Produktion des industriellen Kapitals, dessen Existenzbedingung wiederum die beständige Ausdehnung der Märkte zum Weltmarkt darstellte. Damit erhielt dieser Handel auch zunehmend eine politische Bedeutung, weil die entwickelten kapitalistischen Nationen in ein universalisiertes Konkurrenzverhältnis traten und den sich öffnenden Weltmarkt durch langwierige Kämpfe unter sich aufteilten.[38] Mit dieser Ausbeutung des Weltmarkts gestaltete die Bourgeoisie die kapitalistischen Produktion und Konsumtion kosmopolitisch, d.h. sie schaffte den „internationale[n] Charakter des kapitalistischen Regimes.“[39] Der Weltmarkt ist also kein zufälliges, nebensächliches Resultat der kapitalistischen Produktionsweise, sondern die Tendenz zu seiner Schaffung ist „unmittelbar im Begriff des Kapitals selbst gegeben“[40], weil die dem Kapital immanente Notwendigkeit zur Akkumulation zur beständigen Erweiterung des Austauschs über die jeweiligen nationalen Grenzen der gesellschaftlichen Gesamtkapitale hinaus treibt. Die Tendenz zur Etablierung des kapitalistischen Weltmarkts, welche die kapitalistische Produktionsweise global propagiert, ist also nur die Kehrseite der Tendenz des Kapitals zur Schaffung von immer mehr Mehrarbeit. Die territorialen Grenzen anderer Länder und die historische Beschränktheit vorkapitalistischer Produktionsweisen, damit aber die Grenzen des Weltmarktes selbst erscheinen für das Kapital nur als zu überwindende Schranken, die durch eine Überschwemmung dieses Marktes mit den Waren einer sich ausdehnenden großindustrielle Massenproduktion, die nur durch die Größe des fungierenden Kapitals und die Entwicklungsstufe der Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit beschränkt ist, gesprengt werden.

Die propagandistische Tendenz des Kapitals zur Schaffung eines Weltmarkts nach seinem Bilde vollzog sich geschichtlich allerding nicht ungebrochen, gleichmäßig und ohne Gegentendenzen, wie es im Begriff „Globalisierung“ unterstellt wird. Bereits ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setze sich diese Tendenz in einem ersten Schub verstärkt durch, was sich in einer Ausweitung des Welthandels, einer hohen internationalen Mobilität von Geldkapital und einer vermehrten transnationalen Migration ausdrückte. Die entwickelten kapitalistischen Länder exportierten einen immer größeren Teil ihres gesellschaftlichen Gesamtprodukts, wodurch es zu einem deutlichen Anstieg ihrer durchschnittlichen Exportquoten kam, während sie umgekehrt auch zunehmend von Importen aus anderen Ländern abhängig wurden. Grundlage dafür war neben einer Revolution der technischen Basis der Produktionsweise durch die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital in den kapitalistischen Zentren und der Erschließung neuer Ressourcen wie Rohstoffvorkommen und Böden, vor allem in Ländern an der „Peripherie“ des Weltmarktes, eine Verringerung der Zirkulationskosten, insbesondere der Transportkosten durch eine Revolution des internationalen Verkehrswesens durch Rationalisierungen und technische Erneuerungen (sog. „transportation revolution“). Insgesamt wuchs der Welthandel in dieser Periode bis zum Ersten Weltkrieg mit einem Jahresdurchschnitt von 3,4 Prozent langfristig deutlich schneller als die weltweite Produktion.[41] Durch den internationalen Transfer von Geldkapital aus den kapitalistischen Zentren in die Länder an der „Peripherie“ des Weltmarktes kam es zu einer relativ hochgradigen Integration der internationalen „Finanzmärkte“, mit London als internationales Finanzzentrum.[42] Darüber hinaus kam es im Zuge des ersten „Globalisierungsschubes“ zu einer bis heute beispiellosen Massenmigration, die sich über territorialstaatliche Grenzen und selbst Weltmeere hinweg erstreckte. Dabei bestand die dominierende Migrationsbewegung in Massenexodus aus Europa in die „Neue Welt“ Nordamerikas. Insgesamt migrierten etwa 60 Millionen Menschen aus Europa nach Übersee, wovon etwa drei Fünftel in die USA einwanderten.[43] Die hauptsächliche Migrationsform bestand in einer Arbeitsmigration, die durch einen mit dem Produktivitätsrückstand der europäischen Länder gegenüber der USA gegeben Mangel an Arbeitsplätzen bedingt war und zur Steigerung des Arbeitskräfteangebots in den USA mit entsprechenden Lohnerhöhungen führte. Grundlage dafür war auch hier ein revolutioniertes Verkehrswesen, die Entwicklung neuer Kommunikationsmittel, die Etablierung eines tendenziell globalen Arbeitsmarktes um das 19. Jahrhundert infolge der zunehmenden Integration transatlantischer Arbeitsmärkte und nicht zuletzt die Attraktivität des „american dream“ und der USA als fortgeschrittenster kapitalistischer Nation.

Mit dem Ersten Weltkrieg, in dem der Welthandel weitgehend zusammenbrach und es aufgrund einer Abschottung der Märkte zu einem deutlichen Rückgang des Kapitalverkehrs sowie der Migration kam, fand diese Periode einer ersten schubhaften Durchsetzung der propagandistischen Tendenz des Kapitals zur Bildung eines kapitalistischen Weltmarkts allerdings ein jähes Ende. Es kam zu einer Entflechtung des Welthandels, die durch die „Oktoberrevolution“ in Russland und die „Novemberrevolution“ in Deutschland noch verstärkt wurde. Mit der ab 1929 einsetzenden „Großen Depression“ brach schließlich auch noch der Goldstandard als internationales Währungssystem zusammen. Die Weltwirtschaftskrise führte zu einem weiteren Rückgang der Austauschbeziehungen, die erst wieder mit der Etablierung des Bretton Woods-Systems zunahmen, bevor sie im Zweiten Weltkrieg erneut einbrachen. Erst im Zuge der auf der beschleunigten Kapitalakkumulation beruhenden Nachkriegsprosperität in den entwickelten kapitalistischen Ländern kam es erneut zu einer zunehmenden wirtschaftlichen Integration der nationalen Reproduktionsprozesse durch den Welthandel.[44] Diese Integration ging von den Vereinigten Staaten aus, insofern sein industrielles Kapital auf internationale Märkte expandierte, auf denen nach dem Krieg eine große Nachfrage nach Produktionsmitteln und individuellen Konsumtionsmitteln zum Wiederaufbau und zur wirtschaftlichen Erholung bestand. Demgegenüber war das historisch Neue an dem als Reaktion auf das tendenzielle Fallen der Profitraten und das dadurch bedingte Erlahmen der Kapitalakkumulation in den kapitalistischen Industrienationen erfolgten „Globalisierungsschubs“, dass der Austauschs kapitalproduktiver Dienstleistungen auf dem Weltmarkt zunahm und sich der internationalen Verkehrs des Geldkapitals, insbesondere kurzfristig spekulative Geldkapitaltransaktionen außerordentlich intensivierten. In den USA wurde durch diesen „Globalisierungsschub“ zugleich eine Migrationsbewegung aus Mittel- und Lateinamerika befördert, die weitgehend ungebrochen bis heute anhält und zu einer zunehmenden Diversität der US-amerikanischen Bevölkerung führt. Während etwa im Jahr 1980 ungefähr 15 Millionen Hispanier in den USA lebten, war ihre Zahl 2016, also im Jahr des Regierungsantritts Trumps, bereits auf 58 Millionen gestiegen. Demografischen Schätzungen zufolge wird der Anteil weißer US-Amerikaner in der Mitte der 2040er Jahre unter 50 Prozent an der Gesamtbevölkerung betragen, womit sie zur größten Minderheit (sog. „majority-minority“) werden würden.[45]

6. „Neoliberalismus“ und „Finanzmarktkapitalismus“

Die entwickelten kapitalistischen Nationen reagierten auf die Weltwirtschaftskrise Mitte der 1970er Jahre zunächst mit einer auf dem keynesianischen Wirtschaftsparadigma beruhenden expansiven Geld- und Konjunkturpolitik, welche die ökonomischen Folgen der Krise abfedern sollte. Dies führte nicht nur zu einer deutlich gestiegenen Staatsverschuldung, sondern auch zu einer steigenden Inflation. Die steigende Inflation wurde noch durch die gesunkene Profitrate verstärkt, da industrielle Einzelkapitalisten versuchten, die Reallöhne zu reduzieren und im Vergleich dazu die Warenpreise stärker anzuheben, um den Profitratenfall zu kompensieren. In den USA stieg die Inflation allein im Jahr 1974 auf 11 Prozent.[46] Während so einerseits die Inflationsraten der Warenpreise stiegen, büßte andererseits zugleich das wirtschaftliche Wachstum an Dynamik ein, weil es bedingt durch den tendenziellen Fall der Profitrate zu einem Rückgang der Investitionsausgaben kam: Da das Geldkapital aufgrund der im Zuge des Profitratenfalls verschlechterten Verwertungsbedingungen des Kapitals immer weniger in produktives Kapital angelegt wurde, kam es zu einer Stagnation der Kapitalakkumulation. Dadurch entwickelte sich zwischen Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre in den fortschrittlichsten kapitalistischen Ländern wie den USA das seinerzeit historisch neuartige Phänomen einer sogenannten „Stagflation“. Als Reaktion auf diese stagflationäre Entwicklung kehrte sich die Wirtschaftspolitik in den kapitalistischen Zentren ab den 1980er Jahren grundlegend vom gescheiterten, historisch delegitimierten keynesianischen Wirtschaftsparadigma ab und wandte sich dem sogenannten „monetaristischen“ Paradigma zu. Damit sollte einerseits die im Zuge des tendenziellen Falls der Profitrate und der keynesianischen Wirtschaftspolitik gestiegene Inflation gebrochen und sich andererseits in der verschärften Konkurrenz auf dem Weltmarkt, die mit dem erneuten „Globalisierungsschub“ seit den 1970er Jahren einherging, Standortvorteile verschafft werden. Zur Umsetzung dieses Umschwungs bedurfte es des Drucks der jeweiligen nationalen Bourgeoisien, insbesondere der das zinstragende Kapital verkörpernden Geldkapitalisten, auf die Regierungen in den führenden kapitalistischen Ländern. Doch auch die industriellen Einzelkapitalisten versuchten, durch die Intensivierung der Arbeit als eine Methode zur Produktion des relativen Mehrwerts und ein verschärftes Kommando des Kapitals über die Arbeit die Mehrwertraten ihrer individuellen Kapitale zu erhöhen, um den Profitratenfall durch einen höheren Ausbeutungsgrad zu kompensieren.

Dieses unter der Bezeichnung „Neoliberalismus“[47] bekannt gewordene monetaristische Paradigma, das sich in Großbritannien ab Ende der 1970er unter der Premierministerin Margaret Thatcher (sog. „Thatcherismus“) und in den USA ab Anfang der 1980er unter dem republikanischen Präsidenten Ronald Reagan (sog. „Reaganomics“) durchsetzte, setzte in seiner Wirtschafts- und Fiskalpolitik vorrangig darauf, dass sich die Kapital- und Arbeitsmärkte selbst steuern würden (sog. „Angebotspolitik“). Dabei bildeten den Kern der „Reaganomics“ in den USA massive Steuersenkungen zur Stimulation von Investitionen in produktives Kapital und des individuellen Konsums. Dafür wurden im Jahr 1981 im Kongress Steuerkürzungen verabschiedet, die trotz starker Kürzungen der Sozialausgaben nicht kompensiert werden konnten. Infolgedessen wuchs die Staatsverschuldung der USA zwischen den Jahren 1981 und 1986 von 79 Milliarden auf über 220 Milliarden US-Dollar.[48] Entsprechend der Orientierung auf eine sogenannte „Angebotspolitik“ wurden die verbliebenen „fordistischen“ Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt und dem „öffentlichen Wirtschaftssektor“ abgebaut und eine vergleichsweise restriktive monetaristische Geldpolitik der Zentralbanken etabliert. So führte die permissive Geldpolitik der Federal Reserve Bank noch bis 1980 zu einer Preissteigerung von 13,5 Prozent,[49] bevor sie auf eine restriktive Geldpolitik umschwenkte, die tatsächlich zu einer sinkenden Inflation und damit einer niedrigeren Entwertung der Kaufkraft von US-Devisen führte, welche ein entscheidendes Merkmal der bis in die 1970er Jahre hinein gestiegenen Inflationsraten war. Dieser geldpolitische Umschwung fand allerdings nicht nur in den USA statt, sondern wurde entsprechend des sich in den kapitalistischen Zentren etablierenden monetaristischen Paradigmas der Tendenz nach ab 1980 in allen entwickelten kapitalistischen Ländern vollzogen und führte zu geringeren Preissteigerungsraten, d.h. einer niedrigeren Inflation. Diese Brechung der Inflation ging allerdings auf Kosten einer sprunghaft ansteigenden Arbeitslosigkeit und eines sinkenden Lebensstandards nicht nur der industriellen Reservearmee, sondern eines Großteils der jeweiligen nationalen Arbeiterklassen in den kapitalistischen Zentren. In den USA kam es in den Jahren 1981 und 1982 zunächst zu einer kurzen, aber schweren Rezession, in deren Zuge die Arbeitslosigkeit auf 10 Prozent anstieg. Betroffen davon war insbesondere das industrielle Kapital. Erst ab dem Jahr 1983 setzte ein erneutes konjunkturelles Wachstum von 10 Prozent ein und die Arbeitslosigkeit nahm durch die Entstehung neuer Arbeitsplätze kontinuierlich ab.[50] Zugleich verschärfte sich die Klassenspaltung zwischen der US-amerikanischen Bourgeoisie und der Arbeiterklasse, was sich in einer Verschiebung der Einkommensverteilung im Zuge der „Reaganomics“ ausdrückte. Während also immer weniger Arbeiter an der Entwicklung der Produktivkräfte und des gesellschaftlichen Reichtums partizipieren konnten, stiegen die Gewinne der ökonomisch stärksten Fraktionen der US-amerikanischen Bourgeoisie.

Die Ursache dafür war eine zunehmende Senkung des allgemeinen Lohnniveaus im Zuge des monetaristischen Paradigmas, die in den USA wie den anderen entwickelten kapitalistischen Ländern zu den entscheidenden Strategien der nationalen Bourgeoisie gehörte, um den Fall ihrer nationalen Durchschnittsprofitraten zu kompensieren oder sogar umzukehren, also ein erneutes Steigen der allgemeinen Profitrate ihres entsprechenden nationalen Gesamtkapitals einzuleiten. Dafür kündigte die Bourgeoisie, insbesondere in den Vereinigten Staaten, den in der Nachkriegsära durch die Sozialpartnerschaft geknüpften Klassenkompromiss mit Arbeiterorganisationen wie Gewerkschaften oder Arbeiterparteien zugunsten eines „Klassenkampfes von oben“ auf, dessen Bedingungen sich durch die Einhegung dieser Organisationen langfristig zu ihren Gunsten verschoben hatte. Diese Verschiebung wurde durch materielle Zugeständnisse der Bourgeoisie an die Arbeiterklasse (Lohnerhöhungen, Erweiterung der Möglichkeiten zur individuellen Konsumtion u.a.) begleitet, welche mit dem Übergang zum „Neoliberalismus“ wieder entzogen wurden. Dahinter stand allerdings keinesfalls, wie von bourgeoissozialistischen Kritikern des „Neoliberalismus“ oft behauptet wird, politische Willkür, sondern dieser Entzug zielte darauf ab, den Kostpreis zur Produktion kapitalistischer Waren zu senken und damit die infolge der erlahmenden Akkumulation stattfindende Schmälerung der Profite zu kompensieren. Andererseits ermöglichte der „Neoliberalismus“, gerade aufgrund der Privatisierung vormals staatlicher Funktionen und öffentlicher Wirtschaftsbereiche, großen Teilen der US-amerikanischen Bevölkerung und insbesondere der Arbeiterklasse eine bislang nicht gekannte Mobilität und Autonomie. Dies zog eine steigende Individualisierung der Arbeiter nach sich, die wiederum auch zu Potenzierung der sozialen Entfremdung führte. Zugleich wurden mit diesen „Privatisierungen“ auch vormals politische Aufgaben bürgerlicher Regierungen, insbesondere die sozial- und wohlfahrtsststaatliche Absicherung bestimmter Segmente des Proletariats, auf die einzelnen Individuen abgewälzt, die von der „neoliberalen“ Ideologie moralisch in die Eigenverantwortung genommen wurden. Dabei wurde an die originäre US-amerikanische Ideologie des „pursuit of happiness“ angeknüpft, die ursprünglich das bürgerliche Glücksversprechen der fortgeschrittensten kapitalistischen Nation einschloss. Dieses Glücksversprechen wurde nun instrumentalisiert, um die Klassenlage der Arbeiter auf einen Mangel an bestimmten, zumeist protestantischen Tugenden (Fleiß, Disziplin, Sparsamkeit usw.) zurückzuführen und die Arbeiter selbst für ihre aus dieser Klassenlage entspringenden Lebensbedingungen moralisch verantwortlich zu machen. Im Unterschied zu anderen kapitalistischen Nationen wurde der „Neoliberalismus“ in den USA daher auch nicht mit der Logik des „Sachzwangs“, sondern einem aus der Geschichte des Landes als Siedlernation herrührenden rauen Individualismus (sog. „rugged individualism“) ideologisch legitimiert.

Im Zuge der Etablierung des „Neoliberalismus“ kam es zu einem entscheidenden Bedeutungszuwachs sogenannter „multinationaler Unternehmen“, die zur dominierenden Unternehmensform wurden. Grundlage dafür war die erneute schubhafte Durchsetzung der propagandistischen Tendenz des Kapitals, die als Reaktion auf die Krise von 1974/1975 einsetzte. „Multinationale Unternehmen“ bestanden zwar bereits seit dem späten 19. Jahrhundert, aber ihre Bedeutung blieb bis dato gesamtwirtschaftlich relativ gering, da sie sich lediglich in einzelnen Produktionszweigen etablieren konnten und ihre Entwicklung durch die beiden Weltkriege entscheidend gehemmt wurde. Erst infolge des nahezu explosiven Aufschwungs des Welthandels auf Grundlage der beschleunigten Kapitalakkumulation im Rahmen der Nachkriegsprosperität und dem damit einhergehenden Anstieg ausländischer Direktinvestitionen erfuhr diese Unternehmensform einen Bedeutungszuwachs, der im Verlauf des als Reaktion auf den tendenziellen Fall der Profitrate einsetzenden „Globalisierungsschubs“ ab Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre noch forciert wurde.[51] Andererseits trieben „multinationale Unternehmen“ wiederum diese neue Phase der „Globalisierung“ entscheidend an, indem sie in ihrer Rolle als Weltkonzerne (sog. „global player“) die zunehmende Integration des Weltmarkts katalysierten. Dabei emanzipierte sich der Kapitalverkehr dieser Unternehmen zwar relativ von der Beschränkung durch die territorialen Grenzen ihrer jeweiligen nationalen Gesamtkapitale, aber er blieb nach wie vor aufgrund des territorial fixierten Teils ihres fixen Kapitals an entsprechende Nationalstaaten gebunden.[52] Eine besondere Rolle in diesem Bedeutungszuwachs „multinationaler Unternehmen“ spielte der globale Aufstieg führender Technologie-Konzerne wie IBM, Microsoft und Apple ausgehend von den USA. Bedingt durch die als Reaktion auf den sich durchsetzenden tendenziellen Fall der Profitrate stattfindenden „Globalisierungsschub“ kam es ab den späten 1970er Jahre zugleich zu einer steigenden Entwicklung der Produktivkraft der Technologie, die in den entwickelten kapitalistischen Nationen zu entscheidenden Innovationen im Bereich der Informations- und Kommunikationsmitteln beitrug. Dadurch wurde die zunehmende Verquickung nationaler Reproduktionsprozesse durch den internationalen Handel noch technologisch katalysiert, was wiederum die Entwicklung der Produktivkraft der Technologie zur Produktion für den kapitalistischen Weltmarkt beförderte.

Die Hinwendung zum auswärtigen Handel und Abwanderung industriellen Kapitals ins Ausland, zu der es im Zuge des „Globalisierungsschubs“ während der Periode des „Neoliberalismus“ kam, wirkte auf die gesellschaftlichen Gesamtkapitale der entwickelten kapitalistischen Länder als Verschärfung der Tendenz zur Konzentration und Zentralisation des Kapitals zurück. Infolge der Verlagerung einzelner Produktionsprozesse oder ganzer Produktionszweigen in andere Länder bildeten sich in den verbliebenen Produktionszweigen aufgrund der durch das abgewanderte Kapital verringerten binnenwirtschaftlichen Konkurrenz vermehrt Monopole und Oligopole, die allerdings stets durch den auf der Grundlage dieser Konkurrenz stattfindenden Profitratenausgleich beschränkt blieben. Diese zunehmende Konzentration und Zentralisation drückte sich auch in einer vermehrten Bewegung des Geldkapitals aus, welche durch die weitgehende Aufhebung von Regulierungen auf den Geld- und Kreditmärkten politisch flankiert wurde. Die „Finanzmärtke“ der fortgeschrittenen kapitalistischen Nationen, in denen wie in den USA ein hochentwickeltes Kredit- und Finanzsystem bestand, wurden dadurch wie bereits im ersten „Globalisierungsschub“ ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erneut stark internationalisiert. Dies führte zu einer Zunahme der relativen Verselbständigung der Akkumulation des Geldkapitals, die mit dem zinstragenden Kapital und der Verdopplung von fungierendem Kapital in wirkliches und fiktives Kapital einhergeht, und damit zu einem Bedeutungszuwachs der „Finanzmärkte“. Dabei kam es aber keinesfalls zu einer „Entkopplung“ dieser Märkte von Akkumulation des reproduktiven Kapitals, also auch nicht zu einer „finanzgetriebenen Akkumulation“. Vielmehr blieb die Akkumulation des Geldkapitals grundlegend abhängig von der reproduktiven Kapitalakkumulation. Die unterschiedlichen Teilmärkte, auf denen verschiedene Formen des fiktiven Kapitals wie Aktien, Devisen und Anleihen gehandelt wurden, blieben in letzter Konsequenz weiterhin von der Produktion und Akkumulation des industriellen Kapitals, das als moderne Kapitalform die anderen Formen des Kapitals wie das zinstragende Kapital in der bürgerlichen Gesellschaft dominiert, bestimmt.[53] Bestimmte Entwicklungen auf diesen Teilmärkten, die eine scheinbare „Entkopplung“ der „Finanzmärkte“ nahelegten, beruhten neben technologischen Erneuerungen tatsächlich auf der Akkumulation des produktiv fungierenden Kapitals. So waren etwa steigende Umsätze an einzelnen Aktienmärkten lediglich das Resultat vermehrter Fusionen von Aktiengesellschaften als „assoziierter Kapitalist“ (Marx), in denen sich die sich verstärkende Tendenz zur Konzentration und Zentralisation des Kapitals ausdrückte. In den USA wies der Dow-Jones-Index, der die Entwicklung des US-amerikanischen Aktienmarktes misst, zwar seit dem Anfang der 1980er Jahre gegenüber vorangegangen Kursverlusten einen deutlichen Anstieg auf.[54] Dieser Anstieg war aber keinesfalls außergewöhnlich hoch, sondern blieb stets im Rahmen bisheriger Börsenhaussen und entsprach bisherigen historischen Kursmustern. Analog zum Anstieg der Aktienkurse des Dow-Jones wuchsen auch die Aktienmarktkapitalisierungen gegen Ende der 1980er deutlich bis auf über 60 Prozent des BIP der USA, bevor sie im Jahr 2000 mit 180 Prozent ihren Höhepunkt erreichten und schließlich kontinuierlich zurückgingen, weil die Bedeutung des US-Aktienmarktes für das nationale Gesamtkapital der USA zu schwinden begann.[55]

7. „New Economy“ und „Digitalisierung“

Nach dem Ende der Nachkriegsprosperität kam es in den späten 1970er Jahren erneut zu einem weltweiten konjunkturellen Aufschwung, der durch die USA induziert wurde, aber bereits mit der Rezession 1981/1982 wieder endete. In der Folge ging nicht nur die Akkumulation des US-Nationalkapitals, sondern auch der Welthandel absolut zurück. Bereits ab dem Jahr 1983 erfolgte jedoch ein erneuter Aufschwung der Konjunktur in den USA, dem ein Aufschwung der Weltkonjunktur folgte, bevor es nach dem Untergang des sogenannten „Realsozialismus“ Anfang der 1990er Jahre wieder zu einer Rezession der US-Wirtschaft in den Jahren 1991/1992 und einem deutlichen Abschwung der Konjunktur auf dem Weltmarkt kam. Im Jahr 1993 setzte in den Vereinigten Staaten schließlich ein konjunktureller Aufschwung ein, der eine über zehn Jahre anhaltende Prosperitätsphase einleitete, die von einem andauernden Wirtschaftswachstum sowie steigenden Einkommen und abnehmender Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig niedriger Inflation gekennzeichnet war. Das Produktivitätswachstum war seit dem Jahr 1995 mehr als doppelt so hoch als während der wirtschaftlichen Periode, die auf das Ende der Nachkriegsprosperität ab Mitte der 1970er folgte, einschließlich der „neoliberalen“ Phase der „Reaganomics“.[56]  Zugleich verringerte sich die Anzahl der Sozialhilfeempfänger um die Hälfte und der Anteil der US-amerikanischen Bürger, die unter der Armutsgrenze lebten, fiel gegen Ende der 1990er Jahre auf das niedrigste Niveau seit der Krise 1974/1975.[57] Die Ausgaben von Privathaushalten für die individuelle Konsumtion wuchsen während dieser Dekade wirtschaftlicher Prosperität gravierend, womit der Privatkonsum als eine der treibenden Kräfte für das langanhaltende Wirtschaftswachstum fungierte. Selbst die Steuereinnahmen stiegen während dieser Prosperitätsphase so stark, dass das Haushaltsdefizit der USA in Höhe von 290 Milliarden US-Dollar im Jahr 1992 nicht nur abgebaut, sondern im Jahr 2000 sogar in einen Überschuss von 236 Milliarden verwandelt werden konnte.[58] Außenwirtschaftlich wurde dieser Aufschwung der US-Wirtschaft dadurch stabilisiert, dass die US-Regierung unter dem seinerzeit amtierenden demokratischen Präsidenten Bill Clinton gegen die Opposition von Gewerkschaften und Umweltschützern im Jahr 1993 die „Nordamerikanische Freihandelszone“ (NAFTA) mit Kanada und Mexiko etablierte und durch die 1995 gegründete Welthandelsorganisation (WTO) eine fortschreitende Liberalisierung des Welthandels forcierte. Da das Wachstum der Wirtschaft in den USA vergleichsweise höher als in den anderen entwickelten kapitalistischen Ländern war,[59] fungierten sie trotz der Einbuße ihrer Rolle als Demiurg des bürgerlichen Kosmos noch als Wachstumslokomotive für die internationale Konjunktur. Dementsprechend erholte sich 1994, also ein Jahr nach dem in den USA einsetzenden konjunkturellen Aufschwung auch die Weltwirtschaft wieder. Dabei lag die Wachstumsrate des Welthandels allerdings deutlich höher als die der kapitalistischen Zentren, da internationale Wirtschaftsverflechtungen durch den Aufstieg neuer Schwellenländer ab den 1980er Jahren und die zunehmende Integration des Weltmarktes, die durch den Zusammenbruch der staatssozialistischen Despotien des „Ostblocks“ in den 1990er Jahren vorangetrieben wurde und zu einem entsprechenden Anstieg des Welthandels mitsamt  Auslandsinvestitionen führte,[60] noch einmal deutlich zunahmen.

Diese historische Entwicklungs wurde unter der Bezeichnung „New Economy“ berühmt, womit eine angeblich neue Phase der kapitalistischen Produktionsweise gemeint war, die durch einen Strukturwandel weg von einer „Industriegesellschaft“ hin zu einer „Informationsgesellschaft“ geprägt gewesen sein soll. Die Grundlage dafür sollte die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien (sog. „IKT“) und ihre Anwendung in verschiedenen Produktionszweigen als „Querschnitttechnologien“ bilden. Tatsächlich war der IKT-Sektor, obwohl er lediglich einen relativ kleinen Produktionszweig der US-Wirtschaft ausmachte, für ungefähr ein Drittel des Produktivitätswachstums zwischen 1993 und 1999 verantwortlich.[61]Die Ursache hierfür bestand aber nicht in der Etablierung einer postindustriellen Gesellschaft durch „Informatisierung“, sondern darin, dass mit der Verkürzung der Umlaufszeit des Kapitals durch die Entwicklung der Produktivkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologien eine dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegenwirkende Ursache erheblich verstärkt wurde.[62] Durch den Aufschwung dieser Technologien konnte die Umlaufszeit des industriellen Kapitals in den Vereinigten Staaten soweit reduziert werden, dass sie dem Fallen der nationalen Durchschnittsprofitrate nicht nur deutlich entgegenwirkte, sondern dieses sogar teilweise umkehrte. Eine zentrale Rolle dabei spielten die „multinationalen Unternehmen“ des „Technologiesektors“, welche bereits Ende der 1980er Jahre einen immensen Bedeutungszuwachs erhalten hatten und im Rahmen des „Neoliberalismus“ zur dominierenden Unternehmensform geworden waren. Der Marktwert dieser IT-Konzerne überholte innerhalb relativ kurzer Zeit den der bislang führenden Unternehmen in der Transportindustrie, insbesondere der Automobilindustrie und im Flugzeugbau, weil sie durch die Produktivkraftentwicklung der Technologie hohe Extraprofite erzielen konnten.

Das durch den erneuten Anstieg der allgemeinen Profitrate induzierte Wirtschaftswachstum der USA führte weltweit zur Hoffnung auf ein neuen „Goldenes Zeitalter“ der „Informationsgesellschaft“, als eine neue langanhaltende Prosperitätsperiode in den kapitalistischen Zentren, in denen sich die IKT durchzusetzen begannen. Entsprechend der Vorreiterrolle der USA sollte diese Gesellschaft ökonomisch durch einen Anstieg der Produktivität und Wirtschaftswachstum, einen steigenden Konsum, eine mäßige Inflationsrate, steigende Löhne, den tendenziellen Wegfall unqualifizierter Arbeitskraft und eine sinkende Arbeitslosigkeit gekennzeichnet sein. Dabei stelle die Etablierung und gesellschaftliche Verallgemeinerung der IKT laut den Vertretern der „New Economy“ eine neue „industrielle Revolution“ dar, weshalb die durch diese Technologie vermittelte „Digitalisierung“ auch als „dritte“ bzw. „digitale Revolution“ bezeichnet wurde, die nicht nur den unmittelbaren Produktionsprozess des Kapitals, sondern auch das Alltagsleben der Menschen umwälze.[63] Da es sich bei Informations- und Kommunikationstechnologien um computerbasierte Hochtechnologien handelt, sollte durch den wirtschaftlichen Aufschwung der Computerindustrie die materielle Voraussetzung für diese „digitale Revolution“ geschaffen werden. Tatsächlich führte der Aufschwung dieser Industrie zu einer immensen Verbreitung von Computern, wobei der sich nahezu explosiv ausweitende Zugang zum Internet als Informations- und Kommunikationsmittel die propagandistische Tendenz des Kapitals zur Herstellung des Weltmarktes deutlich verstärkte. Damit machte sich historisch erneut die sich gegenseitig verstärkende Wechselwirkung zwischen der propagandistischen Tendenz des Kapitals und der Entwicklung technologischer Produktivkräfte geltend: die steigende Stufenleiter der kapitalistischen Produktion führte zur Entwicklung der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien, welche die Tendenz des Kapitals zur Produktion für den Weltmarkt verstärkte, wodurch wiederum der Aufschwung dieser Technologien angetrieben wurde. Obwohl die USA im internationalen Vergleich eine Vorreiterrolle beim Boom der „New Economy“ einnahm, entwickelte sie sich wirtschaftlich langsamer als Westeuropa und andere Länder, in denen sich die IKT-Branche etablierte, wobei sich das Wachstum der Kommunikationstechnologie stärker reduzierte als das der Informationstechnologie. Im Verlauf der 1990er Jahre schlossen diese anderen Länder gegenüber dem Produktivitätsvorsprung der USA auf, die schließlich ab 1998 sogar in einen Rückstand geriet. Damit einhergehend sanken auch die Weltmarktanteile der USA im IKT-Bereich.[64]

Einhergehend mit dem Aufschwung der „New Economy“ in den USA setzte sich zunehmend eine Privatisierung von Innovationsideen durch, die allerdings bereits zuvor aufkam: Kapitalisten investierten ihr Geldkapital zur Sicherung „innovativer Ideen“, um sich Konkurrenzvorteile bei der Etablierung neuer Produktionszweige der Informations- und Kommunikationstechnologien und der Erschließung neuer Absatzmärkte zu verschaffen. Zugleich revolutionierte die Ausbreitung der IKT die Unternehmensorganisation, indem sie durch verbesserte Informations- und Datenverarbeitung sowie Kommunikationsmittel eine optimierte Kontrolle und Steuerung der Unternehmen ermöglichte: Die Produktion wurde zunächst in einzeln gemanagte Arbeitsprozesse als Teile einer Wertschöpfungskette zergliedert, welche anschließend ausgelagert (sog. „outsourcing“) werden konnten, was eine Ökonomisierung der Zirkulationskosten durch die Etablierung effektiver Netzwerke mit Lieferanten und direktere Absatzbeziehungen zu den Endkonsumenten ermöglichte. Die Vertreter der „New Economy“ strebten daher, im Unterschied zu den vorangegangenen politischen Ökonomen (sog. „Old Economy“), eine Massenproduktion an, die nicht wie in der großen Industrie des „fordistischen“ Typs standardisiert, sondern individuell auf die jeweiligen Kunden zugeschnitten sein sollte (sog. „mass customization“). Sie proklamierten ein Ende des Konjunkturzyklus, zumindest aber wirtschaftlicher Krisen und der Inflation.[65] Anstelle der industriell produzierten und standardisierten Massenwaren mit materiellen Werten trete eine „Informationsökonomie“ von „digitalen Gütern“ mit „immateriellen“ Werten, d.h. der materielle Produktionsprozess des Kapitals werde im Zuge der „digitalen Revolution“ sekundär oder sogar historisch obsolet.[66] Tatsächlich führte die „Digitalisierung“ allerdings keinesfalls zu einem Untergang der materiellen Produktion, sondern lediglich zur Entfaltung der modernen Produktivkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologien, die durch ihre Anwendung auf den unmittelbaren Produktionsprozess des Kapitals zu einer Ökonomisierung der Produktionsmittel durch digitale Vernetzung, eine höheren Stufenleiter der Kooperation und eine fortschreitende Automatisierung in der großen Industrie führten. Die „digitale Revolution“ der technischen Basis des kapitalistischen Produktionsprozesses, aber auch des Alltagslebens vollzog sich dabei keinesfalls unabhängig von „physischen Gütern“, sondern die „Digitalisierung“ war überhaupt nur dort möglich, wo eine bestimmte technische Infrastruktur als ihre materielle Voraussetzung gegeben war. Andererseits nahm die Bedeutung der mit den Informations- und Kommunikationstechnologien verknüpften Dienstleistungen mit deren gesellschaftlicher Verallgemeinerung in den verschiedenen Produktionszweigen und dem Alltagsleben der Menschen immens zu. Dies betraf nicht nur Dienstleistungen zur Bereitstellung dieser Technologien, sondern auch Dienstleistungen zur Erlangung der im Umgang mit diesen Technologien notwendigen Fähigkeiten (sog. „product-skill complementarity“) wie z.B. Schulungen. Zugleich wurde die IKT in den USA wiederum vorrangig in dem durch diese Technologien aufblühenden „Dienstleistungssektor“, insbesondere in der Beratungsbranche eingesetzt.

Damit einhergehend fand ein Strukturwandel der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Zentren, in denen sich die IKT durchsetzte und gesellschaftlich verallgemeinerte, statt. Dieser Wandel führte keineswegs zu dem von Soziologen und Journalisten proklamierten „Ende der Arbeitsgesellschaft“, sondern durch ihn entfaltete sich lediglich die der großen Industrie immanente Tendenz zur relativen Emanzipation der Arbeit von den Naturkräften der menschlichen Arbeitskraft. Die bereits mit der Maschinerie in der großen Industrie einsetzende Emanzipation des Arbeitsmittels von den „persönlichen Schranken menschlicher Arbeitskraft“[67] wurde durch die IKT insofern zugespitzt, als der Arbeiter nun selbst als lebendiges Anhängsel der Maschinerie zunehmend obsolet wurde und stattdessen als Regulator und Kontrolleur des kapitalistischen Produktionsprozesses neben den Arbeitsprozess trat. Damit einher gingen arbeitsmarktpolitische Forderungen an eine zunehmende „Flexibilisierung“ und „Optimierung“ der menschlichen Arbeitskraft, die dazu ausgebildet und angehalten werden sollte, sich an die im Zuge der Revolution ihrer technischen Basis wechselnden Erfordernisse der kapitalistischen Produktion anzupassen. Zugleich emanzipierte sich die Arbeit teilweise von ihrer Beschränkung auf fest eingegrenzte Räume wie die Fabrik und wurde zunehmend mobil, was allerdings keineswegs zu einer „absoluten Entwurzelung“ der Arbeit durch eine grenzenlose Mobilität führte.[68] Als Kehrseite dieser Emanzipation entwickelten sich verschiedene Formen einer formell selbständigen Arbeit, die tatsächlich jedoch, wo sie sich nicht im Rahmen einer nichtkapitalistischen Warenproduktion betrieben wurde, unter das Kapital subsumiert blieben und eine Ausdehnung prekärer Beschäftigungsverhältnisse nach sich zogen. Diese Ausdehnung war, neben dem Anstieg regulärer Beschäftigung im Zuge des Produktivitätswachstums, ein entscheidender Faktor für das Sinken der Arbeitslosigkeit in den USA. Trotzdem spitzte sich der Klassenantagonismus zwischen der US-amerikanischen Bourgeoisie und dem Proletariat weiter zu. Das drückte sich, wie bereits unter der Regierung Reagans, erneut in einer Verschiebung der Einkommensverteilung zugunsten der wirtschaftsstärksten Fraktionen der Bourgeoisie auf Kosten der am schlechtesten gestellten Teile des Proletariats aus. Dennoch traten, vor dem ökonomischen Hintergrund steigender Einkommen und abnehmender Arbeitslosigkeit bei niedrigen Inflationsraten, für etliche US-Bürger soziale Probleme vorübergehend relativ in den Hintergrund. Nicht zufällig traten in dieser Dekade wirtschaftlicher Prosperität, katalysiert durch den Wegfall des „Realsozialismus“ als äußeren Gegner mit das Ende des „Kalten Krieges“, zunehmend „Kulturkämpfe“ (sog. „culture wars) um weltanschauliche Fragen (wie Homosexualität, Abtreibung, Waffenrechte, Laizismus u.a.) zwischen Liberalen und Konservativen in den Vordergrund, die zu einer politischen Polarisation der Vereinigten Staaten führten.

Das neue „Goldenen Zeitalter“ einer digitalisierten „Informationsgesellschaft“, welche die Anhänger der „New Economy“ als Propheten einer neuen Entwicklung technologischer Produktivkräfte proklamierten, erwies sich allerdings bereits mit der Entwertung der Aktien von Dotcom-Unternehmen zu Billigaktien (sog. „pennystocks“) und endgültig mit dem Platzen der spekulativen Dotcom-Blase (sog. „New Economy Bubble“) im März 2000 als Illusion. Durch dieses Platzen zeigte sich, dass die einstmals als „Zukunftsunternehmen“ betrachteten „Start-ups“, deren Geschäftsmodelle wegen grundlegender konzeptioneller Mängel zum Scheitern verurteilt gewesen waren, zu hochbewertet worden und nicht profitabel genug waren, um die Gewinnerwartungen der Anleger erfüllen zu können. Auf der Grundlage der scheinbaren Verdoppelung ihres industriellen Kapitals in reproduktiv fungierendes und fiktives Kapital wurden die Börsenwerte der Dotcom-Unternehmen spekulativ aufgeblasen, da Anleger an den erwarteten künftigen Gewinnen der „Start-up-Unternehmen“ mit  Dividenden beteiligt werden wollten oder ihre eigenen Aktien an diesen Unternehmen im Verlauf der steigenden Börsenkurse gewinnbringend weiterverkauften. Außerdem stieg die Börsenbewertung der Dotcom-Unternehmen aufgrund einer rasant steigenden Nachfrage von neu auf dem Aktienmarkt auftretenden Kleinanlegern exorbitant. Während die Sparquote der US- amerikanischen Privathaushalte von 1991 bis 1999 von 8 auf 2 Prozent sank, stieg ihre Verschuldung gemessen am Einkommen auf 90 Prozent. [69] Mit diesen Schulden wurden nicht nur  Waren zur individuellen Konsumtion gekauft, sondern auch Aktien. Darüber hinaus waren, als Ergebnis der Reorganisation der Unternehmensstrukturen, auch Angestellte und Arbeiter mit Aktienanteilen an den börsennotierten Kapitalen, unter deren Kommando sie arbeiteten, beteiligt worden. Der Abzug des fiktiven Kapitals, den Großanleger bei den ersten Anzeichen eines Kursabfalls der börsennotierten Dotcom-Unternehmen vornahmen, führte bei diesen Kleinanlegern zu Panik und einem umgehenden Verkauf ihrer Wertpapiere, wodurch es zu einem rapiden Kurssturz und schließlich zu einem Zusammenbruch des gesamten Aktienmarktes für Dotcom-Unternehmen kam (vgl. Abb. 5).

Abbildung 5

Mit der durch diesen Kurssturz notwendigen Korrektur der Aktiennotierungen der Dotcom-Unternehmen zeigte sich praktisch, dass die Informations- und Kommunikationstechnologien keinesfalls auf „immateriellen Werten“ von „digitalen Gütern“, sondern nach wie vor auf materiellen Werten der in der IKT-Branche reproduktiv fungierenden Einzelkapitale beruhten, an welche die Größe der spekulativ aufgeblasenen Wertpapiere durch das Platzen der Blase realistischerweise angepasst wurde.[70] Mit dem Übergang der USA in eine Rezession, die auf dieses Platzen folgte, und einer anhaltenden stagnativen Phase der Akkumulation des US-Nationalkapitals erwies sich sowohl die Erwartung eines Endes des Konjunkturzyklus oder mindestens ökonomischer Krisen als auch einer durch die „New Economy“ induzierten neuen langanhaltenden Prosperitätsphase als Mythos. Da im Zentrum dieses Mythos der „New Economy“ der Aktienboom an den Wertpapierbörsen in den 1990er Jahren stand, der mit dem Platzen der Dotcom-Blase in einem Börsencrash endete, verlor mit diesem Crash auch der gesamte Mythos seine einstige Legitimation. Durch das Platzen der Dotcom-Blase wurde allerdings nicht die Entwicklung der Produktivkraft der Technologie im Bereich der Informations- und Kommunikationsmittel obsolet.[71] Es zeigte sich lediglich, dass die „New Economy“ und die „digitale Revolution“ keineswegs die grundlegenden Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise außer Kraft setzten, geschweige denn diese Produktionsweise wie von selbst überwinden konnten. Ebenfalls erwies sich die Unterscheidung zwischen der klassischen, industriellen Wirtschaft und der „New Economy“ als hinfällig. Die langfristigen Auswirkungen der unter der „New Economy“ gefassten historischen Entwicklung auf das wirtschaftliche Wachstum in den entwickelten kapitalistischen Ländern, insbesondere in den Vereinigten Staaten blieb im Rückblick betrachtet insgesamt relativ beschränkt. Die Computerindustrie verlor in den USA zunehmend an ökonomischer Bedeutung, was sich in äußerst geringen Produktivitätszuwächsen ausdrückte. Die gesamte IKT-Branche führte zwar, insbesondere durch neue technologische Mittel zur Information und Kommunikation sowie zur individuellen Konsumtion (z.B. über „sozialen Medien“ oder Apps per Smartphone) zu einer historisch außergewöhnlichen Umwälzung des Alltagslebens, aber im Vergleich zu den ökonomischen Folgen anderer Industrien (wie seinerzeit der Elektro- oder Chemieindustrie) spielte sie historisch bislang eine vergleichsweise geringe Rolle. Obwohl sie zu einem vorübergehenden Produktivitätswachstum und langanhaltenden Aufschwung der US-Wirtschaft führte, stellte sie letztlich keinen neuen Stimulus für eine erneute beschleunigte Kapitalakkumulation da, weil die Profitrate des nationalen Gesamtkapitals der Vereinigten Staaten auch im Zuge des „New Economy“-Booms nicht mehr das Niveau des „Goldenen Zeitalters“ der Nachkriegsprosperität erreichte.[72]

8. Die US-Wirtschaft im Zuge der „Großen Rezession“ 2007-2009

Seit Mitte der 1970er Jahre hatten die Vereinigten Staaten die kapitalistische Weltwirtschaft in einem fragilen Gleichgewicht gehalten, indem sie die notwendige Nachfrage für Exporte zunächst aus Deutschland und Japan sowie später auch aus China schufen. Infolgedessen entwickelten sie sich vom einstmals größten Gläubigerland, zu dem sie im Zuge des Zweiten Weltkrieges avanciert waren, zur weltgrößten Schuldnernation. Das zeigte sich daran, dass der Kapitalverkehr der USA vom Jahr 1980 auf das folgende Jahr abrupt umdrehte, d.h. es kam zu einem plötzlichen Umschwung von einem starken Überschuss an Kapitalexporten hin zum Aufbau eines großen Handelsbilanzdefizits durch Kapitalimporte. Die tieferliegende Ursache dafür war der faktische Verlust der Rolle der USA als Demiurg des bürgerlichen Kosmos, wobei der rasante Aufbau des Außenwirtschaftsdefizit zusätzlich den Übergang zu frei flottierenden Wechselkursen durch den Übergang zu frei flottierenden Wechselkursen aufgrund des Zusammenbruchs des Bretton Woods-Systems verstärkt wurde. Im Jahr 1986 wurde die Nettoauslandsposition der USA schließlich endgültig negativ, d.h. die USA wurden von einem Nettogläubigerland zur Nettoschuldnernation, wobei die Tendenz zur Nettoverschuldung sich ab 1988 verstärkt durchsetzte. In der Folge betrug die US-Nettoschuld gegenüber dem Ausland im Jahr 1991 etwa 650 Milliarden US-Dollar.[73] Dementsprechend sank der Handelsbilanzsaldo der USA, insbesondere ab den 1990er Jahren, durch die Tendenz zur verstärkten Nettoverschuldung im Ausland rasant. Durch Importe ausländischen Geldkapitals, d.h. eine monetären Auslandsverschuldung wurde versucht, diese Verschuldung zu kompensieren. Dabei wurde, neben Direktinvestitionen in das produktive Kapital, ein Teil des importierten Geldkapitals zur Stimulation der binnenwirtschaftlichen Konsumnachfrage genutzt. Darüber hinaus wurde versucht, das Leistungsbilanzdefizit im auswärtigen Handel durch Investitionen ausländischen Kapitals an den US-amerikanischen Börsen zu kompensieren, wodurch sich dem exorbitanten Wachstum des Handelsdefizit relativ hohe Käufe von US-Wertpapieren gegenüberstellten.[74] Die ausländischen Geldkapitalisten versuchten, durch ihr an den US-Wertpapierbörsen angelegtes Kapital Differenzgewinne aufgrund unterschiedlicher Zinsfüße und Erwartungen an die flexiblen Wechselkurse zu machen. Das manifestierte sich im Haussieren der US-Wertpapierbörsen bis zum Börsencrash am 19. Oktober 1987 (sog. „Schwarzer Montag“). Vor dem historischen Hintergrund langfristig gefallener Profitraten sank ab Mitte der 1980er Jahre die Investitionsquote gemessen am BIP in den USA, während die Nettoauslandverschuldung ebenso zunahm wie der Kauf von US-Wertpapieren.[75]

Nach dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 kam es zur kurzweiligen Erholung der Konjunktur in den USA und auf dem Weltmarkt. Die tragenden Säulen dafür waren die Verschuldung privater Unternehmen, auf Kredite durch Privatschulden beruhendes Nachfragewachstum, d.h. der kreditfinanzierte Kauf individueller Konsumtionsmittel und steigende Staatsverschuldung. Zentral für die wesentlich durch die Nachfrage nach individuellen Konsumtionsmitteln bedingte Erholung der US-Konjunktur nach der Jahrtausendwende war der Aufschwung der Bauwirtschaft, die durch niedrige Zinssätze und eine kreditfinanzierte Nachfrage nach Immobilien stimuliert wurde. Diese Nachfrage beruhte auf Hypothekarkrediten in Höhe von insgesamt 5,8 Billionen US-Dollar, was ungefähr 40 Prozent der gesamten Privatverschuldung in den USA ausmachte. Trotz steigender Häuserpreise konnten sich aufgrund der großzügigen Gewährung von Privatkrediten durch US-amerikanische Hypothekenbanken auch finanziell schwache Teile der Gesamtbevölkerung, insbesondere die ökonomisch relativ schlecht gestellten Teile der US-amerikanischen Arbeiterklasse den Kauf von Immobilien leisten, wobei es vorrangig um den Erwerb von Wohnhäusern und Wohnungen als Eigenheimen ging.[76] Die Vergabe dieser Kredite war allerdings nicht die Ursache für den Aufschwung der US-amerikanischen Bauwirtschaft, sondern katalysierte diesen lediglich. Ursächlich für den Boom in der Bauwirtschaft war vielmehr eine zunehmende Anlage von überschüssigem Geldkapital, das infolge der langfristigen Tendenz zum Sinken der nationalen Durchschnittsprofitrate und der beschleunigten Geldkapitalakkumulation freigesetzt worden war, in den Immobiliensektor.[77] Da sich die Tendenz zum Fallen der Profitrate während der Periode der Nachkriegsprosperität nicht nur in den USA, sondern in allen entwickelten kapitalistischen Nationen durchgesetzt hatte, war auch die Anlage überschüssigen Geldkapitals im Immobiliensektor ein allgemeines Phänomen in den kapitalistischen Zentren. Dementsprechend war der durch die Vergabe von Hypothekarkrediten angeheizte Immobilienboom auch keinesfalls auf die USA beschränkt, sondern fand etwa ebenso in Europa statt. In der Folge kam es, insbesondere in Großbritannien und südeuropäischen Ländern wie Spanien, zur Bildung einer spekulativen Immobilienblase (vgl. Abb. 6).

Abbildung 6

Langfristig führte die Anlage von überschüssigem Geldkapital im Immobiliensektor allerdings zu einer Erhöhung der organischen Zusammensetzung des in diesem Sektor fungierenden Kapitals, womit der tendenzielle Fall der Profitrate wiederum verschärft wurde. Daher kündigte sich Ende des Jahres 2005 ein wirtschaftlicher Abschwung des US-Immobiliensektor an, der dann Anfang 2006 vollends durchschlug und sich zunehmend beschleunigte. Damit zeigte sich im Nachhinein, dass es zu einer partiellen Überproduktionskrise im Immobiliensektor gekommen war: obwohl die Bevölkerung in den USA im Zeitraum von 2000 bis 2007 um etwa 20 Millionen zunahm, also um fast 1 Prozent pro Jahr wuchs, waren gemessen an der zahlungsfähigen Nachfrage zu viel Immobilien gebaut worden.[78] Daher kam es zu einem Überangebot auf dem Immobilienmarkt, in dessen Folge die Bauproduktion zurückging. Das führte zu Kündigungen im Bausektor und den Zulieferindustrien, also einer entsprechenden Zunahme der Arbeitslosigkeit. Durch diesen Verlust von Arbeitsplätzen kam es nicht nur zu gravierenden Lohnausfällen, sondern vor dem Hintergrund der seit den 1970er Jahren weitgehend stagnierenden Reallohnentwicklung hatten die arbeitslos gewordenen Segmente des US-amerikanischen Arbeiterklasse auch keinerlei Rücklagen gebildet. Die zuvor in der Immobilien- und Bauwirtschaft beschäftigten Teile des Proletariats könnten daher selbst nicht mehr die Hypothekarkredite für ihre eigenen Häuser bedienen, was zu einer Welle von Zwangsversteigerungen und -räumungen führte. Damit stieg auch die Wohnungslosigkeit an, was den Preisdruck auf den Immobilienmarkt noch erhöhte. Etliche US-Bürger verloren so zunächst ihren Job, dann ihre Haus und schließlich auch noch ihr durch wenige Ersparnisse angehäuftes Vermögen.

Im weiteren Verlauf sprang die Krise des Immobiliensektors auf den Banken- und Kreditsektor der US-Wirtschaft über: das Platzen der Hypothekarkredite, also die Zahlungsausfälle der von finanzschwachen Privathaushalten des US-Proletariats aufgenommenen Kredite für Immobilien, führte zum Zusammenbruch des Marktes für Hypothekarkredite mit geringer Bonität (sog. „Subprime-Markt“).[79] Damit breitete sich die Krise auf die US-Banken aus, die als Gläubiger für diese Hypothekarkredite fungierten. Zuerst gerieten die beiden privaten, aber staatsnahen Hypothekenbanken „Fannie Mae“ und ihr Konkurrent „Freddie Mae“ in finanzielle Schwierigkeiten. Sie konnten nur durch Finanzhilfen der US-Regierung vor dem Bankrott gerettet werden und wurden schließlich unter Regierungsaufsicht gestellt. Der mit der Ausbreitung der Krise auf die US-Banken einhergehende drohende Umschlag des Kredit- in das Monetarsystem im Interbankenhandel, in dessen Folge sich die Banken untereinander kein Geld mehr in der Form des Bankenkredits geliehen hätten, konnte nur dadurch verhindert werden, dass die Fed als Kreditgeber letzter Instanz (sog. „lender of last restort“) einsprang und eine Insolvenzwelle zahlreicher US-Privatbanken verhinderte, indem sie die Liquidität des Interbankenhandels gewährleistete. Dadurch konnte eine drohende Kreditklemme verhindert werden. Im Zuge dieser Entwicklung schwenkte die Fed von ihrem bisherigen restriktiven Kurs in der Geldpolitik zu einer geldpolitischen Lockerung um. Verschärfend kam hinzu, dass die Kreditrisiken durch ihren globalen Weiterverkauf mittels bestimmter Kreditinstrumente wie „Kreditverbriefungen“ (sog. „collateralized debt obligation“, CDO) und dem Handel mit Kreditderivaten durch Versicherungen für diese Verbriefungen (sog. „credit default swaps“, CDS) internationalisiert worden waren. Dadurch wurde der langfristige ökonomische Trend zur wachsenden Verschuldung privater Unternehmen und des öffentlichen Haushalts sowie steigender Finanzspekulation bei geringer Profitabilität seit dem „Globalisierungsschub“ ab dem Ende der 1970er Jahre katalysiert. Diese Potenzierung von Finanzspekulationen durch diese neuen Instrumente drückte sich im Drang nach finanzpolitischer „Deregulierung“ aus. Diese „Deregulierung“ war also nicht, wie in zahlreichen bürgerlichen und auch „marxistischen“ „Analysen“ behauptet wird, ursächlich für die als „Große Rezession“ bezeichnete Krise von 2007 bis 2009.[80] Die entscheidende Ursache dafür, dass diese Rezession den Charakter einer „Großen Krise“ annahm, bestand letztlich in dem von der „Ölkrise“ Mitte der 1970er Jahre markierten Ende der Phase der beschleunigten Kapitalakkumulation durch den sich in den entwickelten kapitalistischen Industrienationen durchsetzenden tendenziellen Fall der Profitrate. Nach diesem Ende versuchten die Regierungen der kapitalistischen Zentren über dreißig Jahre lang, durch ihre Wirtschaftspolitik eine tiefgreifende und langandauernde schwere Depression hinauszuzögern. Durch ihren Staatsinterventionismus verhinderten sie langfristig die Bereinigung ihrer nationaler Gesamtkapitale durch die Entwertung seines fixen Kapitalbestandteils, wodurch sich langfristig Überkapazitäten dieses Kapitals bildeten, die zu überzyklischen Disproportionen zwischen der Produktion und der Zirkulation des Kapitals führten. Der historische Kontext der „Großen Rezession“ bestand daher in der sich zunehmend durchsetzenden säkularen, d.h. langfristig wirkenden Tendenz zu einer verlangsamten Kapitalakkumulation in den entwickelten kapitalistischen Nationen.[81]

Ab Mitte 2008 kam es aufgrund einer Überproduktion von fixem Kapital in allen entscheidenden Produktionszweigen des Weltmarkts schließlich zu einer allgemeinen Krise der reproduktiven Kapitalakkumulation in den entwickelten kapitalistischen Ländern, die eine sich in der Form einer Kredit- und Bankenkrise ausdrückende entsprechende Handelskrise einschloss. Diese allgemeine Überproduktionskrise und nicht die zunehmenden Finanzspekulationen sowie ihre politische Flankierung durch eine „Deregulierung“ der „Finanzmärkte“ war ursächlich für den zyklischen Abschwungder Weltkonjunktur. Damit weitete sich die anfänglich partielle Krise des US-Immobiliensektors, die sich bereits zu einer nationalen Bankenkrise der USA entwickelt hatte, zu einer Weltwirtschaftskrise aus, die im Jahr 2009 zum größten ökonomischen Einbruch in der gesamten Nachkriegszeit führte. Das drückte sich für die USA unter anderem in einer gravierenden Abnahme des negativen Handelsbilanzsaldos aus. Die auf den Weltmarkt exportorientierten Großkapitale der entwickelten kapitalistischen Länder waren besonders stark von der Überakkumulationskrise betroffen, weshalb ihre Kreditwürdigkeit bei den Banken zur Disposition stand und ihnen nur noch Kredite zu restriktiven Konditionen gegeben wurden. Damit drohte wiederum ein potenzieller Umschlag des Kredit- ins Monetarsystem, aber dieses Mal nicht nur im Interbankenhandel, sondern ebenso bei den Handelskrediten. Dadurch wurde die bereits lockere Geldpolitik der Fed ausgebaut und ging schließlich bis zu einer extremen Form expansiver Geldpolitik (sog. „quantitative easing“) fort. Durch dieses „quantitative easing“, das de facto eine zugespitzte Form des Monetärkeynesianismus darstellte, konnte das Kapital großer Konzerne unter Inkaufnahme des Risikos einer Inflation gerettet werden, wohingegen die „neoliberalen“ Monetaristen eine „stabile Geldmengenpolitik“ forderten. Hinzu kam die Verstaatlichung von Banken, die sich in gravierenden finanziellen Notlagen befanden, um einen Zusammenbruch des Bankensektors zu vermeiden. Diese „Bankenrettung“ war tatsächlich ökonomisch notwendig, weil dieser Sektor nicht nur einen integralen Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise darstellt, sondern in fortgeschrittenen kapitalistischen Nationen den USA auch eine relativ bedeutsamere Rolle als in anderen kapitalistischen Ländern spielt (sog. „too big to fail“). Daher sprangen wie in den USA auch in den anderen entwickelten kapitalistischen Ländern die Zentralbanken als „lenders of last resort“ ein, um durch die Lockerung ihrer Geldpolitik eine exorbitante Menge an Zentralbanknoten für den Interbankenhandel bereit zu stellen und die Liquidität für die Zirkulation des Kapitals insgesamt sicherzustellen. Zugleich legten die kapitalistischen Zentren und auch die Schwellenländer an der Peripherie des Weltmarkts staatliche Rettungs- und Konjunkturprogramme in unterschiedlicher Höhe auf. Die Kriseninterventionen der Zentralbanken und Regierungen konnten zwar letztlich einen Umschlag des Kredit- ins Monetarsystem verhindern, aber damit wurde auch das Kreditrisiko in den Staatshaushalt verlagert, was unter anderem in den ökonomisch schwächeren Ländern der EU zur Staatschuldenkrise führte.[82] Die Flutung des Geldmarktes mit den Zentralbanknoten der anderen entwickelten kapitalistischen Länder mit entwickelter kapitalistischer Produktionsweise hätte an sich allerdings nicht ausgereicht, um die Liquiditätsposition der jeweiligen nationalen Kredit- und Bankensektoren zu stabilisieren. Da die meisten Forderungen aufgrund der Weltgeldfunktion des US-Dollars als internationaler Leit- und Reservewährung in US-Dollar denominiert waren, musste die Fed als eine Art internationaler „lender of last resort“ fungieren, um den Zusammenbruch dieser Sektoren global abzuwenden. Dafür stellte die Fed den wichtigsten Zentralbanken weltweit zwischen Dezember 2007 und August 2010 durch Verträge zum Devisenaustausch (sog. „liquidity swap lines“) US-Devisen in Höhe von 4,5 Billionen US-Dollar zur Verfügung.[83]

Wie sich die Konkurrenz der Einzelkapitale in konjunkturellen Krisen in einen „Kampf der feindlichen Bürder“ (Marx) verwandelt, da sich der Gegensatz zwischen den individuellen Kapitalisten und der gesamten Kapitalistenklasse durch die Teilung des Verlusts geltend macht, so wirkt auch in jeder Weltwirtschaftskrise wie der „Großen Rezession“ von 2007 bis 2009 die Konkurrenz zwischen den nationalen Gesamtkapitalen auf dem Weltmarkt als ein solcher Kampf. Die wirtschaftspolitischen Reaktionen auf diese Krise trugen daher in den entwickelten kapitalistischen Ländern einen nationalen Charakter, was sich vor allem am Protektionismus als integralem Bestandteil der jeweiligen nationalen Konjunkturprogramme zeigte. In den USA wurde bereits vor Trumps politischer Agenda des „America First“ unter Obama eine „Buy American“-Klausel im „Recovery and Reinvestment Act“ von 2009 festgelegt, laut der für öffentliche Infrastrukturprogramme nur Rohstoffe von US-Herstellern genutzt werden sollten, soweit dadurch die Kosten für infrastrukturelle Projekte nicht über 25 Prozent steigen. Dieser Protektionismus spielte jedoch nicht nur im Rahmen der staatlichen Rettungs- und Konjunkturprogramme eine entscheidende Rolle, sondern wurde auch bemüht, um die sich ab März 2009 in den USA einsetzende wirtschaftliche Stabilisierung und den sich anschließenden erneuten konjunkturellen Aufschwung zu forcieren. So erließ die Obama-Administration etwa im September 2009 Strafzölle auf Reifenimporte aus China, um die inländische Reifenproduktion anzukurbeln, noch bevor es unter Trump zum Handelskrieg mit China kommen sollte. Grundlage dafür war, dass im Zentrum des erneuten konjunkturellen Aufschwungs die Wiederbelebung der Industrieproduktion stand, die in den USA den einstigen Höchststand von vor der „Großen Rezession“ allerdings später als in einigen OECD-Länder wie Deutschland  und den BRIC-Staaten erreichte.[84]

Für die Weltwirtschaft kam es von 2009 bis 2012 zu einem vorübergehenden, aber relativ starken Aufschwung, woraufhin in den Jahren 2012 und 2013 ein kurzeitiger Zwischeneinbruch folgte, an den sich ein langfristiger Aufschwung bis zur „Coronakrise“ seit dem Anfang dieses Jahres anschloss. Die hauptsächlichen Faktoren für diesen Aufschwung nach der „Großen Rezession“ waren die uneinheitliche Entwicklung des Weltmarkts, in deren Rahmen die Schwellenländer weniger von Rezession betroffen waren als die entwickelten kapitalistischen Zentren, die Dämpfung der Krisenfolgen durch erfolgreiche staatliche Rettungs- und Konjunkturprogramme, die in einem vorübergehenden wirtschaftspolitischen Umschwung zum keynesianischen Wirtschaftsparadigma vollzogen wurden, und die Intervention der Noten- bzw. Zentralbanken. In Folge dieses erneuten konjunkturellen Aufschwungs erholte sich der Welthandel relativ schnell und wuchs rasch wieder an, was zu steigenden Exporten in die USA führte. Daher nahm für die US-Wirtschaft ab 2009 auch das Handelsbilanzsaldo wieder signifikant ab, bis es 2018 einen historischen Negativwert von ca. 946 Billionen US-Dollar erreichte (vgl. Abb. 7).

Abbildung 7

Im Unterschied zur EU, die sich unter ökonomischer Führung Deutschlands nach relativ kurzer Zeit vom keynesianischen Wirtschaftsparadigma abwand und erneut zum monetaristischen Paradigma einer „neoliberalen“ Austeritätspolitik mit harten Sparmaßnahmen hinwandte, führte die USA den wirtschaftspolitischen Kurs einer staatlich gestützten Stimulation des erneuten Aufschwungs ihres nationalen Gesamtkapitals fort. Dabei fand allerdings, trotz massiver Entwertungsprozesse, keine tiefgreifende Bereinigung der Überproduktion durch die Entwertung von fixem Kapital statt, die zu einer erneuten langfristigen Stimulation der Profitrate und einer darauf beruhenden neuen langfristigen Phase der Prosperität durch eine gesunkene organische Zusammensetzung des Kapitals hätte führen können.[85] Die Intervention der Zentralbanken und der bürgerlichen Staaten hatte die Entwicklung der „Großen Rezession“ zu einer zweiten „Großen Depression“, die als entscheidendes Mittel gegen die mangelnde Profitabilität des Kapitals hätte wirken können, verhindert. Obwohl die „Große Rezession“ die schärfste Krise seit dem Zweitem Weltkrieg war, änderte sich also nichts grundlegend an den langfristigen ökonomischen Bedingungen für die reproduktive Kapitalakkumulation. Die „Regulierung“ der Finanzmärkte, die kurz nach der Krise international angestrebt wurde, kam über erste Ansätze nicht hinaus. Die USA sperrten sich ebenso wie Großbritannien dagegen, allerdings keinesfalls aufgrund eines nationalen „Egoismus“, sondern aufgrund der entscheidenden Bedeutung, die der „Finanzsektor“ für die Gesamtkapitale dieser entwickelten kapitalistischen Nationen spielt. Im Resultat der „Großen Rezession“ war die bereits zuvor bestehende Verschuldung nicht nur der privaten Unternehmen, sondern auch der öffentlichen Haushalte in nahezu allen entwickelten kapitalistischen Ländern massiv gestiegen, sodass es zu historisch neuen Höchstständen der Verschuldung kam. Die nationalen Gesamtkapitale und Staatshaushalte in den entwickelten kapitalistischen Ländern reagierten auf diesen immensen ökonomischen Druck zum Schuldenabbau mit Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, um den Staatshaushalts zu sanieren, was besonders in der BRD gelang.[86] Zugleich hemmten diese Kürzungen allerdings die öffentliche und die private Konsumnachfrage. Der dadurch entstandenen Nachfragelücken führten wiederum zu einer relativen Verringerung der Investition in produktives Kapital, welche die Stimulation der Profitrate zugunsten einer Periode eines langandauernden wirtschaftlichen Aufschwungs teilweise hemmte. Dennoch kam es in einzelnen Ländern erneut zu einer florierenden Kapitalakkumulation, wenn auch deutlich unter dem Niveau der auf einer beschleunigten Akkumulation des reproduktiven Kapitals beruhenden Periode der Nachkriegsprosperität.

9. Der Aufstieg und die Klassenbasis des „Trumpismus“

Der Wahlsieg des von den Republikanern als Präsidentschaftskandidat nominierten Donald Trump im November 2016 war für die meisten liberalen Bourgeois ein politischer Schock. Sie hatten sich fest an die demoskopischen Voraussagen gehalten, dass die demokratische Kandidatin Hillary Clinton die Wahl mit solidem Abstand gewinnen würde. Obwohl Clinton die meisten aller an der Wahl beteiligten US-Bürger (sog. „popular vote“) gewonnen hatte, verlor sie die Wahl, weil die Stimmen im Gremium der Wahlmänner (sog. „electoral college“) zugunsten von Trump ausgefallen waren.[87] Besonders an Trumps Sieg war, dass er als vollkommener politischer Außenseiter in das Amt des Präsidenten gewählt wurde: Trump galt als Vertreter des „Big Business“, als ein sich insbesondere im Baugeschäft auskennender Geschäftsmann in das Amt gewählt, der die Nationalökonomie der USA wie ein Großunternehmer zu führen versprach. Vor diesem Hintergrund gerierte sich Trump als unkorrumpierbarer „Anti-Politiker“, der Teil eines Gegen-Establishments (sog. „fringe establishment“) sei und denunzierte das angeblich korrupte politische „Establishment“ der US-amerikanischen Demokratie, aber auch Hedgefondsmanager und Wirtschaftslobbyisten („Drain the swamp!“). In Anlehnung an die seinerzeitige Wahlstrategie Richard Nixons und mit seinen Erfahrungen aus dem „Show Business“ inszenierte sich Trump in einem klassischen populistischen Topos als genuiner Repräsentant einer „schweigenden Mehrheit“ (sog. „silent majority“) der US-amerikanischen Bevölkerung, insbesondere ihres angeblich „vergessenen Teils“ (sog. „forgotten men“). Die US-Medien saßen diesem trumpistischen Spektakel von Anfang an auf und gaben Trump etliche Möglichkeiten, um sein politisches Programm ausgiebig propagieren zu können. Außergewöhnlich an dem Wahlsieg Trumps war aber auch, dass er sich sogar gegen das Establishment seiner eigenen republikanischen Partei, welches er in seinem Wahlkampf teilweise offensiv angriff, durchsetzen musste. Trumps Wahlprogramm setze sich dementsprechend auch nicht ausschließlich aus politischen Positionen der Republikaner, sondern aus verschiedenen Positionen des gesamten Spektrums der bürgerlichen Politik in den USA zusammen, die eklektizistisch zu einer spezifischen Spielart des als „Trumpismus“ bekannt gewordenen Populismus miteinander verknüpft wurden. Diese Besonderheiten führten dazu, dass Trumps Wahlsieg selbst für Teil des konservativen Flügels der US-Bourgeoisie überraschend war.

Der unmittelbare ökonomische Hintergrund von Trumps Wahlsieg bestand in einem Wachstum der US-Wirtschaft bei sinkender Arbeitslosigkeit, der auf einen bereits unter Obama einsetzenden Konjunkturaufschwung zurückging, und eine steigende Staatsverschuldung, die durch die im Zuge der „Großen Rezession“ von 2007 bis 2009 unter dieser Regierung erlassenen staatlichen Konjunktur- und Rettungsmaßnahmen noch potenziert wurde. Auch die Schulden der privaten Haushalte waren bedingt durch die vorangegangene Krise stark angestiegen. Darüber hinaus stieg auch der negative Handelsbilanzsaldo aufgrund der sich erholenden Weltkonjunktur und des sich im Aufschwung befindenden Welthandels wieder deutlich an. Zugleich forcierte das auf einer zunehmend unterschiedlichen Entwicklung der Produktivkräfte und Entwicklungsstufe der Produktionsverhältnisse beruhende „Wohlstandgefälle“ zwischen Nord- und Südamerika die Migration in die Vereinigten Staaten aus Mittel- und Lateinamerika. Die von Trump vertretene politische Agenda des „America first!“ vereinte demgemäß handelspolitisch eine Art „Neomerkantilismus“, der sich vorrangig durch einen mit aggressiveren Mitteln vertretenen Protektionismus auszeichnete, mit einer einwanderungspolitischen Beschränkung bzw. Beendigung der Migration in die USA, die selbst vom republikanischen Mainstream aus rechts stand und rassistisch legitimiert wurde. Diese angestrebte Einwanderungspolitik wurde vor allem an dem Bau einer Mauer zu Mexiko („Build the wall!“) spektakulär festgemacht. Außerdem lobte Trump den Sozial- und Wohlfahrtsstaat in anderen Ländern und verkündete, anstelle von „Obamacare“ eine Gesundheitsversorgung mit mehr Optionen implementieren zu wollen. Zugleich versprach er, keine Sozialkürzungen vorzunehmen, sondern kündigte stattdessen sogar massive öffentliche Ausgaben zur Auflage eines Konjunkturprogramms an, um die Reallöhne insbesondere der zwei Drittel niedrigqualifizierten und prekär beschäftigten Arbeiter in den USA zu erhöhen. Diese angedachte Sozialpolitik stand wiederum deutlich links vom republikanischen Establishment.[88]

Das mittlerweile berühmt-berüchtigt gewordene Wahlkampfmotto „Make America Great Again“ übernahm Trump von seinem politischen Vorbild Ronald Reagan, dessen Kampagne zur Präsidentschaftswahl 1980 unter dem Slogan „Let’s make America great again“ lief. Entsprechend seines eklektizistischen politischen Programms einte Trumps Anhängerschaft, obwohl dieser durchaus gezielt ein rechtes Wählerklientel ansprach,[89] keinesfalls ein konservativer Dogmatismus, sondern eine diffuse Ablehnung des gängigen Stils und bestehenden Zustandes der bürgerlichen Politik in den Vereinigten Staaten. Der Wahlkampf selbst war durch den Versuch einer massiven Einflussnahme Russlands, hinter dem der russische Militärnachrichtendienst „Hauptverwaltung für Aufklärung“ (sog. „GRU“) stand, zugunsten Trumps geprägt: mittels Hackerangriffen wurden in die kommunikative Infrastruktur der Vereinigten Staaten eingegriffen, das digitale Wahlsystem durch Ausspionierung der Betriebsprogramme attackiert und wurden gezielt Falschmeldungen (sog. „fake news“) lanciert.[90] Der Höhepunkt dieser von den US-amerikanischen Geheimdiensten im Nachhinein als „Grizzly Steppe“ bezeichneten russischen Operation, deren Ziel die Unterminierung der Präsidentschaftswahlen und damit der Demokratie in den USA zugunsten des „Trumpismus“ war, bestand in dem Diebstahl zahlreicher Daten und Dokumente des demokratischen Wahlstabes, der zur Veröffentlichung von E-Mails zwischen der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton und ihrem Wahlkampfleiter John Podesta (sog. „Clinton-Leak“) auf dem kritischen Höhepunkt des Wahlkampfes führte.[91] Wie sich im Nachgang der Wahl herausstellte, pflegte das Wahlkampfteam von Donald Trump sogar illegale Kontakte bis in die Spitzen der russischen Despotie hinein, die vor allem über den Russlandlobbyisten und Leiter von Trumps Wahlkampfteam Paul Manafort abgewickelt wurden.[92] Der Hintergrund dieser politischen Zusammenarbeit bestand in den Verstrickungen Trumps nicht nur mit der „offiziellen“ russischen Geschäftswelt, sondern auch mit der russischen Mafia und den russischen Geheimdiensten – also mit dem Kreml. Nicht nur dienten Trumps Immobilien[93] der einstigen Sowjetunion und später Russland zur Geldwäsche in Milliardenhöhe, sondern ohne diese Geldwäsche hätte Trump langfristig seine Geschäfte auch nicht erfolgreich betreiben können: Als Trump Mitte der 1990er Jahre aufgrund von Schulden in Höhe von etwa 4 Milliarden Dollar kurz vor der Insolvenz stand, sprangen die russische Mafia und russische Geheimdienste für ihn in die Bresche, indem sie die Liquidität seines von seinem Vater geerbten Unternehmens „The Trump Organization“ durch die Vergabe von Krediten absicherten. Seitdem befindet sich Trump de facto in finanzieller Abhängigkeit von Russland. Neben teilweise ideologischen und politischen Übereinstimmungen ergibt sich seine enge Beziehung zum russischen Präsidenten Wladimir Putin vor allem aus dieser Abhängigkeit: Auch wenn Trump keinesfalls in einem unmittelbar personellen Sinne eine politische Marionette Putins ist, so stellt er doch in letzter Konsequenz eine Art „Geheimdienstagent“ für den Kreml dar.[94] Nur durch die russischen Kreidte konnte er seine Karriere als US-amerikanischer „businessman“ fortsetzen und schließlich auch in die Politik eintreten, weshalb der „Putinismus“ in dieser Hinsicht eine entscheidende Voraussetzung für den Aufstieg des „Trumpismus“ war.

Als entscheidend für Trumps Wahlsieg wurde in der Nachbetrachtung allerdings weniger die Einflussnahme Russlands auf den Wahlkampf gesehen. Vielmehr wurde gemeinhin behauptet, dass der entscheidende Faktor für diesen Sieg ein „Aufstand“ der „weißen Arbeiterklasse“ in den USA gewesen sei, durch den Trump in das Präsidentschaftsamt gehievt worden wäre. Trump wiederum habe die „weißen Arbeiter“ und insbesondere ihre unteren Schichten, die im Zuge der „Globalisierung“ ökonomisch und kulturell abgehängt worden seien, für sich gewinnen können, indem er in einer Art „Identitätspolitik“ der „white supremacy“ deren Rassismus und Nationalismus angesprochen habe. Tatsächlich hatte Trump laut Nachwahlbefragungen in der weißen Arbeiterschaft, die immerhin etwa 42 Prozent aller Wahlberechtigten in den Vereinigten Staaten ausmacht, einen Vorsprung von 39 Prozentpunkten gegenüber Clinton erhalten.[95] Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass Trump die Wahl vor allem deshalb gewann, weil die übliche Stammwählerschaft der Republikaner ihn wählte: Er erhielt unter allen weißen Wählern nur ein Prozent mehr Stimmen als seinerzeit Mitt Romney, der für die Republikaner 2012 gegen Barack Obama antrat.[96] Der weiße Teil der US-amerikanischen Arbeiterklasse spielte bei der Präsidentschaftswahl Trumps nur deshalb eine relativ wichtige Rolle, weil Clinton im Vergleich zu Obama bei afroamerikanischen, hispanischen und asiatischen Wählern sowie jungen Personen (sog. „Obama-coalition“) deutliche Stimmenanteile verlor, während Trump entgegen demoskopischer Vorhersagen den Großteil potentieller Wechselwähler für sich gewinnen konnte. Die Stimmen, die Trump aus der US-amerikanischen Arbeiterklasse erhielt, kamen vor allem von der weißen ehemaligen Industriearbeiterschaft in den Counties des „rust belt“ im Mittleren Westen, die in den Wahlen zuvor für Obama gestimmten hatten. Für diese Klientel war, aufgrund ihrer Unzufriedenheit mit dem gesellschaftlichen status quo in den USA, das Narrativ „America is Already Great“ der Clinton-Kampagne keine Alternative. Es mag bei der Wahl Trumps rassistisch und auch soziokulturell hinsichtlich „weißer Identität“ motiviert gewesen sein, aber zentral für dieses Segment des US-Proletariats waren letztlich ökonomische Fragen. Wie die republikanischen Wähler insgesamt stimmte auch die weiße vormalige Industriearbeiterschaft in ökonomischen Hinsicht mit dem politischen Programm des „Trumpismus“ überein, vorrangig, weil es ihr um die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Industrie und langanhaltende wirtschaftliche Prosperität ging. Dabei wollten sie zwar mehr Jobs, aber lehnten zugleich staatliche Interventionen durch die US-Regierung ab. Daher setzte sie auf die scheinbare Lösung des „Migrationsproblems“ durch territoriale Abschottung und eine stärkere binnenwirtschaftlichen Verankerung der Industrie durch ein Ende von Freihandelsabkommen und protektionistische Maßnahmen wie Import- und Strafzölle. Obwohl dieses einige hunderttausend Wählerstimmen umfassende Klientel für Trumps Sieg wichtig war, so handelte es sich dabei doch um ein ebenso lokales wie quantitativ beschränktes Phänomen.[97] Dieses Phänomen wird in der Regel damit vermengt, dass bereits lange vor der Wahl Trumps, spätestens seit der Wiederwahl Georg W. Bush Juniors zum US-Präsidenten im Jahr 2004, entscheidende Teile der weißen US-Industriearbeiterschaft zu den Stammwählern der Republikaner gehörten.[98] Trumps Wählerschaft bestand also zwar auch aus Mitgliedern des „weißen“ Teils der industriellen Reservearmee, die im Zuge des fälschlicherweise als „De-Industrialisierung“ bezeichneten Endes der „fordistischen“ Form  der großen Industrie ökonomisch depraviert worden waren und aufgrund einer angeblichen oder tatsächlichen Bedrohung ihrer prekären Lebensbedingungen durch zunehmende Migration einem nationalistischen „Wohlfahrtschauvinismus“ anhingen, aber vor allem aus ökonomisch relativ saturierten weißen Industriearbeitern (sog. „blue collar worker“) und Angestellten (sog. „white collar worker“).[99]

Mit der Vermengung der republikanischen Stammwählerschaft weißer Arbeiter mit dem Überlaufen der zuvor demokratisch wählenden, ehemaligen weißen Industriearbeiter im Mittleren Westen der USA saß die liberale US-Bourgeoise nicht nur der spektakulären Selbstinszenierung Trumps als Vertreter der „schweigenden Mehrheit“ auf, sondern diese Vermengung beruhte selbst auf einem spektakulären, falschen Bild des US-Proletariats: die deklassierten einstigen Industriearbeiter des „rust belt“ wurden, als weißer Teil der „Lazarusschicht“ (Marx) der US-Arbeiterklasse, unmittelbar mit dieser Klasse insgesamt gleichgesetzt. Damit wurde der historisch-spezifische Phänotyp des weißen Industriearbeiters falsch verallgemeinert und damit zugleich davon abgesehen, dass die Zusammensetzung der US-amerikanischen Gesamtarbeiterklasse zur Zeit der Wahl Trumps grundlegend divers war. Die Arbeiterklasse in den USA wurde also „weißgewaschen“, indem von entscheidenden Teilen dieser Klasse abgesehen wurde, deren Attribute (z.B. farbig, migrantisch, weiblich) nicht in die Erzählung von der „weißen Arbeiterklasse“ als Klassenbasis des „Trumpismus“ passten. Dies galt allerdings nicht nur für die US-Arbeiterklasse insgesamt, sondern auch für die als „Trump country“ verfemten ländlichen Regionen, in denen nicht zuletzt migrantische Arbeiterinnen als durchaus hochqualifizierte Arbeitskräfte unter prekären Arbeitsbedingungen arbeiteten, aber keine Wahlerlaubnis besaßen. Obwohl also die Trennung von Stadt und Land eine Rolle beim Wahlsiegs Trump spielte, ist die Erklärung dieses Siegs mittels eines verabsolutierten Gegensatzes zwischen dem „abgehängten Prekariat“ im aufrechten Landesinneren (sog. „heart land“) der USA und den „liberalen Eliten“ in den urbanen Metropolen der Ost- und Westküste, in der sich ein elitärer Sozialchauvinismus der liberalen US-Bourgeoisie gegenüber dem Proletariat ausdrückt,[100] falsch. Vonseiten des linken Populismus, der von den Sozialdemokraten bis zu den Bourgeoissozialisten in den USA reicht, wurde der Mythos von Trumps Wahlsieg als Ausdruck einer weißen „workers revolt“ (Sanders) kolportiert, um gemäß einer avantgardistischen Ideologie die angeblich „vergessene“ und „abgehängte“ weiße Industriearbeiterschaft als politische Manövriermasse für die eigene Agenda zu gewinnen und als Wahlvieh für die Demokraten zu instrumentalisieren. Übersehen wurde dabei, dass zahlreiche Arbeiter, die nicht in das Bild des „weißen Industrieproletariats“ passten, bei der Präsidentschaftswahl 2016 überhaupt nicht wählten. Einer der Hauptgründe für die Entscheidung dieses Teils des US-Proletariats, nicht zu wählen, bestand in den seit dem Jahr 2010 in insgesamt 25 Staaten erlassenen Wahlrestriktionen gegenüber nicht-weißen, vorrangig afro- und lateinamerikanischen US-Bürgern.[101]  Hinzu kam, dass ein Teil dieses Segments der US-Arbeiterklasse aufgrund einer mangelnden Alternative zu den beiden Kandidaten nicht wählten.[102]

Vor allem aber verdeckte der sowohl von Anhängern als auch Gegnern Trumps verbreitete Mythos von der „weißen Arbeiterklasse“ als angeblich entscheidender Kraft für Trumps Wahlsieg die tatsächliche klassenmäßige Basis für den Aufstieg des „Trumpismus“. Die typischen Trumpwähler waren tatsächlich älter, weißer und wohlhabender als die Durchschnittsbevölkerung. So konnte Trump im Unterschied zu Clinton vor allem Wählerstimmen aus Haushalten mit einem Einkommen von mehr als 100.000 US-Dollar pro Jahr gewinnen und insgesamt verdienten ungefähr zweidrittel der Trumpwähler mehr als die durchschnittliche Bevölkerung.[103] Zugleich unterschied sich der harte Kern überzeugter Trump-Wähler allerdings auch von anderen republikanischen Wählern: Sie waren  etwas geringer gebildet und verfügten über relativ geringeres Einkommen als die übrigen Wähler der Republikaner, obwohl sie materiell abgesichert waren und ihr Lebensstandard im Durchschnitt deutlich über dem der prekarisierten und pauperisierten ehemaligen Industriearbeiter aus dem Mittleren Westen lag. Bei diesen überzeugten Anhängern von Trump handelte es sich demgemäß keinesfalls um ein „Trumpenproletariat“. Tatsächlich erhielt Trump weniger von der „weißen Arbeiterklasse“, als vielmehr vom suburbanen Kleinbürgertum Unterstützung: Das kapitalistische Kleinbürgertum war die entscheidende Massenbasis für die den Aufstieg des „Trumpismus“. Das zeigte sich auch daran, dass die größte Menge der zu identifizierenden Spenden für die Trump-Kampagne, nach Ruheständlern, von Geschäftsführern kleiner bis mittelgroßer Unternehmen kam. Selbst ein Jahrzehnt nach der „Großen Rezession“ litten diese immer noch unter mangelnder Liquidität, während sie sowohl steigende Kosten für die Gesundheitsvorsorge als auch für ihre Betriebe zu beklagen hatten. Sie waren der Meinung, dass die besten Jahre schon hinter der USA lagen und sahen kaum noch Grund zur Annahme, dass es ihren eigenen Kindern einst besser gehen würde als ihnen selbst, was allerdings immer schon ein zentraler Bestandteil des „american dream“ gewesen war. Die Angehörigen dieses Kleinbürgertums waren, trotz eines langfristig gesunkenen Lebensstandards, nicht akut von Deklassierung betroffen, aber wurden potenziell damit konfrontiert. Eine solche Deklassierung hätte für sie, aufgrund des residualen Sozialstaates in den USA, einen Sturz in die Bodenlosigkeit bedeutet. Daher hatten sie auch kaum politische Sympathien für einen möglichen Abbau dieses Sozialstaats, etwa durch die Privatisierung des Rentensystems, für die sich aber die Angehörige des US-amerikanischen Konservativismus seit Jahrzehnten politisch erwärmt hatten. Ebenso lehnten sie, im Unterschied zu zahlreichen Großkapitalen, den globalen Freihandel unter der Ägide der USA ab, während sie zugleich rassistisch eingestellt waren und die Immigration als wichtigstes Problem der Vereinigten Staaten betrachteten.[104]
Die Wahl Trumps war demnach kein Ausdruck einer „weißen Arbeiterrevolte“, sondern einer konformistischen Revolte des US-amerikanischen Kleinbürgertums sowohl gegen die von den Demokraten politisch repräsentierte liberalen US-Bourgeoisie in den Metropolen als auch gegen die untersten Schichten der Arbeiterklasse, die als vom Sozialstaat abhängige migrantische Farbige und daher potentielle Konkurrenten imaginiert wurden. Daher verwundert es auch nicht, dass so, wie die meisten Unterstützer Trumps in der Wahl von 2016 „weiß“ waren, so ist auch das kapitalistische Kleinbürgertum in den USA überwiegend „weiß“. Der Mythos von der „weißen Arbeiterklasse“, die Trump in einem „Aufstand“ zum Wahlsieg verholfen hätten, verschleiert also, dass die tatsächliche klassenmäßige Massenbasis für den Aufstieg des Trumpismus in dem vorrangig „weißen“ kapitalistischen Kleinbürgertum der USA bestand.[105] Das ist der Wahrheitskern der soziologisch und politikwissenschaftlich verbrämten Charakterisierung des „Trumpismus“ als spezifischer Variante des „Populismus“, weil letzterer letztlich nichts anderes als eine solche konformistische Revolte umschreibt: wie jedem „Populismus“ geht es dem „Trumpismus“ dort, wo er Bewegung ist, nicht um eine Revolution der grundlegenden gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern um eine Rückkehr zu einem idealisierten vergangenen Zustand der USA durch den Kampf gegen das politische „Establishment“ und die Säuberung der Kommandohöhen der US-amerikanischen Wirtschaft und Politik von „korrupten“ Elementen.

Demgegenüber wurde Trump von etlichen leitenden Unternehmern, die ökonomische Personifikationen der Leitungsfunktion der Großkapitale in den USA darstellen, von Anfang seiner Kampagne an abgelehnt. Selbst diejenigen unter ihnen, welche zu den traditionellen Großspendern der republikanischen Partei gehörten, erschien Hillary Clinton zunächst als das „kleinere Übel“ gegenüber Trump, der von ihnen als zu „radikal“ und unberechenbar für die wirtschaftliche Stabilität der USA betrachtet wurde. Insbesondere Trumps angekündigtes Konjunkturpacket zur Reallohnerhöhung des prekarisierten Teils des US-Proletariats stand im Gegensatz zum Interesse dieser Unternehmer und damit auch zur Agenda der größten US-Wirtschaftslobbys, die lange Zeit die Republikanische Partei unterstützt hatten. Trumps außenpolitischer Isolationismus und sein neomerkantilistischer Protektionismus wurde vor allem von exportorientierten Großkapitalen abgelehnt, die einen Handelskrieg mit China sowie eine Verschlechterung der Handelsbeziehungen mit Europa befürchteten. Insbesondere bei der traditionell als politisch liberal geltenden Kapitalfraktion der IKT-Unternehmen im sogenannten „Silicon Valley“, die aufgrund der den Informations- und Kommunikationstechnologien inhärenten Tendenz zur Internationalisierung des Kapitalverkehrs auf ein liberales Außenhandelsregime angewiesen ist, war Trump äußerst unbeliebt. Diese Fraktion der US-Bourgeoisie wurde von dem eher pragmatischen Flügel der Republikaner repräsentiert. Viele zu diesem Flügel gehörende Republikaner hatten noch während der Vorwahlen beteuert, dass sie niemals Trump unterstützen würden, wählten am Präsidentschaftswahltag dann doch nahezu geschlossen Trump. Die Gründe dafür dürften einerseits in der Parteidisziplin, andererseits in der populären Unterstützung für Trump gelegen haben. Trump wurde also keinesfalls von der republikanischen Partei kooptiert, sondern machte sie sich vielmehr Untertan, bis es im Verlauf seiner Präsidentschaft keine ernstzunehmende innerparteiliche Opposition mehr gab. Andererseits „übernahm“ Trump die Partei aber auch nicht „feindlich“, sondern radikalisierte vielmehr das von den Republikanern selbst vertretene rechtspopulistische Narrativ gegen die „liberalen Eliten“, dass er auf das gesamte „politische Establishment“ ausweitete. Klassenmäßig erfuhr Trump dabei vorrangig von der sich als „wirtschaftslibertär“ verstehenden Fraktion der US-Bourgeoisie Unterstützung, weil sein wirtschaftspolitisches Programm eine Senkung der Unternehmenssteuer, „Deregulierungen“ zugunsten US-amerikanischer Unternehmen, die Unterstützung des Energiesektors durch eine erneuerbare und nicht erneuerbare Ressourcen kombinierende Energiepolitik (sog. „all of the above energy policy“), eine „Re-Industrialisierung“ der US-amerikanischen Wirtschaft durch eine aktive Industriepolitik und schließlich ein sinkendes Handelsbilanzdefizit durch protektionistische Maßnahmen in Aussicht stellte. Deshalb wurde Trump in zahlreichen Branchen der US-amerikanischen Wirtschaft befürwortet, von Luftfahrtunternehmen bis hin zum Leistungssport. Besondere Unterstützung durch Großkapitale erfuhr er im Immobilien- und „Finanzsektor“, was sich nicht zuletzt darin ausdrückte, dass aus diesen Sektoren auch die größten Spendensummen für seinen Wahlkampf flossen. Vor allem im „Finanzsektor“ setzen Vermögensverwaltungen, Investment- und Risikokapitalgesellschaften sowie Hedgefonds auf einen Abbau staatlicher Regulierungen und Steuererleichterungen.[106] Während sich der Protektionismus der „America first!“-Agenda also auf das industrielle Kapital bezog, das dadurch in die durch das nationale Gesamtkapital der USA bestimmten territorialen Grenzen gebannt oder zur Rückverlagerung dorthin gedrängt werden sollte, versprach Trump für den Verkehr des fiktiven Kapitals und seiner verschiedenen Anlageformen weitreichende Maßnahmen zur „Deregulierung“. Durch diese beiden Punkte seines wirtschaftspolitischen Programms erhielt der „Trumpismus“, neben dem Kleinbürgertum als klassenmäßiger Massenbasis, die entscheidende wirtschaftliche und politische Unterstützung durch große Kapitale für seinen Aufstieg und den endgültigen Sieg Trumps in den Präsidentschaftswahlen 2016.

10. „Trumponomics“

Die von Trump nach seinem Amtsantritt betriebene Wirtschaftspolitik wurde, in Anlehnung an die als „Reaganomics“ bezeichnete Wirtschaftspolitik seines politischen Vorbildes Ronald Reagan, als „Trumponomics“ bekannt. Dabei betrachteten Trump und seine Anhänger den Aufschwung der US-Wirtschaft nach der „Großen Rezession“ von 2007 bis 2009 als genuines Verdienst dieser „Trumponomics“. Tatsächlich setzte dieser Aufschwung, gezielt gefördert durch konjunkturpolitische Maßnahmen, allerdings bereits unter der Obama-Administration ein. Die Wirtschaft wuchs im Regierungszeitraum zwischen 2009 und 2016 jährlich zu einer Rate von ungefähr 2,2 Prozent und die Arbeitslosigkeit nahm spürbar ab, was sich in einem starken Anstieg des nominale BIP um 42 Prozent seit dem Ende der „Großen Rezession“ ausdrückte. Letztlich waren Schätzungen zufolge daher rund achtzig Prozent des wirtschaftlichen Booms, von dem der „Trumpismus“ profitierte, dem wirtschaftlichen Erholungsprozess unter der Obama-Regierung zu verdanken.[107] Tatsächlich setzte sich der bereits unter Obama begonnene konjunkturelle Aufschwung der US-Wirtschaft unter Trump allerdings nicht nur fort, sondern beschleunigte sich ab Anfang des Jahres 2018 deutlich, vor allem im produzierenden Gewerbe. Die US-amerikanische Wirtschaft wuchs im zweiten Quartal 2018 um 4,2 Prozent und die Arbeitslosenquote sank mit 3,7 Prozent auf den niedrigsten Stand seit Ende der 1960er Jahre, bevor sie im vierten Quartal des Jahres 2019 sogar auf das Allzeitrekordtief von 3,5 Prozent fiel.[108] Damit bewahrheitete sich nicht nur die von Trump im Wahlkampf vorausgesagten Wachstumsraten der Wirtschaft von mehr als 4 Prozent, sondern es herrschte auch Vollbeschäftigung. Im Zuge dieses Aufschwungs verzeichneten insbesondere die großen IKT-Konzerne im „Silicon Valley“, die sich aufgrund der angekündigten protektionistischen Handelspolitik gegen eine Wahl Trumps positioniert hatten, Milliardengewinne und steigende Investitionen. Insgesamt stiegen die Unternehmensgewinne der US-Einzelkapitale von April bis Ende Juni 2018 um mehr als 16 Prozent, was der größte Gewinnsprung seit sechs Jahren war.[109]

Entscheidend für diese Beschleunigung des Wirtschaftswachstums unter Trump war der bereits im Jahr seines Regierungsantritts 2017 erlassene „Tax Cuts and Jobs Act“, mit dem vor allem das industrielle Kapital in den USA international „konkurrenzfähiger“ gemacht werden sollte. Er enthielt arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, durch die ungefähr 6,5 Millionen neuen Jobs in der Industrie geschaffen wurden. Angesichts der Tatsache, dass nur etwa 14 Prozent der aktiven US-Arbeiterarmee in diesem Bereich arbeitet, war diese Zunahme an Arbeitsplätzen relativ hoch. Durch diese Erhöhung der Arbeiteranzahl, damit aber auch der absoluten Masse der vom Kapital angewandten produktiven Arbeit als Methode zur Produktion des absoluten Mehrwerts stieg auch die Produktivität des produzierenden Gewerbes, dessen Umfang in der Folge schneller als der deutlich größere „Dienstleistungssektor“ des US-Nationalkapitals wuchs. Im Zentrum dieses Wachstums stand nicht nur die verarbeitende Industrie mit einer vergleichsweise niedrigen organischen Zusammensetzung des Kapitals, sondern auch diejenigen Produktionszweige, die überdurchschnittlich stark in den als „Trump countries“ bezeichneten Bundesstaaten repräsentiert waren. So stieg die Beschäftigung im Bergbau und in der Forstwirtschaft in den ersten eineinhalb Jahren der Trump-Präsidentschaft um 9 Prozent, während sie in den letzten Jahren unter der Regierung Obamas um beinahe 14 Prozent geschrumpft war. Diese positive arbeitsmarktpolitische Entwicklung nutzte daher vor allem der US-amerikanischen Bevölkerung auf dem Land und in den Kleinstädten des „Rust Belt“: sie griff genau dort, wo Trump mit seiner politischen Agenda des „America first!“ scheinbar überraschende Siege durch ökonomisch depravierte, einstige Industriearbeiter der „weißen Arbeiterklasse“ einfahren konnte. Dabei knüpfte Trump gezielt an die Folgen an, die das fälschlicherweise als „De-Industrialisierung“ bezeichnete Ende der „fordistischen“ Form der großen Industrie nach sich gezogen hatte, etwa den erlittenen Verlusten von Arbeitsplätzen und der industrieproletarischen Identität. Daher rührten auch die spektakulären Bilder, etwa des „weißen US-amerikanischen Kohlearbeiters“ als Profiteur der „Trumponomics“, die Trump im Zuge seiner aktiv betriebenen Industriepolitik gezielt inszenierte: Die Proleten in gelben Neonwesten und Schutzkleidung wurden von Trump instrumentalisiert, um sich als genuiner Repräsentant der „vergessenen Männer“ im Mittleren Westen der USA zu inszenieren. Andererseits stiegen mit der Abnahme der Arbeitslosigkeit hin zur Vollbeschäftigung, die zu einem mangelhaften Angebot an Arbeitskräften und einem entsprechend „angespannten“ Arbeitsmarkt führte, auch die Anzahl der Arbeitskonflikte, vor allem in der Form von Streiks. Allein von August 2017 bis zum selben Monat des darauffolgenden Jahres gab es insgesamt 633.000 Tage, an denen US-amerikanische Arbeiter ihre Arbeit aufgrund von Streiks niederlegten.[110]

Eine entscheidende Rolle für Beschleunigung des Aufschwung der US-Konjunktur unter Trump spielte neben der aktiven Industriepolitik eine von Bourgeoissozialisten als „marktradikal“ gebrandmarkte „Deregulierungspolitik“ mit umfangreichen Maßnahmen wie dem Abbau von Umweltschutzgesetzen, die Abschaffung zahlreicher Regulierungen beim Verbraucherschutz und eine Reduzierung bürokratischer Restriktionen, die den US-Unternehmen nach der „Großen Rezession“ von Aufsichtsbehörden auferlegt worden waren. Von diesen „Deregulierungen“ profitierten neben der Landwirtschaft, deren Farmer Trump aufgrund seines Abbaus von Naturschutzgesetzen unterstützten, vorrangig die Energiebranche und der „Finanzsektor“, also zwei Bereiche der US-amerikanischen Ökonomie, in denen einzelne Großkapitale Trump bereits während des Wahlkampfes besonders stark unterstützt hatte. Insbesondere an den „Finanzmärkten“ konnten durch Steuersenkungen sowie den Abbau von Bürokratie und Regulierungen hohe Kursgewinne verzeichnet werden. Die Aktienkurse stiegen auf Rekordhöhen, was sich z.B. in einem Anstieg des Aktienindex Standard & Poor’s 500, der die Aktien der 500 größten US-amerikanischen Unternehmen misst, um 40 Prozent zeigte.[111] Zu diesen Steuersenkungen und „Deregulierungen“ trug insbesondere die im Rahmen des „Tax Cuts and Jobs Act“ verabschiedete Steuerreform bei, mit der  Trump den traditionellen fiskalpolitischen Kurs der bisherigen US-Regierungen fortsetzte.[112] Bereits Obama hatte die von Georg W. Bush Junior seinerzeit erlassenen Steuererleichterungen, mit Ausnahme der Steuern auf Tabakwaren und Kapitalerträge von „Vielverdienern“ zur Finanzierung von „Obamacare“, zementiert. Im Rahmen der unter Trump verabschiedeten Steuerreform wurde zwar, entgegen seines Wahlkampfversprechens, keine Ökonomisierung der Einkommenssteuerklassen, aber dafür signifikante Steuererleichterungen vorgenommen. So wurde die Körperschaftssteuer (sog. „corporate tax“) von zuvor 35 Prozent, die de jure eine der höchsten Körperschaftssteuersätze in den kapitalistischen Zentren darstellte,[113] dauerhaft auf 21 Prozent gesenkt. Das ist der niedrigste Satz seit dem Zweiten Weltkrieg.[114] Damit wandelten sich die USA, neben den weiterhin bestehenden diversen Möglichkeiten zu Abschreibung von Unternehmensabgaben, von einem Hochsteuerland zu einer Nationalökonomie mit einer signifikant niedrigen Unternehmensteuer: sie liegt nicht nur unter dem Unternehmenssteuersatz von etwa 30 Prozent in Ländern wie Australien, Frankreich, Deutschland und Japan liegt, sondern sogar noch unter dem der Niedrigsteuerländer der EU wie Luxemburg oder Niederlande. Zugleich wurde die Unternehmenssteuer für international fungierendes US-Kapital um 15 Prozent gesenkt, womit die protektionistische Handelspolitik der „Trumponomics“ fiskalpolitisch flankiert wurde. [115] Damit sollte es für US-Unternehmen, die ihr Kapital im Ausland erzeugten und ihre Gewinne zur Vermeidung von US-Steuern auch dort verbuchten, attraktiver werden, den Konzernsitz oder zumindest zentrale Konzernfunktionen sowie Investitionen zurück in die USA zu verlagern. Hinzu kamen Steuersenkungen für ausländisches Unternehmensvermögen und in die USA zurückgebrachte Produktionsmittel. Ebenso wurde der Spitzensteuersatz von 39,6 Prozent auf 37 Prozent reduziert, was großen Kapitalen zugutekam.[116] Auch für Käufer im Immobiliensektor führte die Steuerreform zu Vorteilen, da in ihrem Rahmen eine Begrenzung der steuerlichen Abgaben von Zinsen auf Hypotheken festgelegt wurde, wodurch die Immobilienpreise fielen.[117] Auch hier machte Trump also den ihn unterstützenden großen Kapitalen, die neben der Energie- und Finanzbranche vor allem im Immobiliensektor angelegt waren, ein „großes, wunderschönes Weihnachtsgeschenk“ (Trump). Die Einkommenssteuer wurde für alle Steuerklassen, mit Ausnahme der sogenannten „Geringverdiener“, vorübergehend um 2 bis 4 Prozent gesenkt, wovon vor allem das die klassenmäßige Massenbasis des „Trumpismus“ darstellende kapitalistische Kleinbürgertum kurzfristig profitierte.[118] Insgesamt kam die Senkung der Einkommenssteuer zunächst fast allen Steuerklassen zugute, wobei die Steuererleichterung für die höheren Einkommensklassen von Anfang an vergleichsweise größer waren. Die Steuererleichterung für die ökonomisch saturierten Teile des US-Proletariats und das kapitalistische Kleinbürgertum, mitsamt anderer Steuerentlastungen wie etwa höhere Kinderbeiträge und den diesen Klassen bzw. Klassensegmenten zugutekommende Abschreibungen, werden allerdings bereits 2025 wieder kassiert werden. Vorübergehend kam es durch die Senkung der Steuersätze also seit dem Jahr 2018 zwar zu Steuererleichterungen für alle Steuerklassen, aber am meisten und langfristig profitierten Großkapitalisten, als ökonomischen Personifikationen hochkonzentrierter- und zentralisierter Einzelkapitale, in den oberen Einkommensklassen von der Steuerreform: Dem reichsten Prozent der US-Bevölkerung kam etwa 83 Prozent des gesamten Umfangs der Steuersenkungen zugute, während bis zum Jahr 2027 mehr als 53 Prozent der US-Bürger höhere Steuern zahlen werden.[119] Die Ursache hierfür besteht darin, dass sich insbesondere die Steuerlast für das Kleinbürgertum erhöht, um die Steuersenkungen für die Großbourgeoisie finanzieren zu können. Entgegen der Hoffnung, das die im Rahmen des „Tax Cuts and Jobs Act“ veranlassten Steuersenkungen das wirtschaftliche Wachstum des nationalen Gesamtkapitals der USA langfristig steigern und ein nachhaltig höheres Beschäftigungsniveau schaffen werden, handelte es sich bei ihnen allerdings jedoch um eine Art wirtschaftspolitisch induziertes „Strohfeuer“: die Reformen beschleunigten den Aufschwung der US-Wirtschaft zwar kurzfristig, werden aber langfristig zu einem massiven Anstieg der Schulden und des Defizits des US-Staatshaushalts infolge von Steuerausfällen von insgesamt 1,5 Billionen US-Dollar führen, was insbesondere für die dauerhaft und stark gesenkte Unternehmenssteuer gelten dürfte. Bereits während Trumps Amtszeit stieg daher, neben staatlichen Investitionen in ein nur teilweise umgesetztes Infrastrukturprogramm, die Staatsverschuldung von Januar 2017 bis Januar 2020 von 18,9 Billionen auf 23,2 Billionen US-Dollar.[120]

Trotz dieser steuerlichen Begünstigungen sorgte sich ein Großteil der US-Bourgeoisie über die neomerkantilistische Handelspolitik der „Trumponomics“. Die USA ist seit der Etablierung eines multilateralen Welthandelsregimes nach dem Zweiten Weltkrieg, das von Anfang an unter ihrer unipolaren Hegemonie stand und trotz ihres Verlusts der Demiurgenrolle weiterhin unter ihrer Führung verblieb, außenwirtschaftlich stets ein Vertreter des globalen Freihandels gewesen. Selbst nach dem Zusammenbruch des Bretton Woods-Systems 1973 blieb das multilaterale Welthandelssystem mit seiner liberalen Handelsordnung, nicht zuletzt aufgrund der weiterhin bestehenden Bretton Woods-Institutionen, relativ stabil. In dieser Hinsicht bricht Trumps Agenda des „America first!“ mit vorangegangenen US-Regierungen, etwa indem er unmittelbar nach Amtsantritt multilaterale Handelsabkommen wie die „Trans-Pacific Partnership“ (TPP) noch vor ihrer Verabschiedung durch den Kongress kündigte oder das „North American Free Trade Agreement“ (NAFTA) mit Mexiko und Kanada zugunsten der USA neu verhandeln möchte. Darüber hinaus stellte Trump die Mitgliedschaft der USA in der Welthandelsorganisation (WTO) zur Disposition. Dabei ist er der Ansicht, dass diese multilateralen Handelsabkommen und entsprechende Institutionen wie die WTO die wirtschaftspolitische Souveränität der US-Regierung einschränken und die USA handelspolitisch übervorteilen würden. Gemäß seinen neomerkantilistischen Ansichten ist der Außenhandel für Trump an sich stets ein „Nullsummenspiel“, wobei die eine Nation an positiver Handelsbilanz gewinnt, was die andere unter Aufbau eines Handelsdefizits verliert. Den „Trumponomics“ zufolge stellt der internationale Handel daher im Kern immer schon einen kalten Wirtschaftskrieg dar bzw. umgekehrt Wirtschaftskriege eine bloße Fortsetzung des Außenhandels mit anderen Mitteln. Entgegen dieser neomerkantilistischen Ideologie war die negative Handelsbilanz der Vereinigten Staaten in Wirklichkeit das Resultat der bisherigen Fiskal- und Geldpolitik der US-Regierungen, vor allem aber spezifischer struktureller Eigentümlichkeiten der US-Nationalökonomie: die aus seiner Rolle als Weltgeld entspringenden Funktionen des US-Dollars als internationale Leit- und Reservewährung und die Diskrepanz zwischen einer geringen gesamtwirtschaftliche Sparneigung bei einer langfristig relativ hohen Investitionsquote. Letztere führte zu einem Ungleichgewicht zwischen den gesamtwirtschaftlichen Ersparnissen und den inländischen Investitionen (sog. „Ersparnislücke“), welche durch den Import ausländischen Geldkapitals kompensiert werden sollte.

Entsprechend der neomerkantilistischen Ansichten der „Trumponomics“ zur Handelspolitik wurde der wirtschaftspolitische Fokus unter Trump, im Unterschied zur Obama-Administration, auch verstärkt auf die nationale Verteidigungsfähigkeit gelegt. Die US-Wirtschaft wurde dabei selbst in den Kontext der nationalen Verteidigungsfähigkeit der Vereinigten Staaten gestellt, womit er sich zugleich bei den prekarisierten weißen ehemaligen Industriearbeitern in den Staaten des „Rust Belts“ als „amerikanischer Patriot“ profilieren konnte. Damit wurde der Wirtschaftsnationalismus der „Trumponomics“ auf die Spitze getrieben. Für diesen scheinbaren Umschwung in der Handelspolitik der Vereinigten Staaten waren die „Trumponomics“ allerdings keinesfalls ursächlich, sondern sie bewerkstelligte diesen Umschwung lediglich. Bereits gegen Ende der 1980er Jahre, also lange vor dem Aufstieg des „Trumpismus“ und der Wahl Trumps zum US-Präsidenten, kam es zu einer zunehmenden strategischen Neuorientierung der US-Handelspolitik: es wurde vermehrt auf regionale Freihandelsabkommen gesetzt, was sich nicht zuletzt 1994 in der Gründung des „Nordamerikanischen Freihandelsabkommens“ (NAFTA) mit Kanada und Mexiko ausdrückte. Spätestens ab der Präsidentschaft von Georg W. Bush Junior kam es zu einer handelspolitischen Fokussierung auf den Bilateralismus durch Neuverhandlungen bilateraler Freihandelsabkommen in verschiedenen Weltregionen (wie Lateinamerika und Asien), welche das multilaterale Welthandelsregime absichern sollten. Zugleich begann bereits Bush, multilaterale Abkommen und die entsprechenden Institutionen zu kritisieren. Dieser Kurs, der allerdings im Unterschied zur Handelspolitik unter Trump noch keinen grundlegenden Bruch mit der bisherigen Handelspolitik der USA darstellte, wurde unter der Obama-Administration fortgesetzt, welche die TPP und den Freihandel mit der EU durch das Abkommen der „Trade and Investment Partnership“ (TTIP) ausbauen wollte. Insbesondere letzteres wurde von Trump seit Beginn seines Wahlkampfes harsch kritisiert, da die TTIP angeblich die USA zugunsten der EU-Wirtschaft übervorteilen würde. Vor dem historischen Hintergrund der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung Chinas, insbesondere seit seinem Beitritt zur WTO im Jahr 2001, kritisierten bereits die Regierungen von Bush und später auch von Obama unfaire Wettbewerbs- und Handelsverfahren sowie Währungsmanipulationen, wogegen sie Schutzmaßnahmen wie die Beschränkung des Preisdumpings ergriffen und protektionistisch Ausgleichzölle erhoben. Außerdem übten sowohl Bush als auch die Obama bei der Verhandlung um bilaterale Freihandelsabkommen wirtschaftspolitischen Druck auf ihre Handelspartner aus, um die Verhandlungsposition der USA zu verbessern. Bereits vor der Trump-Präsidentschaft begann sich also, katalysiert durch den Aufstieg des despotischen Staatskapitalismus in China, eine neomerkantilistische Tendenz zum Protektionismus in der US-Handelspolitik durchzusetzen. Das steigende Handelsdefizit der US-Wirtschaft und die „Große Rezession“ von 2007 bis 2009 haben diese Tendenz nur noch zusätzlich verstärkt.[121] Trump setzt also einerseits bereits vor seinem Regierungsantritt bestehende Tendenzen zu einer isolationistischen Handelspolitik, die verstärkt auf Protektionismus setzt, fort. Dafür bedient er sich allerdings anderer, bislang verpönter handelspolitischer Instrumente. Während Obama vermehrt zu indirekten protektionistischen Maßnahmen mittels sogenannter „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“ (NTB) griff, setzte Trump dezidiert auf Strafzölle als protektionistisches Mittel der US-Handelspolitik. Insbesondere darin unterscheidet sich seine Handelspolitik von der unter vorangegangenen US-Regierungen betriebenen.

So erhob die Trump-Administration bereits im März des Jahres 2018, entsprechend der Einbettung der US-Wirtschaft in den Rahmen der nationalen Verteidigungsfähigkeit, aus Gründen der „nationalen Sicherheit“ hohe Zölle auf Importe von Stahl und Aluminium, die sich gegen die Überschwemmung des Weltmarktes mit niedrigpreisigem Stahl aus China (sog. „Stahlschwemme“) richteten. Ab Juni desselben Jahres folgten Strafzölle auf Importe aus der EU sowie Kanada und Mexiko, die nicht nur zu den wichtigsten Handelspartnern, sondern auch zu politischen Verbündeten der USA gehören. Vor allem China wirft die Trump-Regierung Diebstahl geistigen Eigentums, insbesondere Technologiediebstahl und Verstöße gegen den Investitionsschutz vor. Deshalb erließ sie zusätzlich zu den Einführzöllen auf Stahl- und Aluminiumimporte tarifäre Maßnahmen zum Schutz des industriellen Kapitals in den USA, indem sie Einfuhrzölle auf Importe aus dem chinesischen IKT-Sektor erhob. Außerdem wurden zusätzlich Schutzmaßnahmen für US-amerikanische Kapitale aus dem IKT-Sektor angekündigt, um deren Übernahme durch chinesische Investoren zu verhindern. Insgesamt wurden so Zölle gegen über 800 chinesische Waren in Höhe von ungefähr 60 Milliarden US-Dollar verhängt. Dies löste einen Handelskrieg aus, von dem bislang nur relativ kleine Produktionszweige der US-Wirtschaft profitierten, während das gesellschaftliche Gesamtkapital der Vereinigten Staaten merklich darunter litt. Die Erhebung dieser Schutzzölle und auch bereits die bloße Androhung von Einfuhrzöllen führte allerdings bereits zu einer teilweisen Rückverlagerung der Industrieproduktion in die USA, was den neomerkantilistischen Charakter der US-Handelspolitik unter Trump bestätigte. Diesem Charakter entspricht auch, dass die Trump-Administration mit dem Entzug von Subventionen drohte, falls industrielle Einzelkapitale wie etwa General Motors Arbeitsplätze innerhalb der Vereinigten Staaten zugunsten einer Produktionsverlagerung ins Ausland abbauen sollten.[122] Insgesamt zielt der handelspolitische Isolationismus Trumps einerseits auf einen Protektionismus, vor allem durch Schutzzölle auf einheimische Waren, mit dem Warenkapitalimporte aus Nationen mit relativ hohen Handelsbilanzüberschüssen gegenüber der USA (wie China) beschränkt werden sollen, andererseits auf eine Stimulierung des industriellen Kapitals in der USA selbst, dessen „Konkurrenzfähigkeit“ auf dem Weltmarkt durch diesen Protektionismus verbessert werden soll. Darüber hinaus scheint dieser Isolationismus allerdings auch eine Art Verhandlungsstrategie zu sein. So versteht Trump selbst tarifäre protektionistische Maßnahmen als Verhandlungsinstrument, mit dem er eine Verbesserung der Verhandlungsposition der USA erreichen möchte.

Doch nicht nur die protektionistische Handelspolitik, sondern der Wirtschaftsnationalismus der „Trumponomics“ insgesamt war lediglich ein Ausdruck langfristiger ökonomischer Tendenzen, die zu einer zunehmenden politischen Opposition gegen die propagandistische Tendenz des Kapitals und einem damit einhergehenden globalen Freihandel in den USA führten. Der Wirtschaftsnationalismus war daher auch nicht nur ein zentraler politischer Punkt im Wahlkampfprogramm Trumps, sondern auch der demokratische Wahlkämpfer Bernie Sanders, in den Bourgeoissozialisten weltweit ihre Hoffnung setzten, und auch die demokratische Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton äußerten sich im gleichen Sinne: Sie griffen die zunehmende Skepsis gegenüber Freihandelsabkommen (z.B. NAFTA und dem seinerzeit kurz vor dem Abschluss stehenden TPP-Handelsabkommen) auf und versprachen, die gegen die Verhandlungsergebnisse dieser Abkommen zu opponieren, falls diese auf Kosten der US-amerikanischen Arbeiterklasse gehen würden. Der ökonomische Hintergrund dafür war keinesfalls nur das steigende Handelsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten, sondern vielmehr ein Bruch in der Durchsetzung der propagandistischen Tendenz des Kapitals, der zu einem Backlash gegen diese gemeinhin als „Globalisierung“ bezeichnete Durchsetzung führte. Bereits seit Anfang des Jahres 2007 kam es in den USA zu einem deutlichen Rückgang in der Tendenz zur Internationalisierung der wirtschaftlichen Verflechtungen. Dies zeigte sich etwa an dem Globalisierungsindex, der den Mengenindex der globalen Warenimporte an dem Index der Industrieproduktion weltweit misst und dadurch die Integration des Weltmarktes anzeigt. Gemäß dieses Index ging die Durchsetzung der propagandistische Tendenz des US-Nationalkapitals und seine Verquickung mit anderen nationalen Reproduktionsprozessen bereits unter der Regierung von Georg W. Bush Juniors mit einem leichten negativen Trend zurück, wobei sie im Rahmen der „Großen Rezession“ spätestens ab dem Jahr 2008 deutlich einbrach. Unter der Präsidentschaft Obamas stagnierte diese Tendenz weitgehend und nahm erst wieder in den ersten Quartalen der Trump-Präsidentschaft zu, bevor sie ab Mitte des Jahres 2018 wieder einbrach (vgl. Abb. 8).

Abbildung 8

Die strukturelle Ursache für diesen Bruch im ökonomischen Trend zur „Globalisierung“ in den USA bestand in ihrem Verlust der Rolle als Demiurg des bürgerlichen Kosmos, wobei die „Große Rezession“ von 2007 bis 2009 lediglich als unmittelbarer Auslöser für diesen Bruch fungierte, da sie zu einer akuten Schwächung der Stellung der USA als Weltmarkthegemon (insbesondere gegenüber China) führte.  Der Wirtschaftsnationalismus der „America first!“-Agenda des „Trumpismus“ ist langfristig betrachtet also nur ein Ausdruck dieses Verlusts der Demiurgenrolle und der zunehmenden Schwächung der Hegemonieposition der USA auf dem Weltmarkt, die zu einer protektionistischen Handelspolitik und einer zunehmenden Abkehr vom internationalen Freihandelssystem führt. Die Handelspolitik der Trump-Regierung kann daher keinesfalls nur als ein strategisches Manöver des „Deal-Makers“ Trump, sondern muss auch und vor allem als Ausdruck einer strukturellen Verschiebung der wirtschaftlichen Machtverteilung zwischen den verschiedenen Weltmarkthegemonen und der damit einhergehenden Veränderung des Welthandels verstanden werden. Insgesamt verspricht der Wirtschaftsnationalismus der „Trumponomics“, den Vereinigten Staaten die politische Souveränität über ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung zurückzugeben, die unter den vorangegangenen Administrationen angeblich verloren gegangen sei. Dafür setzt Trump neben der protektionistischen Handelspolitik, fiskalpolitischer Reformen und konjunktureller Maßnahmen auf eine Beschränkung der Migration aus Ländern südlich der USA sowie auf eine Forcierung der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Der Slogan der Trump-Kampagne „Make America Great Again“ aus dem Wahlkampf 2016 zielt zwar auf die Etablierung eines neuen „Goldenes Zeitalter“ langanhaltender wirtschaftlicher Prosperität ab, aber da eine erneute beschleunigte Kapitalakkumulation in den USA zumindest derzeit nicht abzusehen ist und selbst die nach der „Großen Rezession“ steigende Profitrate des US-Nationalkapitals signifikant unter dem Niveau nach dem Zweiten Weltkrieg zurückbleibt, ist eine solche Wiederkehr des „Goldenen Zeitalters“ eher unwahrscheinlich. Zumindest sind die „Trumponomics“ nicht dazu geeignet, eine solche neue langandauernde Prosperitätsphase der US-Wirtschaft zu induzieren, sondern forcieren vielmehr aufgrund ihrer isolationistischen Agenda die zunehmende Desintegration der bestehenden unipolaren Weltordnung unter der Vorherrschaft der Vereinigten Staaten und verstärken damit auch die geopolitischen Verschiebungen des Kräfteverhältnisses zwischen den bestehenden Hegemonialmächten zu deren eigenen Ungunsten.

11. Der „Coronakrise“ und der Niedergang des „Trumpismus“

Seit der letzten Hälfte des Jahres 2019 kam es in den USA zu einer regelrechten Kaskade an „nationalen Traumata“, die gemeinhin als Symptome eines sich zuspitzenden, unaufhaltbaren Niedergangs der USA als ökonomischer und politischer Weltmacht aufgefasst werden. Aufgrund ihrer Feindschaft gegenüber der privatkapitalistischen Reproduktionstotalität, welche die USA als fortgeschrittenste kapitalistischen Nation wie kein anderes Land verkörpert, ist das altbekannte Narrativ vom „Abstieg“ der Vereinigten Staaten insbesondere in den radikalen Teilen der politischen Linken bis hin zum äußeren Flügel der politischen Rechten beliebt. Forciert wird dieses Narrativ geopolitisch von Ländern wie China, Russland und dem Iran, die zu einem globalen Lagers der Konterrevolution gehören. Dieses Lager versucht, die Bedingungen für den Klassenkampf des Proletariats und die Perspektive seiner modernen kommunistische Revolution weltweit zu konterkarieren und letztlich sogar zu zerstören, vor allem, in dem es die privatkapitalistische Produktionsweise des „westlichen“ Typs und der ihr als politischem Überbau entsprechenden liberalen Demokratie untergräbt. Vor dem Hintergrund des Polyzentrismus zwischen den führenden kapitalistischen Hegemonen, der auf dem Verlust der Rolle der USA als Demiurg des bürgerlichen Kosmos und dem damit einhergehenden Fehlen eines eindeutigen Weltmarktzentrums fußt, versucht dieses Lager, die bestehende unipolare Weltordnung unter der Vorherrschaft der USA zu zerstören. Dabei ist sein vorgebliches Ziel die Einführung einer angeblichen „multipolaren Weltordnung“, die geopolitisch „ausgeglicheneren“, „harmonischeren“ und „konfliktfreier“ sei und daher auch im Interesse derjenigen Länder stehe, in denen die privatkapitalistische Reproduktionstotalität herrscht. Tatsächlich aber handelt es sich bei der angestrebten „multipolaren Ordnung“ um eine Ideologie und ein strategisches Etappenziel auf dem langen Marsch zur Etablierung einer neuen „unipolaren Weltordnung“, die vor allem China anstrebt, das die Rolle als Demiurg der bürgerlichen Welt langfristig einnehmen will. Dafür instrumentalisiert es, zusammen mit Russland, den linken und rechten „Populismus“, insbesondere in Ländern an der „Peripherie“ des Weltmarkts. Auch wenn dieser „Populismus“ in denjenigen Ländern, welche sich als Verbündete von China und Russland sehen, selbst subjektiv eine solche „multipolare Weltordnung“ anstrebt, so besteht seine Funktion doch objektiv in der Zerstörung der bestehenden liberalen Weltordnung unter der unipolaren Ägide der USA auf dem Weg hin zur Etablierung einer neuen „unipolaren Weltordnung“ unter der Vorherrschaft der staatskapitalistischen Despotie Chinas.

Ein entscheidender Teil dieser Strategie des geopolitischen Blocks der globalen Konterrevolution besteht darin, die jüngste ideologische, politische und kulturelle Polarisierung in den USA zu deren Destabilisierung ausnutzen. Diese Polarisierung setzte in den Vereinigten Staaten zwar bereits deutlich vor Trump ein, seit dem Aufstieg des „Trumpismus“ verschärfte sie sich in einem in der jüngeren Geschichte der Vereinigten Staaten ungekannten Maße und entwickelte sich zu einer Art „kalten“ Bürgerkieg.[123] Charakteristisch dafür ist vor allem, dass in den einst als weitgehend „unideologisch“ und politisch pragmatischen geltenden Vereinigten Staaten politische Konflikte über sachliche Probleme zunehemend zugunsten der grundlegenden Infragestellung juristischer und politischer Institutionen sowie Prozesse der US-amerikanischen Demokratie in den Hintergrund treten – wie etwa Rechtmäßigkeit von Ämtern und Wahlen, die Autorität der verfassungsgebenden Organe innerhalb der Gewaltenteilung der liberalen Demokratie in den USA, die Rechte der Trump-Regierung und der Opposition unter anderem. Diese Verschiebung ist Ausdruck eines drohenden Verfalls der demokratischen Institutionen, die einen zentralen materiellen Teil des bürgerlich-liberalen Überbaus der USA als fortgeschrittenster kapitalistischer Nation weltweit darstellen. Eine entscheidende Eskalationsstufe erreichte diese sich zuspitzende Polarisierung vor dem Hintergrund des als „Ukraine-Affäre“ bekannt gewordenen Amtsmissbrauchs Donald Trumps: Ende September 2019 warf ein anonymer Whistleblower dem US-Präsidenten vor, dass er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi versucht haben soll, zur Aufnahme von Ermittlungen gegen Trumps politischen Rivalen im anstehenden Präsidentschaftswahlkampf Joe Biden und dessen Sohn Hunter Biden wegen angeblicher Korruption zu nötigen. Außerdem habe Selenskyi auch die vom Kreml lancierte Verschwörungstheorie, dass nicht Russland, sondern die Ukraine hinter den Einmischungen im Wahlkampf von 2016 stehe, öffentlich unterstützen sollen. Im Gegenzug versprach Trump Militärhilfen für die Ukraine auszuzahlen, die er kurz zuvor ausgesetzt hatte. Angesichts dieses „Quid pro quo“ zur Erpressung der Ukraine leiteten die Demokraten unter Führung Nancy Pelosi, der Sprecherin des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump im US-Senat ein: Trump sollte des Machtmissbrauchs und Behinderung des Kongresses angeklagt werden sollte. Im Februar 2020 leitete schließlich das von den Demokraten kontrollierte Repräsentantenhaus ein Amtsenthebungsverfahren (sog. „impeachement“) ein, von dem die republikanische Mehrheit im Senat Trump freisprach. Nachdem Trump bereits den Whistleblower als „Spion“ und „Landesverräter“ denunziert hatte, nutze er seinen Freispruch, um sich selbst im Hinblick auf die anstehende Wahl als unfehlbarer und integrer Präsident zu inszenieren. Tatsächlich aber war er nur knapp an einer möglichen Amtsenthebung und Anklage wegen Amtsmissbrauchs entgangen, was ein erstes Symptom des Niedergangs des „Trumpismus“ war. Zugleich verstärkten das Verfahren und sein Ausgang die bereits ohnehin tiefen Gräben zwischen den Demokraten und den Republikanern.

Nur drei Monate nach dem Amtsenthebungsverfahren gegen Trump brachen über die gesamten USA hinweg die größten Unruhen aus, die das Land seit fünfzig Jahren erlebt hatte. Anlass war die Ermordung des afroamerikaners George Floyd durch die Polizei in Minneapolis (Minnesota) am 25. Mai, die von Zeugen beobachtet und gefilmt worden war. Im Rahmen dieser Unruhen kam es in 200 Städten zu Ausgangssperren und zur Ausrufung des Notstandes in mehreren Staaten. In mehreren Dutzend Städten wurde die Nationalgarde mobilisiert und schließlich verlegte Trump sogar 1600 Soldaten der regulären Streitkräfte nach Washington D.C. Insgesamt wurden ungefähr 14.000 Menschen verhaftet und an die zwei Dutzend Menschen verloren ihr Leben.[124] Diese Unruhen erinnerten an die „race riots“ der 1960er Jahre, aber neu an ihnen war, dass sie nicht nur von den untersten Schichten des schwarzen Teils des US-Proletariats getragen wurden, sondern ebenso von anderen Schichten wie Teilen der aktiven Arbeiterarmee, Kleinbürgern und Studenten. Besonders war auch, dass sich die Teilnehmer keinesfalls auf schwarze US-Bürger beschränkten, sondern auch weiße US-Amerikaner an ihnen teilnahmen. Schließlich ließ Trump im Herbst dieses Jahres Bundesbeamte („Feds“) verschiedener Polizeidienste (darunter das FBI), teilweise gegen den Willen örtlicher Regierungen, in mehrere Städte entsenden und drohte sogar mit einem Einsatz des Militärs gegen die eigene Zivilbevölkerung. Dabei ging es ihm weniger darum, die Unruhen zu befrieden, als vielmehr zusätzlich anzuheizen, um eine „Law and Order“-Politik als Kern seines Wahlprogramms auf die tagespolitische Agenda setzen zu können. Obwohl sich in diesen Reaktionen Trumps durchaus die Tendenz zu einer Verselbständigung der staatlichen Exekutive, die ein entscheidendes Merkmal autoritärer Staaten ist, ausdrückte, wird der „Trumpismus“ bislang immer noch von dem in den USA historisch relativ hochentwickelten System demokratischer „checks und balances“ eingeschränkt. Eine neue, entscheidende Stufe der Eskalation der Gewalt erfuhren die Unruhen allerdings, als im Verlauf der Zeit zunehmend sich aus rechten bis neofaschistischen Milizen rekrutierende bewaffnete Gegendemonstranten, unter dem Vorwand, „Gewalt verhindern“ und „Eigentum schützen“ zu wollen, auf den Protesten und Demonstrationen auftauchten. Tatsächlich trugen diese Gegendemonstranten, unter denen zahlreiche überzeugte Anhänger des „Trumpismus“ waren, selbst entscheidend zur Eskalation der Gewalt bei. Seit dem Ausbruch der Unruhen kam es durch sie zu mehreren Hundert Zwischenfällen in etwa 300 US-Counties, wie etwa Einschüchterungen oder die Anwendung von Gewalt. Blieb diese Anwendung anfänglich noch begrenzt, so zögerten die Anhänger solcher Milizen schließlich auch nicht, scharf auf Demonstranten zu schießen, wodurch schließlich sogar mehrere Menschen getötet wurden.[125] Der „kalte“ Bürgerkrieg, der sich durch die seit Trumps Amtsantritt im höchsten Maße zugespitzte politische Polarisierung der USA entwickelte hatte, drohte so, in einen „heißen“ Bürgerkrieg umzuschlagen, wenn auch stets nur kurzweilig und beschränkt. Trump legte dabei teilweise bewusst Lunte an das Pulverfass und spielte mit dem Ausbruch eines „heißen“ Bürgerkriegs: er provozierte die zunehmende Eskalation der Gewalt durch seine Äußerungen zu den Protesten und seine offene Parteinahme für die Gegendemonstranten, deren reaktionäre Weltanschauung und Ausübung von Gewalt er unverhohlen relativierte.

Der ökonomische Hintergrund der Ermordung Floyds und der sich anschließenden Unruhen war die „Coronakrise“ und die staatlichen Maßnahmen zum Versuch ihrer Eindämmung in den Vereinigten Staaten, von der insbesondere der schwarze Teil des US-Proletariats betroffen war. Bereits im November des Jahres 2019 wurde Trump von den US-Geheimdiensten über die in Wuhan ausgebrochenen Epidemie von Covid-19 informiert und vor der drohenden Gefahr ihrer Ausbreitung zu einer weltweiten Pandemie gewarnt. Er ignorierte diese Warnung jedoch nicht nur, sondern spielte diese Gefahr und Covid-19 selbst auch öffentlich herunter. Am 21. Januar meldete die für den Schutz der öffentlichen Gesundheit verantwortliche Behörde des Gesundheitsministeriums der USA (sog. „Centers for Disease Control and Prevention“, CDC), schließlich den erste Coronavirus Fall im Bundesstaat Washington durch einen Rückkehrer aus Wuhan, auf den weitere Fälle von Reiserückkehrern aus dieser chinesischen Region folgten. Daraufhin schlug die Pandemie in den Vereinigten Staaten in kürzester Zeit nahezu uneingeschränkt durch. Die Grunde hierfür waren eine unzureichenden Vorbereitung des US-amerikanischen Gesundheitswesens, insbesondere medizinischer Institutionen wie Krankenhäuser,[126] die mit Relativierungen und Ignoranz einhergehende Beschwichtigungspolitik der Trump-Administration, die sich teilweise sogar gezielt gegen medizinische Experten und die CDC richtete,[127] und die äußerst enge wirtschaftliche Kooperation der USA mit China (sog. „Chimerica“), von der Trump durch die Bezeichnung des Virus als „China-Virus“ ebenso wie von seinem eigenen Versagen angesichts der pandemischen Entwicklung in den USA abzulenken versuchte. Ein wahrer Kern dieser Bezeichnung bestand allerdings darin, dass China die politische Hauptverantwortung für die Entwicklung der Pandemie hatte, weil es versuchte, die ausgebrochene Epidemie in Wuhan zu vertuschen. Aufgrund des Scheiterns von Trump entwickelte sich die USA allerdings selbst zu einem weltweit führenden „hot spot“ der Coronapandemie, in dem die Infektionsrate nach wie vor nahezu exponentiell steigt und auch die Sterbezahlen vergleichsweise hoch sind (vgl. Abb. 9).

Abbildung 9

Auch die ökonomische Krise in den USA wird diesen Niedergang nur beschleunigen. Bereits vor der „Coronakrise“ zeichnete sich in den USA ab September 2019 eine beginnende zyklische Überakkumulationskrise ab, welche sich zunächst auf den Geldmarkt manifestierte, aus dem sich führende Geschäftsbanken aufgrund erwarteter Kreditausfälle zurückzogen. Daraufhin schoss buchstäblich über Nacht der Zinssatz am US-Repomarkt, dem Geldmarkt für den Finanzhandel mit Rückkaufvereinbarungen (sog. „repurchase agreements“) zur kurzfristigen Überbrückung von Liquiditätsengpässen privater Geschäftsbanken oder Unternehmen, unerwartet in die Höhe. In der Regel entsprach der Repo-Zinsatz dem Leitzins der US-Notenbank Fed, doch in der Nacht auf den 17. September 2019 stieg er zunächst über deren damalige zinspolitischen Vorgaben bis maximal 1,75 Prozent und auch über diesen Leitzinssatz selbst auf 2,3 Prozent. Kurz darauf explodierte er regelrecht auf nahezu 10 Prozent und erreichte damit den höchsten Wert seit 2008, also Mitte der „Großen Rezession“.[131] Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit kam es zu einem Liquiditätsengpass, der beinahe zu einem Zusammenbruch des Interbankenhandels geführt hätte. Damit drohte, wie bereits in der „Großen Rezession“, ein Umschlag des Kredit- in das Monetarsystems auf dem Interbankenmarkt. Erstmals seit 2008 sah sich die Fed daher gezwungen, wieder an diesem Markt zu intervenieren: an vier Tagen hintereinander flutete sie den US-Geldmarkt mit insgesamt fast 280 Milliarden US-Dollar, um dessen Liquidität zu garantieren. Nur so konnte sie den Zusammenbruch eines wichtigen Teils des US-Finanzmarktes und des weltweiten Finanzsystems abwenden. Um ein erneutes Hochschießen der Zinssätze am US-Geldmarkt zu verhindern und diese auf den zinspolitischen Vorgaben zu halten, legte die Fed ab Mitte Oktober sogar zusätzlich zu dem von ihr aus dem Boden gestampften Notprogramm ein umfassendes Maßnahmepaket vor, um diesen Markt mit weiteren Liquiditätsspritzen zu stabilisieren und langfristig zu beruhigen. Dabei handelte es sich de facto um eine „light version“ der expansiven Geldpolitik „quantitativ easing“, von dem sich die Fed allerdings zu Vermeidung einer Panik am Geldmarkt bewusst distanzierte. Die sich mit diesen Turbulenzen am US-Geldmarkt ankündigende zyklische Überakkumulationskrise wurde durch die „Coronakrise“ und die Maßnahmen zu deren Bekämpfung noch katalysiert. Infolgedessen erfuhr die US-Wirtschaft im ersten Quartal des Jahres 2020 den stärksten Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg, bevor sie im zweiten Quartal so stark wie noch nie zuvor einbrach. Das reale BIP des US-Nationalkapitals stürzte um historisch beispiellose 32,9 Prozent ab.[132] Vom Einzelhandel über die produzierende Industrie, die Transportindustrie, das extraktive Gewerbe wie dem Bergbau bis hin zum Immobiliensektor brachen nahezu alle Produktionszweige der US-amerikanischen Wirtschaft ein. Unzählige, vor allem kleinere Kapitale gingen unter und zahlreiche, selbst renommierte Unternehmen mussten Insolvenz anmelden. Dem kapitalistischen Kleinbürgertum in den USA, das die klassenmäßige Massenbasis für den Aufstieg des „Trumpismus“ gebildet hatte, wurde damit das wirtschaftliche Rückgrat gebrochen. In der Folge dieser regelrechten Pleitewelle, welche die Vereinigten Staaten überrollte, stieg die offizielle Arbeitslosenquote innerhalb weniger Wochen bis zum April vorübergehend auf 14,7 Prozent.[133] Das war der höchste Stand seit Beginn der Aufzeichnungen seit dem Zweiten Weltkrieg, wobei die Dunkelziffer deutlich höher gewesen sein dürfte.

Angesichts dieser Lage sah sich die Trump-Administration gezwungen, das bislang größte Hilfspaket in der Geschichte der USA aufzulegen und verabschiedete Anfang April unter der Bezeichnung „Coronavirus Aid, Relief, and Economic Security Act“ (CARES Act) ein Konjunkturprogramm in Höhe von 2,2 Billionen US-Dollar.[134] Das Ziel dabei war es, einerseits das US-amerikanische Gesundheitssystem zu subventionieren, andererseits US-Bürgern und Unternehmen, insbesondere kleineren Kapitalen, finanziell zu helfen. Letzteres sollte nicht nur zu einer Stimulation der Konsumnachfrage dienen, sondern entsprach auch dem Interesse des „Trumpismus“, seine klassenmäßig Wählerbasis ökonomisch zu stabilisieren. Allerdings wurden die Vorschriften für die Unternehmenshilfen mithilfe von Wirtschaftslobbys durch große Kapitale umgangen bzw. aufgeweicht, sodass der Hilfsfonds relativ schnell zugunsten dieser Großkapitale erschöpft war und zahlreicher Kleinunternehmen leer ausgingen. Ebenso waren die an US-Bürger von der Regierung vergebenen 1200 US-Dollar angesichts der verheerenden wirtschaftlichen, sozialen und medizinischen Folgen der „Coronakrise“ nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein, der eher ein populistisches Manöver denn als eine tatsächliche staatliche Hilfsmaßnahme darstellte. Zuletzt ist auch die Arbeitslosenhilfe von zusätzlich 600 US-Dollar pro Woche bereits wieder ausgelaufen. Neben dem US-Kleinbürgertum und den pauperisierten Teil der industriellen Reservearmee wurde auch das prekarisierte Segment der aktiven Arbeiterarmee, aufgrund schlechter Beschäftigungsverhältnisse und des rudimentären Sozialstaates in den USA, mit den gravierenden Folgen der Krise konfrontiert. Dazu gehören vor allem die in den urbanen Metropolen vom Kapital konzentrierten Arbeiter, die von einem Gehaltsscheck zum nächsten leben. Sie gehören zu mehr als der Hälfte der US-amerikanischen Bevölkerung, welche weder Ersparnisse hat noch staatliche Unterstützung oder gar Kurzarbeit erhält. Etliche von ihnen sind aufgrund der durch die Krise ausgelösten finanziellen Not akut von Obdachlosigkeit bedroht oder aber bereits aus ihren Wohnungen geworfen worden. Doch die Krise hat nicht nur die untersten Schichten des US-Proletariats in noch größeres materielles Elend gestürzt, sondern zugleich haben bestimmte Fraktionen der US-Bourgeoisie auch von ihr profitiert. Dazu gehören insbesondere die großen Kapitale im IKT-Sektor, die aufgrund eines durch die Pandemie ausgelösten Schubes der „Digitalisierung“ hohe Profite einfahren konnten. Insbesondre neue „Start-ups“ von IKT-Unternehmen trieben die Aktienkurse an der Wall Street in neue Rekordhöhen, was von Trump gefeiert wurde. Die Coronakrise hat damit die Widersprüche zwischen den Klassen und Klassensegmenten in den USA noch zusätzlich verschärft und materielle Existenzängsten potenziert, während zugleich ein Großteil der US-Bevölkerung aus seiner gewohnten Routine des Alltagslebens herausgerissen und mit existenziellen Unsicherheiten angesichts der Pandemie konfrontiert.

Durch eine Lockerung der Sanktionen im Mai, die zur Eindämmung der Pandemie erlassen wurden, im Mai trat der prognostizierte Anstieg der Arbeitslosigkeit nicht ein, sondern es kam umgekehrt aufgrund von Neueinstellung zahlreicher Arbeitskräfte sogar zu einem deutlichen Rückgang der Arbeitslosenquote. Dennoch bezogen weiterhin zahlreiche Arbeiter Arbeitslosenhilfe und im August schwächte sich die Erholung auf dem US-amerikanischen Arbeitsmarkt schließlich ab. Trotz dieser ausbleibenden Erholung wuchs die US-Wirtschaft im dritten Quartal dieses Jahres in einem Rekordtempo von auf das Jahr hochgerechnet 33,1 Prozent, was einer Zunahme von 7,4 Prozent im Vergleich zum vorherigen Quartal entspricht. Die Ursachen dafür war eine im Sommer relativ stark steigende individuellen Konsumnachfrage, insbesondere nach Dienstleistungen in der Gastronomie und bei Beherbergungen sowie nach Warenkapital wie Fahrzeugen und Bekleidung, aber auch deutlich zunehmende Exporte und Importe. Gemessen am dritten Quartal des vorangegangenen Jahres ging das Wachstum des nationalen Gesamtkapitals der USA allerdings um umgerechnet 2,9 Prozent zurück.[135] Vor allem aber stieg, bedingt durch die um 47 Prozent steigenden Staatsausgaben im Zuge der Coronahilfen, die Staatsverschuldung der Vereinigten Staaten sprunghaft auf eine enorme Höhe. Im Vergleich zum Vorjahr verdreifachte sich das Haushaltsdefizit auf mehr als 3,1 Billionen US-Dollar, was den bisherigen historischen Höchststand des Jahres 2009 nach der „Großen Rezession“ um mehr als das Doppelte übersteigt.[136] Die US-Wirtschaft erholt sich kurz vor der diesjährigen Präsidentschaftswahl einigermaßen, aber der konjunkturelle Aufschwung ist äußert labil und muss keinesfalls zu einem langfristigen Wachstumstrend führen. Ohne weitere staatliche Maßnahmen zur Stimulierung der Konjunktur droht ein Ende der wirtschaftlichen Erholung: ein erneuter scharfer Abschwung mit einem Einbruch der Produktion und des Konsums, die wiederum zu einer wachsenden Arbeitslosigkeit führen würde. Damit sind die ökonomischen Ausgangsbedingungen gegeben, unter denen die Wahlen zur US-Präsidentschaft stattfinden.

12. Die Präsidentschaftswahl 2020 und Aussichten

Trump wurde auf dem Nominierungsparteitag der Republikaner Ende August erneut zum Kandidaten für das Präsidentschaftsamt gewählt. Im Unterschied zur Wahl 2016 steht die Partei in dieser Wahl von Anfang an geschlossen hinter ihm. Die Ursachen dafür sind einerseits, dass sich zahlreiche oppositionelle Republikaner (sog. „Never Trumpers“) bereits aus der Politik zurückgezogen haben und andererseits, dass die Partei ihr politisches Programm, wie weitreichende „Deregulierungen“ und die Steuerreform, in der letzten Amtszeit unter Trump durchsetzen konnte. Vor dem Hintergrund der Pandemie und der „Coronakrise“ scheint diese Unterstützung für Trump aber zunehmend geschwunden zu sein. Dazu trug vor allem bei, dass Trump angesichts der Wahl zunächst das ganze Ausmaß der Pandemie und deren Folgen leugnete. Stattdessen verwies er immer wieder auf das Wirtschaftswachstum und die gesunkene Arbeitslosigkeit im Zuge des vorangegangenen Konjunkturaufschwungs. Bis heute besitzt Trump nicht einmal ein ausgearbeitetes Wahlprogramm, aber seinen offiziellen Äußerungen auf Wahlkampfveranstaltungen und in Interviews zufolge konzentriert er sich wie bereits im Wahlkampf 2016 auf eine restriktive Einwanderungspolitik zur Beschränkung der Migration, eine aktive Industrie- und Handelspolitik gemäß der „America First“-Agenda und nicht zuletzt auf persönliche Angriffe gegen seinen demokratischen Herausforderer Joe Biden. Zugleich inszenierte sich Trump angesichts der heftigen Unruhen, zu denen es nach der Ermordung George Floyds gekommen war,[137] als „law and order“-Präsident“, im Stil des einstiegen US-Präsidenten Richard Nixon, um seine Kernwählerschaft durch eine Betonung „republikanischer Werte“ anzusprechen, wenn auch seine Imitation zur Karikatur geriet. Dafür heizte er durch gezielte Provokationen die ohnehin bis zum Äußersten angespannte Stimmung im Land an, indem er seine Anhänger dazu aufrief, bestimmte Städte und Counties von den Demonstranten „zurückzuerobern“ und die Straßen zu „säubern“. Sein Wahlkampf selbst bestand, trotz der nicht abflauenden Pandemie, in zahlreichen Veranstaltungen, die Showeinlagen ähnelten und mit denen immer wieder aufs Neue „Superspreader“-Events riskiert wurden.

Im Mai dieses Jahres begann Trump, ohne jeden Beweis gezielt Zweifel an der Gültigkeit der Briefwahl zu schüren, die aufgrund der Pandemie insbesondere von demokratischen Wählern genutzt wird. Dadurch versuchte er, bereits vorab das Vertrauen in die Wahl zu untergraben und ihren möglichen Ausgang zu delegitimieren.[138] Selbst vor einer angeblich drohenden Manipulation der Präsenzwahl warnte Trump und rief seine Anhänger dazu auf, die Wahllokale zu überwachen, was durchaus als Aufforderung zu Einschüchterungsversuchen demokratischer Wähler verstanden werden kann. Falls die Demokraten die Wahl gewinnen sollten, dann könne es sich Trump zufolge nur um den größten Wahlbetrug in der Geschichte der USA handeln. Daher, so betonte Trump immer wieder, werde er das Wahlergebnis womöglich nicht akzeptieren und sein Amt im Falle einer Wahlniederlage nicht abgeben. Falls es aufgrund von Zweifeln am Wahlergebnis zu einer Entscheidung der Bundesrichter am „Supreme Court“ über den künftigen US-Präsidenten kommen sollte, wie bereits vor 20 Jahren im Wahlkampf zwischen dem republikanischen Kandidaten George W. Bush und dem Demokraten Al Gore geschehen, sorgte Trump bereits vor, indem er den Obersten Gerichtshof mit der konservativen Richterin Amy Barrett besetzte. Dabei gab er offen zu, Barrett um seines eigenen Machtverhalts willens zur Bundesrichterin ernannt zu haben: sie sei die entscheidende Stimme für ihn, falls der angeblich anstehende „Wahlbetrug“ der Demokraten vor dem Bundesgericht lande. Die Demokraten stellte Trump als von der „radikalen Linken“, welche das bürgerliche Recht und die öffentliche Ordnung zerstören wollen, unterwandert dar. Von seinem demokratischen Herausforderer Biden malte Trump dabei das Bild eines senilen und dementen Mannes, der ein willfähriges Instrument in den Händen dieser Radikalen sei. Deutsche Bourgeoissozialisten,[139] aber auch die Neofaschisten haben hierzulande exakt dasselbe Bild von Joe Biden kolportiert.[140]

Dadurch versuchte Trump nicht nur, in einem politischen Manöver die demokratische Parteibasis in einen radikalen Flügel, der sich mit den jüngsten Unruhen solidarisiert, und einen gemäßigten Flügel, welcher diese Radikalisierung entschieden ablehnt, zu spalten. Zugleich nötigte er Biden dazu, sich immer wieder von einem „radikalen Sozialismus“ zu distanzieren. Tatsächlich aber fand die politische Polarisierung zwischen den Demokraten und den Republikanern keinesfalls, wie lange Zeit allgemein angenommen wurde, ungleichmäßig nur auf Seiten der Republikaner statt. Im Windschatten des „Rechtsrucks“ der Republikaner radikalisierten sich vielmehr auch die Demokraten deutlich „nach links“.[141] Das zeigte sich nicht nur an einer zunehmenden politischen Homogenität der Partei, sondern auch an einer Radikalisierung der ideologischen Programmatik. Die radikale Linke übt ihren Einfluss mittlerweile bis in weite Teile der demokratischen Partei hinein aus. Sie wendet sich im Namen der „Identitätspolitik“, als Politik einer entfremdeten Repräsentation von unterdrückten und beherrschten Minderheiten, gegen die universalistischen Werte des „Westens“, die vor allem von der USA als fortschrittlicher kapitalistischer Nation verkörpert werden und denunziert diese Werte als von Grund auf „rassistisch“. Die Programmatik der Demokraten selbst enthält aufgrund ihrer ideologischen Radikalisierung mittlerweile sogar entscheidende Elemente einer staatssozialistischen Agenda wie die Verstaatlichung von Krankenversicherungen. Das würde nicht nur die Verstaatlichung etwa eines Siebtels der privatkapitalistischen Produktionsweise in den USA bedeuten, sondern mit der damit einhergehenden Eliminierung der Privatversicherungen würden 500 000 Angestellte ihren Arbeitsplatz verlieren. Insgesamt würde eine solche Verstaatlichung innerhalb von zehn Jahren zwanzig Billionen US-Dollar kosten und damit die Staatsverschuldung enorm in die Höhe treiben.[142] Die Demokraten nominierten mit Joe Biden zwar bewusst einen als „moderat“ geltenden Kandidaten, anstatt den linkspopulistischen Bernie Sanders, aber auch Biden trägt mit seinem Wahlprogramm der Radikalisierung der Demokraten Rechnung. Biden inszeniert seinen Wahlkampf, gemäß seinem Image als „moderater“ Demokrat, als eine Art „Kontrastprogramm“ zu Trumps Wahlkampf, indem er nur relativ kleine Veranstaltungen unter strengen Hygienevorschriften abhält. Zuletzt organisierte die Biden-Kampagne mehrere „Drive-Ins“, in der das Publikum wie im Autokino im Auto sitzen bleibt und Biden aus sicherer Distanz zu ihm spricht. Damit versucht seine Wahlkampagne, das Bild von Biden als eines sicherheitsstiftenden und berechenbaren Kandidaten zu erzeugen, der verantwortungsbewusster und weniger „toxisch“ als der „Rechtspopulist“ Trump sei: Biden wird im Wahlkampf gewissermaßen als politischer Repräsentant der Restvernunft in den USA aufgebaut. Bereits im Vorwahlkampf galt Biden unter den Demokraten aufgrund seines fortgeschrittenen Alters als eine Art Verlegenheitswahl und er selbst bezeichnete sich als einen „Mann des Übergangs“.

Doch inhaltlich ist Bidens politische Agenda, ausgehend von den bisherigen mitte-links Positionen der Demokraten, deutlich nach „links“ gerückt. Dieser „Linksruck“ wurde durch die Coronakrise noch verstärkt. Als Biden im April 2019 seine Kandidatur bekannt gab, stand im Mittelpunkt seiner Agenda noch die Frage nach der moralischen Integrität der USA, was er pathetisch als „Schlacht um die Seele Amerikas“ (sog. „Battle for the Soul of America“) bezeichnete. Der Hintergrund dafür war der sich beschleunigende Konjunkturaufschwung der US-Wirtschaft, der die Wirtschaft nicht zu einem Wahlkampfthema der Demokraten prädestinierte. Das hat sich durch die einsetzende Coronakrise verändert: nun rückte ins Zentrum von Bidens Agenda die Rettung der US-Wirtschaft. Der „Linksruck“ Bidens wird daher insbesondere in wirtschaftspolitischen Fragen deutlich, in denen er nicht nur deutlich „links“ des ehemals moderaten „Mainstream“ der demokratischen Partei auftritt, sondern auch linker und veränderungsbereiter als in seiner gesamten bisherigen politischen Biographie. Das zeigte sich auch an seinem Wahlprogramm, das die Handschrift prominenter Repräsentanten des linken Parteiflügels wie Elizabeth Warren oder sogar Bernie Sanders trägt.[143] So vertritt Biden nicht nur ein politisches Konzept für Klimaschutz durch eine Klimapolitik zugunsten „sauberer Energie“, auch wenn er das Fracking nicht abschaffen will, und für Investitionen in „grüne“ Infrastruktur in der Höhe von insgesamt 2 Billionen US-Dollar. Er hat auch direkt von Warren den Vorschlag in sein Programm aufgenommen, dass US-amerikanischen Unternehmen ihr Eigenkapital nicht zum Kauf ihrer eigener Aktien nutzen dürfen, anstatt es für Investitionen in produktives Kapital zu verwenden oder als Dividende an Aktionäre auszuschütten. Hinzu kommt, dass er die unter Trump erlassenen Steuersenkungen, von denen insbesondere die US-Bourgeoisie profitierte, revidieren und sogar eine Vermögenssteuer einführen möchte. Nicht zuletzt möchte Biden die Rolle des Staates im Gesundheitswesen ausweiten und die Pflege und Betreuung in der „Care Economy“ mit 775 Milliarden US-Dollar subventionieren.[144] Darüber hinaus spricht er sich für eine Stärkung der US-Gewerkschaften aus. Die Bedingung für die erfolgreiche Verwirklichung dieses Programms ist allerdings, dass die Demokraten nicht nur das Präsidentenamt, sondern auch den Senat zurückgewinnen, um ein legislatives Patt mit den Republikanern zu vermeiden.

Die Absetzbewegung, die in der republikanischen Partei vor dem Hintergrund der Coronakrise von Trump begonnen hat, spiegelt politisch die Abwendung eines Teils des kapitalistischen Kleinbürgertums, der Geldkapitalisten des zinstragenden Kapitals aber auch fungierender Kapitalisten des „Corporate America“ wider. Das kapitalistische Kleinbürgertum beginnt nicht nur zunehmend zu verstehen, dass die Steuerreform der Trump-Administration langfristig zugunsten großer Kapitale auf seine Kosten gehen wird, sondern ächzt auch unter der Coronakrise. Etliche kleine Kapitale gingen im Verlauf der Krise bankrott oder stehen kurz vor dem Ruin. Obwohl die Trump-Administration die staatlichen Finanzhilfen für das Kleinbürgertum im Zuge des CARES Act als Erfolg zu verkaufen suchte, dürfte die Tatsache, dass diese Hilfen eher großen Konzernen zugutekamen, die Unterstützung für den „Trumpismus“ bei Kleinunternehmern noch zusätzlich verringert haben. Dessen sind sich sowohl die Kampagne von Trump als auch von Biden bewusst, die beide im Wahlkampf die Dringlichkeit von Coronahilfen für kapitalistische Kleinunternehmen betont haben. Doch während Trump Steuererleichterungen und eine Fortsetzung des „Paycheck Protection Program“ (PPP) in Aussicht stellt, das im Zuge des CARES Act erlassen wurde, um den Kleinunternehmern die Fortzahlung der Löhne ihrer Arbeiter und Angestellten zu ermöglichen, will Biden das PPP reformieren und unter strengere Aufsicht stellen, einen neuen Investitionsfond für kleine Kapitale einrichten und die Vorschriften für Kleinunternehmen in der Hand von gesellschaftlichen Minoritäten lockern. Gleichzeitig plant Biden, nicht nur eine Vermögenssteuer einzuführen und die Einkommenssteuer für „Vielverdiener“ anzuheben, sondern auch die Körperschaftssteuer zu erhöhen, was zu einer höheren Steuerlast für Kleinunternehmer führen würde. Andererseits führte das PPP bereits unter Trump zu zahlreichen Problemen für das US-Kleinbürgertum, da der Prozess der Beantragung von Fördergeldern bzw. der Suspendierung aufgenommener Schulden durch Fördergelder viel zu komplex und undurchsichtig war. In der Folge mussten unzählige Kleinunternehmer bei der „Small Business Administration“ des US-Finanzministeriums um Schuldenerlasse bitten. Hinzu kam eine verstärkte Belastung durch die von der Trump-Administration im Rahmen ihrer protektionistischen Handelspolitik erlassenen Zölle für diejenigen kleinen Kapitale, die auf den überseeischen Handel angewesen sind. Trotz der zunehmenden Abwendung des kapitalistischen Kleinbürgertums von Trump erhält die Kampagne des Präsidenten immer noch mehr Spenden von Kleinunternehmen als die von Biden. Die Ursachen hierfür liegen einerseits darin, dass insbesondere das kapitalistische Kleinbürgertum von der beginnenden Erholung der US-Wirtschaft profitiert, insofern es neue Arbeiter und Angestellte einstellt oder zumindest verlässliche Pläne für solche Anstellungen vornehmen kann. Dennoch kämpfen viele Kleinbürger nach wie vor gegen eine drohende Insolvenz und haben keinesfalls eine sichere Zukunftsperspektive, insbesondere, da die Coronakrise die Tendenz des Kapitals zur Konzentration und Zentralisation in einem außerordentlichen Maße verschärft hat. Andererseits ist die Sorge vor Unruhen, ja sogar vor dem möglichen Ausbruch eines „heißen“ Bürgerkrieges im Kleinbürgertum besonders groß, das sich daher von Trumps Inszenierung als „law and order“-Präsident angesprochen fühlen dürfte.

Mehr noch als vom kapitalistischen Kleinbürgertum verliert Trump zunehmend die Unterstützung der US-Bourgeoisie, was sich nicht zuletzt daran zeigte, dass Großspenden von führenden Unternehmern großer Kapitale abnahmen. Das ist nicht nur ungewöhnlich, weil Großunternehmer in den USA traditionell die wichtigsten Großspender der Republikaner sind und vergleichsweise wenig für die Demokraten spenden, sondern auch, weil zahlreiche Großkapitale von der Steuerreform und den „Deregulierungen“, teilweise sogar von der protektionistischen Handelspolitik der „Trumponomics“ profitiert haben. Womöglich handelt es sich bei ihrer schwindenden Unterstützung für Trump einerseits um eine politische Entscheidung, andererseits sehen sie vermutlich auch die Vereinigten Staaten als Wirtschaftsstandort durch den „Trumpismus“ zunehmend gefährdet. Biden dagegen erhält insbesondere aus dem US-amerikanischen „Finanzsektor“ deutlich mehr Spenden als Trump, insbesondere von Großbesitzern von fiktivem Kapital wie Wertpapieren und Investmentfonds. Der Hintergrund dafür ist, dass Biden als vormaliger Senator von Delaware, das ein wichtiges Zentrum für das Kreditgeschäft und Bankkapital in den USA darstellt, enge Verbindungen zu Geldkapitalisten knüpfen konnte, die ihm nun bei der Unterstützung seiner Kampagne von Nutzen sein dürften. Zugleich verschafft Bidens Ruf als pragmatischer Realpolitiker und moderater Demokrat, der ihm trotz seines deutlichen „Linksrucks“ nach wie vor aufgrund ideologischer Konventionen anhaftet, ihm unter den Großkapitalisten von „Business America“ im Unterschied zu radikalen Vertreter des linken Flügels der Partei wie Warren oder Sanders zumindest eine gewisse Sympathie. Neben dem US-amerikanischen „Finanzssektor“ erfährt Biden insbesondere von Großunternehmen aus dem IKT-Sektor Unterstützung, bei denen Trump aufgrund ihrer traditionell liberalen politischen Ausrichtung und ihrer Ablehnung einer protektionistischen Handelspolitik von Anfang unbeliebt war. Das zeigte sich unter anderem daran, dass führende Unternehmer von Technologiekonzernen wie Amazon, Google, Facebook und Apple nahezu geschlossen für die Kampagne von Biden gespendet haben. Diese Unterstützung wurde zementiert und sogar noch verstärkt, als Biden die Nominierung der kalifornischen Senatorin Kamala Harris, die langjährige und intensive Beziehungen zu wichtigen Vorständen und Geschäftsführern im „Silicon Valley“ pflegt, zur Vizepräsidentin durch die demokratische Partei formell akzeptiert hat.

Auch unter den Industriearbeitern verliert Trump fortschreitend an Rückhalt. Ein Teil der ehemaligen Industriearbeiter aus dem „Rust Belt“, die in der Wahl 2016 eine wichtige Rolle für den Sieg Trumps gespielt hatten, hält dem „Trumpismus“ zwar nach wie vor unverbrüchlich die Treue. Dies gilt insbesondere für jenen weißen Teil der US-Arbeiterklasse, der durch die aktive Industriepolitik der „Trumponomics“ von der Wiederbelebung bestimmter Industrien wie dem Bergbau profitiert hat und wieder in die aktive Arbeiterarmee eingegliedert wurde. Doch auch diese Industriepolitik konnte den langfristigen Trend des Niedergangs zahlreicher industrieller Produktionszweige der US-Wirtschaft, der nach dem Ende der „fordistischen“ Form der großen Industrie einsetzte, nicht aufhalten oder gar umkehren. Die protektionistische Handelspolitik unter Trump verschärfte diesen Trend noch zusätzlich. Allein im Zeitraum zwischen den Jahren 2016 und 2018 verschwanden etwa 1800 US-amerikanische Industriebetriebe, darunter auch etliche renommierte Betriebe in den „swing states“ des Mittleren Westens.[145] Ein Teil der weißen Arbeiterschaft des „Rust Belt“, der nicht wieder von der Industrieproduktion absorbiert wurde und daher keine neuen Jobs erhalten hat oder sogar seine vormaligen Arbeitsplätze verloren hat und in die industrielle Reservearmee abgerutscht ist, hat sich daher von Trump abgewendet. Biden wiederum hat sich bereits frühzeitig die Unterstützung entscheidender Gewerkschaften, darunter auch bewusst und gezielt in der Stahlbranche gesichert. Obgleich Trump also einerseits nach wie vor Unterstützung unter den weißen Industriearbeitern genießt, die sogar in Teilen immer noch zum harten Kern seiner Anhängerschaft gehören dürften, schwindet die Sympathie für den „Trumpismus“ auch unter ihnen. Ohnehin hatte Trump, der die Wahl 2016 nur durch das „electoral college“ gewonnen und das „popular vote“ gegen Clinton verloren hatte, niemals den Großteil der US-amerikanischen Bevölkerung hinter sich. Seit dem Zweiten Weltkrieg war kein US-Präsident in der eigenen Bevölkerung unbeliebter als er. Diese ohnehin bereits mangelnde Popularität hat im Zuge des Niedergangs des „Trumpismus“ weiterhin abgenommen. Während Trump unter weißen US-Amerikanern, insbesondere Männern nach wie vor beliebt ist, wird er zunehmend von Frauen, insbesondere in den „suburbs“, jungen Menschen und Angehörigen nicht-weißer Minderheiten abgelehnt. Hinzu kommt, dass selbst immer mehr ältere US-amerikanische Bürger, die traditionellerweise politisch konservativ eingestellt sind und daher die Republikaner wählen, sich von Trump als Präsidentschaftskandidaten abwenden, weil sie sich mit der Coronakrise und ihren Folgen alleingelassen fühlen.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich mehrere mögliche Szenarien für die Wahl. Ein Sieg Trumps würde dem „Trumpismus“ als Bewegung insgesamt einen ungeahnten neuen Aufschwung verschaffen und könnte zum deutlichen Erstarken der politischen Rechten, vom republikanischen Konservativismus bis hin zum Neofaschismus, führen. Trump dürfte sich dann endgültig für unbesiegbar und unantastbar halten, also seine „America First“-Agenda noch offensiver und enthemmter fortführen als bisher. Vor allem aber dürfte Trump die Wahl im Falle seines Sieges als eine Art „Volksabstimmung“ über seine eigene Person auffassen und sie gegen die demokratischen Institutionen und Prozesse des Landes ausspielen, falls es darauf ankommt. Das würde langfristig zu einer Unterminierung des Systems von „checks and balances“ führen und damit die Demokratie in den Vereinigten Staaten aushöhlen. Vor dem Hintergrund der immensen politischen Polarisierung zwischen beiden Parteien dürften andererseits die Demokraten einen Wahlsieg Trumps anzweifeln und vermutlich sogar die Legitimität der Wahl selbst in Zweifel ziehen. Diese Zweifel wären durchaus berechtigt: angefangen von Trumps Warnungen vor einer Manipulation der Briefwahl und seiner eigenen Manipulation der Post über die in manchen Staaten betriebenen Methoden der „voters suppression“ wie eine Reduzierung der Wahllokale oder die Erschwerung der Wahl für schwarze US-Amerikaner bis hin zu möglichen Einschüchterungsversuchen demokratischer Wähler durch die Anhänger des „Trumpismus“ ist es fraglich, ob die Wahl überhaupt tatsächlich regulär und legitim ablaufen kann. Schwer abzusehen dürfte auch sein, welche Rolle die Einmischung des Auslandes spielt und ob diese Rolle groß genug sein wird, um den Ausgang der Wahl entscheidend zu beeinflussen. Nach Angaben der US-Geheimdienste haben nicht zufälligerweise China, Iran und Russland – also die führende Länder des geopolitischen Blocks der globalen Konterrevolution – bereits durch verdeckte und teilweise sogar offene Operationen versucht, in die US-Wahl einzugreifen und sie zu beeinflussen. Insbesondere dem Kreml dürfte es dabei um eine mehr oder weniger direkte Unterstützung Trumps durch eine Verunglimpfung Bidens gehen, wobei Trumps Kampagne aufgrund seiner engen Verbindungen zum Kreml ein leichtes Ziel darstellt.[146] Darüber hinaus liegt Russlands strategisches Hauptziel der Wahleinmischung vor allem darin, durch gezielte Täuschungen, Verbreitung von „fake news“, politische und ideologische Manipulationen sowie Stiftung von Verwirrung die Polarisierung in den USA voranzutreiben und damit die US-Demokratie langfristig zu destabilisieren. Letztlich scheint es sogar möglich, dass Putin gezielt auf eine Zuspitzung dieser Polarisierung bis hin zum Ausbruch von Unruhen oder sogar eines „heißen“ Bürgerkrieges nach der Wahl hinarbeitet. Unter dem Vorbehalt, dass die „voters surpression“ und die Einmischung ausländischer Mächte keinen signifikanten Einfluss auf das Ergebnis der diesjährigen Präsidentschaftswahlen in den USA haben werden, dürfte ein Wahlsieg Bidens aufgrund des sich abzeichnenden Stimmungsumschwungs in der US-amerikanischen Bevölkerung wahrscheinlich sein. Dafür sprechen bereits zahlreiche Umfragen und demoskopische Prognosen, auch wenn, wie die Wahl 2016 gezeigt hat, Trump vor dem Hintergrund solcher Voraussagen keinesfalls unterschätzt werden darf. Im Falle eines Wahlsieg Bidens jedenfalls wäre Trump der erste Präsident seit Georg H. W. Bush vor siebzehn Jahren, der nicht wiedergewählt wird. Angesichts der Tatsache, dass Teile des kapitalistischen Kleinbürgertums und des großkapitalistischen „Corporate America“ sowie schließlich auch der ehemaligen Industriearbeiter im Mittleren Westens der USA als Klassenbasis des „Trumpismus“  weggebrochen sind, könnte Biden sogar womöglich einen Erdrutschsieg einfahren. Dieses Szenario fürchten die Republikaner am meisten, weil es zu einem ähnlich dramatischen Einbruch an Stimmen für sie führen könnte wie nach dem „Watergate-Skandal“ um den einstigen republikanischen Präsidenten Richard Nixon. In diesem Fall würde es entweder innerhalb weniger Monate zu einem abrupten Stimmungsumschwung in der republikanischen Partei kommen, der dann historisch nahezu beispiellos werden dürfte, oder aber zu einer schweren, langanhaltenden Legitimationskrise. Ein solcher deutlicher Sieg könnte im besten Fall sogar der Polarisierung in den USA entgegenwirken und die politische „Mitte“ in den USA stärken, was wiederum, trotz des „Linksrucks“ der Partei, den moderaten Flügel der Demokraten stärken und der radikalisierte Fraktion der Republikaner, die mittlerweile ganz offen mit dem Neofaschismus sympathisiert, das Wasser abgraben würde.

Fraglich ist auch, wie es unmittelbar nach der Wahl in den USA weitergeht, falls Biden gewinnen sollte. Auf jeden Fall wird damit eine Feuertaufe für die Demokratie der Vereinigten Staaten eintreten. Trumps Äußerungen, dass er eine Niederlage, die laut ihm nur durch Wahlmanipulation zustande kommen kann, womöglich nicht akzeptieren wird und sein Schüren von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Wahl könnten Indizien dafür sein, dass er die Macht nicht friedlich und freiwillig abgeben wird. Womöglich wird er stattdessen versuchen, mithilfe legaler und illegaler politischer sowie juristischer Manöver die Amtsübergabe und den Antritt der neuen Regierung hinauszuzögern, bis die Polarisierung des Landes zu einem veritablen Chaos und einer schweren politischen Krise geführt hat. Anschließend könnte er sich dann als einziger legitimier und fähiger Retter der US-amerikanischen Nation vor ihrem drohenden Untergang inszenieren, um sich dauerhaft an der Macht zu halten. In diesem Fall würde es dann zu einer handfesten Verfassungskrise kommen. Möglich wäre allerdings auch, dass die Republikaner das Wahlergebnis in Zweifel ziehen und vor dem Obersten Gerichtshof klagen, das dann faktisch über den nächsten US-Präsidenten entscheiden müsste. Dafür hätte Trump dann bereits Amy Barret als neue Bundesrichterin installiert, die als Zünglein an der Waage zu seinen Gunsten entscheiden und ihm damit eine weitere vierjährige Amtszeit sichern dürfte. Mit großer Sicherheit wird Trump allerdings zumindest keinen tatsächlichen „Staatsstreich von oben“ inszenieren, nicht nur, weil er keinesfalls strategisch genug dafür denken kann, sondern auch, weil ein solcher Staatsstreich aufgrund des nach wie vor bestehenden, komplexen Systems der „checks und balances“ in den USA zum Scheitern verurteilt sein dürfte. Vermutlich hätte Trump nicht einmal die Mehrheit der Republikaner für eine solchen frontalen Angriff auf die US-amerikanische Demokratie, geschweige denn das staatlichen Gewaltmonopol wie der Polizei und das Militärs, geschweige denn die ihn ohnehin verachtenden Geheimdienste hinter sich. Wahrscheinlicher ist, dass Trump im Falle einer Wahlniederlage bis zuletzt die Rechtmäßigkeit der Wahl anzweifeln, es durchaus zu einer explosiven Stimmung zwischen den verfeindeten politischen Polen und einem immensen Aufschwung rechter Verschwörungstheorien kommen wird, aber er schlussendlich friedlich-schiedlich sein Amt übergibt.

Das letzte und sicherlich gravierendste Szenario wäre ein Umschlag des „kalten“ in einen „heißen“ Bürgerkrieg, also der Ausbruch eines offenen Bürgerkrieges. Dieses Szenario ist bereits seit Dekaden der feuchte Traum militanten Rechter in den USA, dem in einer apokalyptischen Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand entgegengefiebert wird. Mittlerweile ist die Rede vom Bürgerkrieg sogar schon im politischen „Mainstream“ angekommen und bereits 2018 gaben immerhin 31 Prozent aller US-Amerikaner an, den Ausbruch eines neuen Bürgerkrieges für sehr wahrscheinlich zu halten.[147] Jedenfalls dürfte unstrittig sein, dass das Gewaltpotenzial unter dem harten Kern des „Trumpismus“ enorm ist. Durch die in der jüngeren Geschichte der USA auf ein Höchstmaß zugespitzte politische Polarisierung, insbesondere durch die politische und ideologische Radikalisierung der Republikaner „nach rechts“ unter dem „Trumpismus“, ist die Gefahr einer „Militarisierung“ der „Mainstream“-Politik befördert worden. Bis zum Aufstieg des „Trumpismus“ operierten etwa die meisten Milizen in den Vereinigten Staaten an den Rändern der bürgerlichen Politik und wurden von dem Großteil der „Mainstream“-Politiker deutlich verurteilt. Seit Trumps Regierungsantritts erlebten die Milizen, von denen sich die rechten bis neofaschistischen als militanter Flüge „trumpistischen“ Kampfes gegen das „politische Establishment“ verstehen, allerdings den größten Aufschwung in den USA seit den 1960ern und 1970er Jahren. Dadurch wurde die „Mainstream“-Politik mittlerweile „indirekt militarisiert“: die Milizen besitzen zwar nach wie vor keine formelle Bindung an eine politische Partei, auch nicht an die Republikaner, aber sie haben die Politik bereits zu deren Gunsten verschoben. Obwohl die Milizen in den Vereinigten Staaten verschiedene politische Ziele haben und keineswegs durchgehend zu den Trump-Anhängern gehören, ja nicht einmal unbedingt eine konsistente Ideologie besitzen, hat sich der Fokus rechter bzw. „rechtsradikaler“ Milizen unter Trump zunehmend auf demokratische Politiker und tatsächliche oder vermeintliche Gegner des „Trumpismus“ sowie gesellschaftlich marginalisierte Minderheiten verschoben, die nicht in die rassistische Vision von einem wiedererstarkten „weißen Great America“ passen. Die Grundlage für diese Verschiebung war nicht nur ein rhetorischer Wandel, der zu einer zunehmenden Militarisierung der Sprache des politischen Diskurses geführt hat, sondern Trump unterstützte rechte bis neofaschistische Milizen wie die „Proud Boys“ auch teilweise gezielt moralisch und ideologisch. Vor allem aber übte er gezielt systematischen Druck auf das „Department of Homeland Security“ aus, um solchen Milizen durch die Relativierung der von ihnen ausgehenden Gefahr einen größeren Handlungsspielraum einzuräumen. Vor dem Hintergrund der fragmentierten Struktur, die das Sicherheitssystem in der USA aufgrund ihres politischen Föderalismus besitzt, ignorierten bzw. tolerierte die lokale Polizei die Bedrohung durch Milizen oder baute sogar bereits bestehende Verbindung zu ihnen aus: insbesondere rechte Milizen verfügen über enge Kontakte zu den bewaffneten Formationen des staatlichen Gewaltmonopols wie dem Militär und der Polizei, oder haben sogar selbst ehemalige Militärs in den eigenen Reihen. Diese durch den „Trumpismus“ ermöglichte und teilweise gezielt beförderte Verschiebung hat nicht nur zur Manifestation praktischer Gewalt und sogar Planung eines heißen Bürgerkrieges durch diese Milizen geführt,[148] sondern eröffnete überhaupt erst die Option ihrer militanten Einflussnahme auf den Ausgang der anstehenden Präsidentschaftswahl.

Dennoch bleibt die Gefahr eines offenen Bürgerkrieges im unmittelbaren Anschluss an die diesjährige US-Präsidentschaftswahl relativ gering. Sicherlich darf die im Zuge der sich verschärfenden politischen Polarisierung zugenommene Massenparanoia, insbesondere auf der politischen Rechten, nicht unterschätzt werden: wenn genug Menschen eine bestimmte Situation für real halten, dann handeln sie dementsprechend danach und es folgen auch reale Konsequenzen. Andererseits sind die realen Interessengegensätze zwischen den Anhängern des „Trumpismus“ und den Demokraten nicht so gravierend, dass sie einen Bürgerkrieg rechtfertigen würden. Vor allem aber hat die Mehrheit der US-Bürger, die Trump im Jahr 2016 gewählt hat, trotz seiner politischen und weltanschaulichen Radikalisierung auch nicht unmittelbar etwas mit dem militanten Milieu rechter oder sogar neofaschistischer Milizionäre zu schaffen. Militärisch betrachtet könnten die Milizen, selbst wenn man sie fälschlicherweise als einen homogenen Block auffasst, auch kaum einen Bürgerkrieg gewinnen. Zum einen unterstehen sie keinem Oberkommando und sind daher nicht zu einem organisierten strategischen Vorgehen in der Lage, zum anderen aber dürften sie den bewaffneten Formationen der US-Regierung heillos unterlegen sein. Die genaue Anzahl der in Milizen organisierten US-Amerikaner ist nicht bekannt und Schätzungen schwanken extrem, aber selbst der größte Dachverbandes der Milizen, die „Oath Keepers“, umfassen nach eigenen Angaben nicht mehr als 30.000 Mitglieder.[149] Neben dem plötzlichen Ausbruch eines offenen Bürgerkrieges durch den Umschlag des bestehenden „kalten“ in einen „heißen“ wäre allerdings auch ein längerer, kontinuierlicher Weg in den Bürgerkrieg denkbar. Die Wahrscheinlichkeit dieser Option ist allerdings bereits allein deshalb gering, weil die Bedingungen für einen Bürgerkrieg deutlich schlechter werden dürften, sobald sich der durch die Präsidentschaftswahl aufgewirbelte Staub wieder gelegt hat. Hinzu kommt, dass es Biden womöglich sogar tatsächlich gelingen könnte, die politische Polarisierung in den USA zumindest wieder ein Stück weit zu entschärfen. Damit aber würde ein „langer Marsch“ in den Bürgerkrieg im Verlauf von Bidens Amtszeit zunehmend an Wahrscheinlichkeit einbüßen. Eher noch als ein Bürgerkrieg ist daher eine Welle rechtsterroristischer Anschläge und eine Ausbreitung des rechten Terrorismus in den USA eine realistische Option. Möglich wäre allerdings auch die fortwährende Ausübung niedrigschwelliger politischer Gewalt durch Milizen. Die Wahrscheinlichkeit dieser „low-level political violence“ ist unter dem „Trumpismus“ deutlich gestiegen. Damit wurde auch die Gefahr einer „direkten Militarisierung“ der „Mainstream“-Politik in den USA befördert, durch die sich Milizen mit politischen Parteien letztlich auch formell verbinden könnten, was zu niedrigschwelliger Gewalt selbst in dieser „Mainstream“-Politik führen könnte und langfristig die Demokratie in den Vereinigten Staaten untergraben würde. Jedenfalls ist es wahrscheinlich, dass es nach der absehbaren Wahlniederlage Trumps zu einer neuen Dimension von Gewalt in den USA kommen könnte, die selbst die jüngsten Unruhen angesichts rassistischer Polizeigewalt gegen Afroamerikaner überschatten dürfte.

Wie auch immer der Regierungswechsel vonstattengehen und die Frage nach der politischen Gewalt im Nachgang der Wahl praktisch beantwortet werden mag, der Untergang des „Trumpismus“ scheint besiegelt zu sein. Dieser Untergang wird allerdings nichts Wesentliches an den sich in den USA seit Dekaden durchsetzenden ökonomischen Tendenzen und Trends ändern, die der „Trumpismus“ lediglich katalysiert hat. Aufgrund des tendenziellen Fallens seiner nationalen Durchschnittsprofitrate scheint die Phase einer beschleunigten Akkumulation des nationalen Gesamtkapitals der USA auf absehbare Zeit vorbei. Ein Steigen dieser Profitrate und ein Ende des Erlahmens der Kapitalakkumulation, welches die notwendige Bedingung für eine neue langanhaltende Prosperitätsphase der US-Wirtschaft wäre, zeichnet sich zumindest nicht ab. Selbst ein neu aufgelegtes Konjunkturprogramm unter einer Biden-Administration, das entweder nur gegen den erbitterten Widerstand der Republikaner oder bei einer demokratischen Mehrheit im Senat erlassen werden könnte, würde zwar im besten Fall den wirtschaftlichen Erholungsprozess in den USA stabilisieren, aber voraussichtlich nicht zu einer langfristigen Stimulation der US-Wirtschaft durch steigende Profitraten führen. Angesichts der exorbitant hohen Staatsverschuldung würde Biden im Falle eines Wahlsiegs die neomerkantilistische Handelspolitik der USA fortführen müssen, wobei sich die von ihm eingesetzten Mittel des Protektionismus lediglich in ihrer Aggressivität vom „Trumpismus“ unterscheiden dürften. Daher wird er aller Voraussicht nach auch den Handelskrieg mit China fortsetzen, wenn auch womöglich taktisch klüger und mit diffizileren Methoden als Trump. Vor dem langfristigen historischen Hintergrund, dass die USA die Rolle als Demiurg des bürgerlichen Kosmos seit Dekaden verloren hat, wird auch eine Biden-Regierung weiterhin einen Wirtschaftsnationalismus betreiben und den bereits unter Obama eingeschlagenen, von Trump deutlich verschärften Kurs des außenpolitischen Isolationismus fortsetzen. Möglich ist allerdings, dass eine Administration unter Biden hierbei etwas weniger isolationistisch agieren würde als die vorangegangene unter Trump. Insbesondere dürfte sie sich wieder stärker internationalen Bündnispartnern, allen voran Europa zuwenden, um einen geopolitischen Block gegen das globale Lager der Konterrevolution als „Koalition der Demokratien“ (Biden) zu schmieden. Dabei wird Biden gegenüber Russland aller Voraussicht nach, da er im Unterschied zu Trump nicht wirtschaftlich mit dem Kreml verquickt ist, im Interesse der nationalen Sicherheit der USA offensiver auftreten. Dadurch könnte die weltweite Offensive des geopolitischen Blocks der globalen Konterrevolution, an deren Spitze Russland militärisch steht, zumindest etwas gehemmt werden. Angesichts des Verlusts ihrer Demiurgenrolle würde sich die USA unter Biden wohl dennoch weltpolitisch deutlich weniger engagieren und etwa in mögliche geopolitische Konflikte zugunsten des Lagers der privatkapitalistischen Länder im „Westen“ intervenieren als in vorangegangenen Epochen. So dürfte Biden, auch wegen des immensen Haushaltsdefizits der USA, in Militärbündnissen wie der NATO wie bereits Trump weiterhin darauf drängen, die Kosten für den zunehmenden Rückzug der USA aus der Weltpolitik zu sozialisieren und die anderen Ländern zu Übernahme größer Kosten bzw. Einhaltung ihrer bestehenden Zusagen über die laufenden Kosten drängen. Dennoch dürfte eine Regierung unter Biden, im Unterschied zum „Trumpismus“, insgesamt keine Agenda des „America First“ vertreten, sondern die USA den europäischen NATO-Partnern wieder annähern. Trotz seiner in Teilen sogar von der Parteilinken geprägten Wirtschafts- und Sozialpolitik, die auf einen deutlich stärkeren Interventionismus des Staates setzt als der „Trumpismus“, wird Biden die sich verschärfenden ökonomischen Widersprüche und den sich zuspitzen Klassenantagonismus zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat in den Vereinigten Staaten nicht entschärfen, geschweige denn lösen können. Der angebliche „Niedergang“ der USA als Weltmacht, der seit einem halben Jahrhundert immer wieder als unweigerlich und kurz bevorstehend propagiert wird, wird perspektivisch nicht stattfinden. Zum Bedauern der Anti-Amerikaner auf der politischen Linken und Rechten werden die USA also auch nach dem „Trumpismus“ wirtschaftlich, politisch und militärisch auf absehbare Zeit weiterhin die führende Weltmacht bleiben. Damit wird auch die liberale Weltordnung, die weiterhin unter der unipolaren Führung der USA steht, erhalten bleiben – obgleich das geopolitische Lager der globalen Konterrevolution weiterhin alles daran setzen wird, die USA als fortschrittlichste kapitalistische Nation „westlichen“ Typs zu destabilisieren, um damit auch diese Ordnung zu zerstören. Nirgends ist die privatkapitalistische Produktionsweise historisch so weit entwickelt, nirgends sind daher die „Bildungselemente“ einer kommunistischen Gesellschaft und die „Umwälzungsmomente“ (Marx) der alten bürgerlichen Gesellschaft so weit herangereift wie in den USA. Daher rührt auch die immense Feindschaft all jener Kräfte, die eine revolutionäre Aufhebung dieser alten Gesellschaft verhindern wollen, indem sie die Bedingungen für diese Aufhebung subvertieren. Nicht nur findet das US-amerikanische Proletariat in der weltweit fortgeschrittensten privatkapitalistischen Reproduktionstotalität der Vereinigten Staaten das relativ beste Terrain für seinen Klassenkampf, sondern als Zentrum und Führungsmacht der liberalen Weltordnung garantiert die USA auch die entscheidenden ökonomischen und politischen Voraussetzungen dafür, dass das Weltproletariat seinen revolutionären Kampf um die Befreiung der Arbeit von den Fesseln des Kapitals führen kann. Das geopolitische Lager der globalen Konterrevolution zielt mit seinem Kampf gegen die USA als „Weltmacht“ also letztlich nicht nur auf die fortschrittlichste kapitalistische Nation, sondern zugleich und mehr noch auf die Bedingungen für den revolutionären Parteibildungsprozess des Proletariats, der seinem Inhalt nach immer schon international ist und seine beste Ausgangsbasis in der bestehenden liberalen Weltordnung findet. Die materiellen Voraussetzungen für eine höhere Gesellschaftsformation, die auf dem Gemeineigentum an den gesellschaftlichen Produktions- und Lebensmitteln durch eine „freie Assoziation freier Individuen“ (Marx) im Weltmaßstab beruht, die zunehmende Entwicklung des universellen Verkehrs und allumfassender Beziehungen der Menschen zueinander, die fortschreitende Herausbildung ihrer gattungsmäßigen Wesenskräfte und die stetig wachsenden Bedingungen für eine freie Entwicklung der Individualität stehen und fallen mit dieser liberalen Ordnung. Ihr Fortdauern bedeutet das Fortdauern der Bedingungen und Möglichkeiten einer modernen kommunistischen Revolution des internationalen Proletariats, dessen Hauptfeind in jeder Hinsicht das von China, Russland und dem Iran angeführte konterrevolutionäre Lager sein wird.


[1] Dies gilt etwa für die sich in den letzten Jahren durchsetzenden Zentrifugalkräfte innerhalb der EU, die zu einer Desintegration der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion zu führen drohen, welche durch die „Große Rezession“ von 2007 bis 2009 katalysiert wurde. Diese Kräfte zeigten sich nicht nur anhand des rasanten Aufstiegs „rechtspopulistischer“ bis neofaschistischer Parteien innerhalb einzelner Länder der EU, sondern kulminierten bislang auch in dem als „Brexit“ bekanntgewordenen Austritt Großbritanniens.

[2] MEW 4, S. 474.

[3] Diese Verordnung bestand in einem konjunkturpolitischen Maßnahmenpaket, das von Steuererleichterung zur Förderung von Investition in produktives Kapital bis zur Anhebung von Höchstbeträgen für Hypotheken staatlich subventionierter Unternehmen reichte. Insgesamt umfasste es 152 Milliarden US-Dollar im Jahr 2008, weitere 124 Milliarden sollen in den kommenden zehn Jahren zur Verfügung gestellt werden.

[4] Das von der Obama-Administration verabschiedete, insgesamt 787 Milliarden US-Dollar große Konjunkturprogramm enthielt neben Steuersenkungen eine Bildungsreform, Infrastrukturinvestitionen, staatliche Subventionen für das Gesundheitswesen und Finanzausgaben zur Förderung des Abbaus der Arbeitslosigkeit.

[5] Vgl. exemplarisch dazu die Prognose Stephan Krügers, dass „der Kapitalismus“ nach der „Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2007ff.“ nur „um den Preis seiner evolutionären Weiterentwicklung und tendenziellen Aufhebung durch Relativierung seiner privaten Vergesellschaftungsformen im Äußeren wie im Inneren“ (Stephan Krüger: Allgemeine Theorie der Kapitalakkumulation. Konjunkturzyklen und langfristige Entwicklungstendenzen, Hamburg 2010, S. 882) fortexistieren könne – oder untergehen müsse. Ernst Lohoff und Norbert Trenkle behaupten sogar, dass sich in dieser Weltwirtschaftskrise eine „fundamentale Strukturkrise“ als „Krise der Wertverwertung“ ausgedrückt habe, und warnen vor „eine[r] große[n] Katastrophe in dem Maße, wie sich die Krise weiter zuspitzt.“ (Ernst Lohoff, Norbert Trenkle: Die große Entwertung. Warum Spekulation und Staatsverschuldung nicht die Ursache der Krise sind, Münster 2012, S. 18). Dagegen behauptet Guenther Sandleben, der diese „wertkritische“ Krisentheorie zurecht als eine Spielart der „Finanzmarktkapitalismus“-Theorie kritisiert (vgl. Guenther Sandleben/ Jakob Schäfer: Apologie von links. Zur Kritik gängiger linker Krisentheorien, Köln 2013, S. 79-90), dass die „Große Rezession“ von 2007 bis 2009 den Beginn einer „Niedergangsperiode des Kapitals“ markiere, die in einer „Periode allgemeiner chronischer Überproduktion, tendenziell niedriger Akkumulation und insgesamt durch eine erhöhte Instabilität“ (vgl. Guenther Sandleben: Finanzmarktkrise – Mythos und Wirklichkeit. Wie die ganz reale Wirtschaft die Krise kriegt, Norderstedt 2011, S. 95) sei, womit er eine Spielart der genuin bourgeoissozialistischen These von der „strukturellen Überakkumulation“ des Kapitals vertritt. Im Unterschied zu Sandleben räumt Paul Mattick Junior, trotz seiner relativ pessimistischen Einschätzung für die Zukunft nicht nur der kapitalistischen Produktionsweise, sondern auch der menschlichen Gattung immerhin realistischerweise ein, dass es für die in der „Großen Rezession“ sich manifestierenden Probleme prinzipiell die Lösung einer „tiefen Depression“ gebe und es „durchaus vorstellbar“ sei, „dass eine solche Entwicklung dem Kapitalismus wie in der Vergangenheit neuen Auftrieb geben könnte.“ (Paul Mattick: Business as usual. Krise und Scheitern des Kapitalismus, Hamburg 2012, S. 108). Im Unterschied zu Krüger spielt sich Mattick auch nicht als Chefarzt am „Krankenbett des Kapitalismus“ (Tarnow) auf und knüpft diese mögliche Entwicklung an die Etablierung einer „sozialistische Marktwirtschaft“ durch einen „radikalen Reformismus“.

[6] Das „allgemeine Gesetz kapitalistischer Akkumulation“ (Marx) besagt, dass, je höher die Stufenleiter der erweiterten Reproduktion und damit die Akkumulation des Kapitals steigt, umso größer die industrielle Reservearmee wird und je größer die industrielle Reservearmee relativ zur aktiven Arbeiterarmee wächst, desto mehr sich Prekarität und Pauperismus verbreiten. Dieses Gesetz wird zwar stets „durch mannigfache Umstände modifiziert“ (MEW 23, S. 674), ist aber allgemeingültig, da es auf der Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise nicht aufgehoben werden kann.

[7] Die als „Fordismus“ bezeichnete besondere geschichtliche Form der Produktion des industriellen Kapitals ist also keine neue „Betriebsweise“, die auf die große Industrie als angeblich auf das 19. Jahrhundert beschränkte „Betriebsweise“ folgte, wie die strukturalistische „Regulationstheorie“ in ihrem mechanischen Materialismus annimmt. Vielmehr handelt es um eine bestimmte historische Erscheinungsform der „großen Industrie“ (Marx) als entfalteter Methode der Produktion des relativen Mehrwerts, die konstitutiv für die kapitalistische Produktionsweise überhaupt ist.

[8] MEW 16, S. 152.

[9] Diese Entwicklung wurde im Marxismus bzw. Marxismus-Leninismus falsch als Etablierung eines „Staatsmonopolkapitalismus“ interpretiert, der gegenüber der „freien Konkurrenz“ einen höheren Entwicklungstyp der kapitalistischen Produktionsweise darstellen sollte. Diese Auffassung beruhte auf einer Fehlinterpretation der Marxschen Methode im „Kapital“ als „historisch-logischer“, mit der die angeblich „freie Konkurrenz“ als frühe Entwicklungsphase der kapitalistischen Produktionsweise des englischen Gemeinwesens dargestellt werde. Entsprechend dieses Missverständnisses wurde zunächst von Karl Kautsky und später von Rudolf Hilferding die schematische Stadientheorie einer geschichtsdeterministischen Entwicklung formuliert, in welcher der notwendige Zusammenhang zwischen Monopol und Konkurrenz zerrissen und beide anschließend verschiedenen geschichtlichen Etappen der kapitalistischen Produktionsweise zugeordnet wurden. Die Konkurrenz wurde dabei ausschließlich negativ als Abwesenheit von Schranken wie z.B. Monopolen aufgefasst, wodurch die „innere Natur“ (Marx) des Kapitals verkehrt als Ergebnis der Konkurrenz, nicht umgekehrt die Konkurrenz als notwendige Erscheinungsform verstanden wurde, in der sich die immanente Tendenz des Kapitals verwirklicht. Damit wurde auch nicht verstanden, dass sich mit der hohen Stufenleiter der falsch unter dem Begriff „Staatsmonopolkapitalismus“ gefassten Tendenz zur Konzentration und Zentralisation des Kapitals, die bis hin zur Verstaatlichung der Produktionsmittel führte, lediglich die Attraktion der Kapitale aufeinander durchsetzte, ohne jedoch ihre Repulsion voneinander in der Konkurrenz aufzuheben.

[10] Nicht zufälligerweise entwickelte sich im ökonomischen Kontext der spezifisch „fordistischen“ Form großindustrieller Massenproduktion und dem damit einhergehenden steigenden Spielraum für die individuelle Konsumtion auch die „Kulturindustrie“ (Adorno/ Horkheimer), als Ökonomisierung der Kultur zwecks industrieller Massenproduktion. Dadurch nahmen Kulturgüter nicht nur zunehmend die Warenform an, sondern bildete sich auch vermehrt die Möglichkeiten zur „technischen Reproduzierbarkeit“ (Benjamin) von Kunstwerken heraus.

[11] Vgl. Manfred Berg: Geschichte der USA, in: Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Band 42, München 2013, S. 62.

[12] Vgl. ebd.

[13] Zu den wichtigsten Maßnahmen gehörten der „Agricultural Adjustment Act“ und der „National Recovery Act“, mit denen die Überproduktion in der Landwirtschaft und der Industrie abgebaut und die Deflation bekämpft werden sollte. Ein rudimentärer Sozialstaat wurde mit dem „Social Security Act“ von 1935 etabliert, durch den unter anderem eine Arbeitslosen-, Arbeitsunfall- und Rentenversicherung eingeführt wurden. Im Rahmen des „New Deal“ wurden auch erstmals Gewerkschaften auf nationaler Ebene rechtlich anerkannt, um sie gezielt zu stärken, womit die US-amerikanischen Arbeiter umfassende Koalitionsfreiheit erhielten.

[14] Vgl. Jürgen Heideking, Christof Mauch: Geschichte der USA, 6. Auflage, Stuttgart 2008, S. 283.

[15] Vgl. Bernd Stöver: Die Geschichte der USA. Von der ersten Kolonie bis zur Gegenwart, 2., aktualisierte Auflage, München 2017, S. 430.

[16] Vgl. Stephan Krüger: Profitraten und Kapitalakkumulation in der Weltwirtschaft. Arbeits- und Betriebsweisen seit dem 19. Jahrhundert und der bevorstehende Epochenwechsel, Hamburg 2019, S. 303.

[17] Vgl. Herman van der Wee: Der gebremste Wohlstand. Wiederaufbau, Wachstum, Strukturwandel der Weltwirtschaft 1945-1980, in: Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert, Band 6, München 1984, S. 20.

[18] Vgl. Bernd Stöver: Die Geschichte der USA, a.a.O., S. 430.

[19] Vgl. Krüger: Profitraten und Kapitalakkumulation, a.a.O., S. 117.; siehe auch derslb.: Allgemeine Theorie der Kapitalakkumulation. a.a.O., S. 829.

[20] Keynesianer, die diesen Trend auf keynesianische Wirtschaftspolitik zurückführen, kehren das wechselseitige Bedingungsverhältnis der Wirtschaftspolitik durch die ökonomische Struktur der bürgerlichen Gesellschaft, in dem diese Struktur das übergreifende und letztinstanzlich bestimmende Moment bildet, zugunsten eines „Primats der Politik“ um: sie stellen das Verhältnis von Wirtschaft und Politik auf den Kopf. Doch nicht der Keynesianismus, der als makroökonomisches Paradigma die seinerzeitige Wirtschaftspolitik der USA beherrschte, induzierte die Nachkriegsprosperität, sondern umgekehrt war es dieser mit den historisch spezifischen Bedingungen der Nachkriegszeit gegebene konjunkturelle Rahmen, innerhalb dessen der Keynesianismus seine damalige wirtschaftspolitische Dominanz erlangen konnte. Mit dem Ende dieser langanhaltenden Prosperitätsphase ist daher auch das keynesianische Paradigma an seine historische Grenze gestoßen. Seitdem reduziert es sich darauf, in Phasen konjunktureller Überakkumulationskrisen als ideologische Legitimation einer staatsinterventionistischen Wirtschaftspolitik oder als propagandistisches Mittel linker Bourgeoissozialisten herzuhalten. Aufgrund der kontinuierlichen Periodizität der konjunkturellen Verlaufsform der kapitalistischen Akkumulation, in der sich die allgemeine Tendenz zum Fallen der Durchschnittsprofitrate ausdrückt, wird diese Politik daher zwar regelmäßig wiederkehrend, aber immer nur vorübergehend als Rezept zur Lösung zyklischer Krisen propagiert.

[21] Im Unterschied zur USA erfolgte in Westeuropa zunächst keine wirtschaftliche Erholung, da dieses ebenso wie der Rest Europas weitgehend zerstört war. Die Industrieproduktion war dementsprechend, gemessen am Vorkriegsniveau, deutlich niedriger, insbesondere in Deutschland und Italien. Dies änderte sich allerdings bereits ab 1947. Vor dem historischen Hintergrund der von der Sowjetunion ausgehenden Expansion der staatssozialistischen Despotie nach Osteuropa und Asien bemühten sich die USA, ihren neu gewonnenen Einfluss in Westeuropa zu zementieren. Die geopolitische Blockkonfrontation zwischen der USA und der Sowjetunion, die später im Kalten Krieg gipfelte, führte zur wirtschaftspolitischen Fördermaßnahmen für Westeuropa, wodurch dieses ökonomisch und politisch in den westlichen Block integriert wurde (sog. „Westbindung“). Im Zentrum dieser Bemühungen stand Westdeutschland, dem nicht nur der Weg zur erneuten Erlangung der wirtschaftlichen Hegemonie in Europa freigemacht, sondern das dafür auch durch den „Marshallplan“ ökonomisch gefördert wurde. Insgesamt erhielten 16 europäische Länder durch den Marshallplan Hilfen für den wirtschaftlichen Wiederaufbau, wobei in das industrielle Kapital und insbesondere in dessen fixen Bestandteil, der durch den Krieg entwertet oder zerstört worden war, investiert wurde. Damit sollte die Kapitalakkumulation der nationalen Gesamtkapitale in Westeuropa wieder angekurbelt werden.

[22] Dieses Gesetz ist, insbesondere vom historischen Standpunkt aus, das wichtigste Gesetz der politischen Ökonomie, weil sich in ihm die historische Relativität der kapitalistischen Produktionsweise manifestiert. Es drückt aus, dass die durch das Kapital entwickelten Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit auf einer bestimmten historischen Entwicklungsstufe mit den kapitalistischen Produktionsverhältnissen in einen Widerspruch geraten. Die weitere Entwicklung der Produktivkräfte wird dann zu einer Schranke für die Entwicklung des Kapitals, welche die Selbstverwertung des Kapitals tendenziell aufhebt, anstatt sie weiterhin zu verwirklichen. Das bedeutet umgekehrt, dass die kapitalistischen Produktionsverhältnisse eine Schranke für die weitere Entwicklung der Produktivkräfte und die reichere Entwicklung der Individualität werden. Der tendenzielle Fall der Profitrate drückt daher aus, dass historisch bereits die materiellen Bedingungen für eine höhere, weiterentwickelte Form der Produktion gebildet worden sind. Angesichts dieses Widerspruchs zwischen den Produktivkräften der gesellschaftlichen Arbeit und den kapitalistischen Produktionsverhältnissen laufen die politischen Programme der Bourgeoissozialisten darauf hinaus, diese Produktionsverhältnisse in Staatsform durch die Fesselung jener Produktivkräfte zu retten. Die Ökologie ist deshalb ihr liebstes Steckenpferd, denn hier scheint eine Fesselung und ein „Rückbau“ der Produktivkräfte eine absolute Notwendigkeit zu sein. Allerdings gilt dies nur, wenn die vorhandenen Formen der Energiegewinnung und des Energieverbrauchs historisch als absolut gesetzt werden.

[23] Vgl. Stephan Krüger: Profitraten und Kapitalakkumulation in der Weltwirtschaft, a.a.O., S. 315.

[24] Während die Rolle, welche das keynesianische Wirtschaftsparadigma beim Zusammenbruch des Bretton Woods-Systems spielte, von neoklassischen Ökonomen unter Abstraktion von den tieferliegenden ökonomischen Ursachen überbetont wird, relativieren keynesianische Ökonomen wiederum diese Rolle oder abstrahieren vollständig davon, um der faktischen Delegitimierung des Keynesianismus mit dem Zusammenbruch des Bretton Woods-Systems entgegenzuwirken.

[25] Dieses Dilemma bestand darin, dass die entwickelten kapitalistischen Nationen bei einer Erhöhung der umlaufenden Geldmengen in ihren jeweiligen Binnenzirkulationen auch ihre Dollarreserven erhöhen mussten, da der US-Dollar direkt konvertibel mit Gold, die anderen Währungen aber über feste Paritäten an den Dollar gebunden waren. Mit wachsendem Welthandel wurde es der USA jedoch nicht mehr möglich, zusätzliche durch Gold gedeckte US-Dollar, die neben dem Gold als Währungsreserve zur Deckung der steigenden Mengen des zirkulierenden Geldes benötigt wurden, zu emittieren. Infolgedessen konnte eine stetig zunehmende Menge an US-Dollar nicht mehr durch Gold gedeckt werden, was schließlich dazu führte, dass die für den Welthandel benötigte Liquidität nur durch die Freisetzung zusätzlicher ungedeckter Dollar garantiert werden konnte.

[26] Damit erwies sich historisch, dass eine internationale Koordination der Währungsverhältnisse und eine institutionelle Steuerung des Welthandels stets nur beschränkt möglich ist, weil sie auf der kapitalistischen Produktionsweise beruhen, deren ökonomische Gesetze sich notwendigerweise naturwüchsig Geltung verschaffen: die Kapitalakkumulation lässt sich aufgrund des naturwüchsigen Charakters dieser Produktionsweise, entgegen der Annahmen der Apologeten des Staatskapitalismus wie etwa den Vertretern einer „sozialistischen Marktwirtschaft“, langfristig nicht wirtschaftspolitisch „steuern“.

[27] Die Ursache der Krise war allerdings weder der steigende Ölpreis noch eine falsche Wirtschaftspolitik, wie ihr Name nahelegt und neben bürgerlichen auch von zahlreichen „marxistische“ Ökonomen behauptet wird. Der sprunghafte Anstieg des Preises für rohes Erdöl war vielmehr nur der Auslöser für den zyklischen Wendepunkt des konjunkturellen Verlaufs der entwickelten kapitalistischen Länder hin zu einer schweren Rezession. Dabei bildete das Fallen der nationalen Durschnittsprofitrate in diesen den langfristigen ökonomische Hintergrund für diese Krise und ihre Ausweitung zu einer Weltwirtschaftskrise.

[28] Im Jahr 2002 betrug der US-amerikanische Anteil an der globalen Industrieproduktion noch 28 Prozent, während er vierzehn Jahre später nur noch bei 18 Prozent lag. Infolge der Abnahme dieses Anteils wurden die USA im Jahr 2010 von China als größter „Industrienation“ weltweit abgelöst. Während der Anteil des sogenannten „Industriesektors“ an der gesamtwirtschaftlichen Leistung der USA im Jahr 1979 noch 32 Prozent betrug, war er 2016 auf nur noch 19 Prozent gesunken (vgl. Daniela Arregui Coka et al.: Von Trump und Xi lernen? Globalisierung und Innovation als Treiber einer neuen Industriepolitik, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): GED Focus Paper, Gütersloh 2020, S. 9, online unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/von-trump-und-xi-lernen).

[29] Ihr Anteil an der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes betrug im Jahre 2018 immerhin 3,62 Milliarden US-Dollar, was 63,5 Prozent der gesamten Warenexporte ausmachte. Dabei arbeiteten ungefähr 20 Millionen Lohnarbeiter in der großen Industrie, was 13 Prozent der gesamten US-amerikanischen Arbeiterklasse entspricht. (vgl. Daniela Arregui Coka et al: Von Trump und Xi lernen?, a.a.O., S. 9).

[30] Die strukturalistische „Regulationstheorie“ verkündete angesichts der historischen Überflüssigkeit der „fordistischen“ Form der großen Industrie einen Übergang zum „Toyotismus“ – angelehnt an die spezifischen Produktionsmethoden des japanischen Automobilproduzenten „Toyota“ – als neuer „postfordistischer Betriebsweise“. Dieser Übergang fand allerdings niemals statt, womit sich auch jene Theorie historisch an der Wirklichkeit blamierte. Die Geschichte hat gezeigt, dass die industrielle Massenproduktion, als entwickelte Stufenleiter kapitalistischer Produktion, keinesfalls ein historisch temporäres „Akkumulationsregime“, sondern die am höchsten entwickelte Methode zur Produktion des relativen Mehrwerts ist, die trotz der Einführung moderner Produktionsmethoden weiterhin wesentlich für die Produktion und Akkumulation des industriellen Kapitals bleibt.

[31] Bereits Marx hatte darauf hingewiesen, dass der auswärtige Handel durch die Verbilligung des konstanten Kapitals und der notwendigen Lebensmittel, gegen die sich das variable Kapital tauscht, die Profitrate durch eine Erhöhung der Mehrwertrate bei gleichzeitiger Senkung des Werts des konstanten Kapitals steigern kann. Darüber hinaus betonte Marx, dass der Außenhandel generell zu einer Steigerung der Profitrate führt, da er die Erweiterung der Stufenleiter der Produktion und damit zur Beschleunigung der Akkumulation ermöglicht. Dieser Möglichkeit zur Steigerung der Profitrate ist allerdings zugleich dadurch eine Grenze gesetzt, dass der auswärtige Handel dem Gesetz zur steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals zur Durchsetzung verhilft, indem er das Sinken des relativen gegenüber dem konstanten Kapitalteils ermöglicht und damit wiederum die Tendenz zum Fall der allgemeinen Profitrate forciert (vgl. MEW 25, S. 247).

[32] MEW 25, S. 245.

[33] MEW 23, S. 790.

[34] Das ist auch der Grund dafür, warum die „Globalisierung“ sowohl von der „globalisierungskritischen“ Linken als auch Rechten als „Amerikanisierung“, die zu einem angeblichen Verlust nationaler Identität und einer Trivialisierung autochthoner Kulturen führen sollte, denunziert. Dementsprechend steht hinter dieser „Globalisierungskritik“ auch nicht zuletzt ein klassisch anti-amerikanisches Ressentimen.

[35] MEW 25, S. 120.

[36] MEW 23, S. 779.

[37] Die Beziehungen des kapitalistischen Weltmarkts sind die entwickeltsten Erscheinungsformen, in denen sich die ökonomischen Verhältnisse der kapitalistischen Produktionsweise darstellen. Auf dem Weltmarkt kristallisieren sich die stofflichen und ökonomischen Bedingungen für die „zivilisatorische Mission“ (Marx) des Kapitals, da der Weltmarkt die Voraussetzung für die universelle Entwicklung der Produktivkräfte und den universellen Verkehr der in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit gegeneinander gleichgültigen Individuen ist. Durch die damit einhergehende Auflösung der ursprünglichen Abgeschlossenheit der einzelnen Nationalitäten und der naturhaften Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Nationen zugunsten einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung zwischen den „Metropolen“ und der „Peripherie“ des Weltmarkts wird die Geschichte zur Weltgeschichte. Zugleich erscheint in der Form des Weltmarkts nun auch die fremde Macht des Kapitals über die Arbeiter in ihrer Universalität.

[38] Diese neue Phase der historischen Entwicklung wurde im Marxismus der II. Internationale, entsprechend der von ihm vertretenen geschichtsdeterministische Stadientheorie, falsch als unter der Bezeichnung „Imperialismus“ gefasstes „höchstes Stadium des Kapitalismus“ (Lenin) gedeutet.

[39] MEW 23, S. 790.

[40] MEW 42, S. 321.

[41] Vgl. Cornelius Torp: Die Herausforderung der Globalisierung. Wirtschaft und Politik in Deutschland 1860-1914, in: Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 168, 2005 Göttingen, S. 29.

[42] Diese Tatsache wird von Vertretern der „Finanzmarktkapitalismus“-Theorie gerne übersehen bzw. interessiert verschwiegen, da sie ihrer Behauptung einer in diesem angeblich neuen „Typ“ der kapitalistischen Produktionsweise präzedenzlösen Verflechtung der internationalen „Finanzmärkte“ historisch entgegensteht.

[43] Vgl. Cornelius Torp: Die Herausforderung der Globalisierung, a.a.O., S. 43.

[44] Damit erwies sich erneut praktisch, dass die propagandistische Tendenz des Kapitals zur Bildung eines von ihm spezifisch geprägten Weltmarkts aus seiner eigenen inneren Notwendigkeit zur Akkumulation entspringt.

[45] Vgl. Torben Lütjen: Amerika im kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert, Darmstadt 2020, S. 35.

[46] Vgl. Manfred Berg, Geschichte der USA, a.a.O., S. 80.

[47] Die Bezeichnung „Neoliberalismus“ ist längst zu einem bloßen Containerbegriff und politischen Schlagwort für einen auf den Staatssozialismus abzielenden Bourgeoissozialismus der Linken geworden, unter dem die disparatesten Phänomene der privatkapitalistischen Produktionsweise subsumiert werden, um diese Produktionsweise zugunsten der Etablierung einer staatskapitalistischen Reproduktionstotalität unter Führung einer neuen herrschenden Klasse zu untergraben und die alte privatkapitalistische Bourgeoisie zur Vorbereitung der  Machtübernahme dieser Neuen Bourgeoisie zu schikanieren.

[48] Vgl. Manfred Berg, Geschichte der USA, a.a.O., S. 83.

[49] Vgl. Stephan Krüger, Profitraten und Kapitalakkumulation in der Weltwirtschaft, a.a.O., S. 139.

[50] Vgl. Manfred Berg, Geschichte der USA, a.a.O., S. 83.

[51] Im Verlauf des expandieren Welthandels entwickelten sich „multinationale Unternehmen“ zu sogenannten „transnationalen Unternehmen“ weiter, die durch eine kosmopolitische Unternehmenskultur samt dezidiertem Selbstbild (sog. „corporate identity“) und netzwerkartiger Unternehmensstruktur (sog. „Netzwerk-Ökonomie“) charakterisiert sind. Solche „transnationalen Unternehmen“ haben mittlerweile einen Anteil von einem Drittel an der weltweiten Produktion und beherrschen etwa zwei Drittel des Welthandels.  Sie dominieren daher derzeit nicht nur den Weltmarkt, sondern auch die Weltwirtschaft insgesamt.

[52] Diese Rolle „multinationaler Unternehmen“ für die „Globalisierung“ machte jene Unternehmensform zu einem beliebten Ziel der „Globalisierungskritik“ von links und rechts. Die „globalisierungskritische“ Auffassung, dass „multinationale Unternehmen“ sich absolut von den territorialen Grenzen des Nationalstaates emanzipieren könnten, sieht ebenso von der sich in der Weltmarktkonkurrenz durchsetzenden Tendenz der Repulsion der Kapitale voneinander wie von den ökonomischen Schranken ihrer internationalen Verflechtungen ab. Diese Schranken sind mit der Konstitution eines nationalen Gesamtkapitals gegeben, dessen Teile die industriellen Einzelkapitale als verselbständigte Bruchstücke bilden. Die Behauptung einer grenzenlosen „Globalisierung“, welche die Trennung des Weltmarkts in Nationalökonomien und Nationalstaaten historisch obsolet mache, ist daher ebenso verfehlt wie die von politisch links und rechts genährte Hoffnung, dass die „Globalisierung“ durch eine politische Steuerung eingehegt werden könnte, indem nationalstaatliche Grenzen als Barriere gegen sie eingesetzt werden. Die Grenzen der Nationalstaaten sind nicht unabhängig gegenüber der kapitalistischen Produktionsweise, sondern werden durch das gesellschaftliche Gesamtkapital konstituiert. Dies gilt auch für die Bourgeoisie als herrschende Klasse, die keinesfalls eine global agierende Weltbourgeoisie darstellt. Vielmehr ist das allgemeine Klasseninteresse, dass die Bourgeoisie trotz der Konkurrenz der Einzelkapitalisten als ein gemeinschaftliches besitzt, stets nach innen gegen die Arbeiterklasse ihres jeweiligen Nationalstaates gerichtet und nach außen gegen die Bourgeoisie anderer Länder. Der Nationalstaat stellt nach wie vor das Territorium dar, auf dem die Bourgeoisie den Klassenkampf gegen das Proletariat ihres eigenen Landes und von dem aus sie den auswärtigen Kampf gegen andere Länder führt. Die Klassenlage der Bourgeoisie ist damit stets durch ihr nationales Gesamtkapital und ihren Nationalstaat bestimmt (vgl. MEW 4, S. 471). Demgegenüber ist der Klassenkampf des Proletariats lediglich seiner Form nach national, da es unmittelbar mit der Bourgeoisie seines Landes konfrontiert ist, aber seinem Inhalt nach international. (vgl. ebd., S. 473). Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit einer „own Foreign Policy“ (Marx) der national separierten Arbeiterklassen.

[53] Dieser Bedeutungszuwachs der „Finanzmärkte“ wurde von denjenigen bourgeoissozialistischen Linken, welche der logisch-historischen Stadientheorie des traditionellen Marxismus verhaftet sind, falsch als Etablierung eines „Finanzmarktkapitalismus“ gedeutet, der ein „neues Stadium“ bzw. einen „neuen Typ“ der kapitalistischen Produktionsweise darstelle und entsprechend der Regulationstheorie auch als „finanzkapitalistischen Akkumulationsregimes“ bezeichnet wird. Die zentrale These dieser Theorie besteht in einer „Dominanz“ des „Finanzsektors“ über die kapitalistische Warenproduktion, der auf der Grundlage einer angeblichen „Hierarchie“ zwischen dem „Finanzmarkt“ und dem „Gütermarkt“ die reproduktive Akkumulation des kommerziellen und des industriellen Kapitals beherrschen soll. Dabei wird der innere notwendige Zusammenhang zwischen Ware und Geld suspendiert, indem dem Geldfetisch aufsitzend die monetären Wertformen der kapitalistischen Produktionsweise von der stofflichen Produktion und Zirkulation der Waren abgetrennt werden. Die Funktion des Geldes als Geld wird mit dem Geldkapital als Form, die das industrielle Kapital in seiner Zirkulation annimmt, vermengt und darüber vermittelt der Zins, der vom zinstragenden Kapital abgeworfen wird, als unmittelbares Produkt des Geldes aufgefasst. Damit wird vulgärökonomisch dem Fetischcharakter des zinstragenden Kapitals aufgesessen. Der Profit des kommerziellen und des industriellen Kapitals soll demzufolge kein Form des Mehrwerts darstellen, sondern wird aus dem Zins abgeleitet, der aber in Wirklichkeit selbst nur als verselbständigte Form des Mehrwerts einen Teil des industriellen Profits bildet, der vom industriellen Kapitalisten an den Leihkapitalisten für das von diesem geliehene Geldkapital gezahlt wird. Mit dieser falschen Ableitung des Profits aus dem Zins wird auch die angebliche Dominanz des „Finanzsektors“, dessen ökonomische Charaktermasken durch Renditevorgaben für die von ihnen vergebenen Kredite die reproduktive Kapitalakkumulation „beherrschen“ sollen, über die kapitalistische Warenproduktion begründet, die wiederum zur bloßen Gebrauchswertproduktion (sog. „Realwirtschaft“) naturalisiert wird. Ideengeschichtlich steht die Theorie vom „Finanzmarktkapitalismus“ in der Tradition der bereits von Marx an dem Vulgärökonomen Jean-Baptiste Say kritisierten „klassischen Dichotomie“, in der die kapitalistische Produktionsweise zur Produktion bloßer „Produkte“ und der kapitalistische Warentausch zu einem Austausch rein stofflicher Gebrauchswerte naturalisiert wurde, womit der der Ware immanente Widerspruch zwischen Gebrauchswert und Wert geleugnet werden sollte. Die keynesianischen Spielarten der „Finanzmarktkapitalismus“-Theorie, insbesondere die monetären, stehen darüber hinaus in der theoriegeschichtlichen Tradition der ihrer Struktur nach antisemitischen „Freigeldtheorie“ Silvio Gesells, in der aus einer postulierten Dominanz des Geldes über die Ware der Zins abgeleitet wird, welcher dem konstanten Kapital, das mit den Produktionsmitteln als seinem stofflichen Inhalt verdinglicht wird, seinen Kapitalcharakter verleihen soll. Doch nicht nur theoretisch, sondern auch empirisch ist die Theorie von einem „Finanzmarktkapitalismus“ nicht haltbar, da die Finanzmärkte, wie in der These vom „Finanzmarktkapitalismus“ behauptet wird, nicht exorbitant, sondern wenn überhaupt nur teilweise „aufgebläht“ sind. Bei näherer Betrachtung, etwa bei einer an der Entwicklung des BIP gemessenen relativen und langfristigen Betrachtung der Kapitalisierungen an den Aktienmärkten und der Kursentwicklung an Aktienbörsen, der in dieser Theorie unter dem diffus gehaltenen Begriff des „Finanzmarktes“ zusammengeworfenen Märkte zeigt sich, dass die meisten Kurse etwa auf den Aktienmärkten eher eine volatile Stagnation als einen permanenten Anstieg aufweisen, während die Derivatmärkte zwar dynamisch wachsen, aber keinesfalls eine von den „Realmärkten“ entkoppelte unverhältnismäßige Entwicklung vollziehen. Hinzu kommt, dass sich auch keine einheitliche Herausbildung eines „Finanzkapitalismus“ als neuen Typus der kapitalistischen Produktionsweise in den entwickelten kapitalistischen Ländern datieren lässt. Dies gilt erst recht für BRICS-Länder, deren ökonomische Entwicklung keinesfalls „finanzgetrieben“ bzw. „finanzmarktkapitalistisch“ dominiert ist.

[54] Langfristig verlief die Kursentwicklung des Dow-Jones bis zur „Großen Rezession“ ab 2007 relativ steigend, ohne, dass sich diese Entwicklung auf die historische Entstehung eines US-amerikanischen „Finanzkapitalismus“ zurückführen ließe. Sie blieb vielmehr stets den Umsatzmöglichkeiten der Börsenunternehmen geschuldet und ging nicht nur auf zyklische Phasen einer sich im Aufschwung befindenden US-Konjunktur, sondern auch auf den langanhaltenden überzyklischen Trend der beschleunigten Akkumulation des reproduktiven Kapitals in der Periode der Nachkriegsprosperität in den Vereinigten Staaten zurück.

[55] Vgl. Krumbein et al: Finanzmarktkapitalismus? Zur Kritik einer gängigen Kriseninterpretation und Zeitdiagnose, Marburg 2014, S. 27f.

[56] Vgl. Economic Report of the President, January 2001, Washington D.C. 2001, S. 22, online unter: https://fraser.stlouisfed.org/files/docs/publications/ERP/2001/ERP_2001.pdf.

[57] Vgl. Manfred Berg, Geschichte der USA, a.a.O., S. 86.

[58] Vgl. ebd., S. 87.

[59] Das realen BSP der USA wuchs vom ersten Quartal 1993 bis zum dritten Quartal 2000 im Durchschnitt um 4 Prozent, womit es nicht nur um etwa die Hälfte höher als während der Periode von 1973 bis 1993 lag, sondern auch deutlich über dem Produktivitätswachstum der anderen OECD-Länder (vgl. Economic Report of the President, a.a.O., S. 19). Das zeigte sich daran, dass die USA das höchste Pro-Kopf-Einkommen und den schnellsten Einkommenswachstum aller kapitalistischen Zentren aufwies.

[60] Im Unterschied zum Zerfall der ehemaligen „Ostblockstaaten“ und insbesondere der Sowjetunion, der im Zuge der teilweisen Privatisierungen unter den Wirtschaftsreformen Jelzins ab Anfang der 1990er Jahre zur Aneignung zahlreicher Produktionsmittel und eines Teils des gesellschaftlichen Reichtum durch Oligarchen führte, wurde die chinesische Wirtschaft unter den Reformen von Deng Xiapong bereits ab 1978 schrittweise für ausländisches Privatkapital, zunächst vor allem von Überseechinesischen, geöffnet. Dieser reformistische Öffnungsprozess wurde dabei streng von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) reguliert und kontrolliert, blieb also unter der Kontrolle der chinesischen Staatsdespotie. 1990 eröffnete Deng die Shanghaier Börse, bevor es ab 1992 zu einer immensen Beschleunigung der Privatisierungen von Unternehmen kam und China am 11. Dezember 2001 schließlich der WTO beitrat. Im Zuge dieser historischen Entwicklung etablierte sich auch in China eine „mixed economy“, bei welcher der Staat allerdings bis heute durch die Verteilung von Finanzmitteln, indikative Planung und die Partizipation von Parteikadern an der Unternehmensführung de facto die Kontrolle über den Privatsektor behält.

[61] Vgl. Economic Report of the President, a.a.O., S. 25.

[62] Die Umlaufszeit stellt eine „negative Schranke“ (Marx) für die Verwertung des Kapitals dar, da das Kapital während dieser Zeit in der Zirkulation gebunden ist und nicht als produktives Kapital fungieren, also auch keinen Mehrwert produzieren kann. Je kürzer die Umlaufszeit ist, umso länger kann das Kapital in der Produktion angewendet werden und umso größer wird seine Selbstverwertung.

[63] Ebenso wenig, wie die „New Economy“ eine  neue „Betriebsweise“ der kapitalistischen Produktion darstellte, führte die mit ihr einhergehende „Digitalisierung“ zu einem „digitalen Kapitalismus“ als neues „Stadium“ oder neuen „Typ“ der kapitalistischen Produktionsweise. Digitalisierte Waren und Dienstleistungen sowie die IKT-Branche insgesamt sind auch nicht neutrale Instrumente, um technokratisch einen Sozialismus aus dem Computer zu implementieren, oder selbstregulative Übergangsformen, durch die sich die kapitalistische Produktionsweise quasi automatisch aufhebt. Vielmehr handelt es sich bei dem als „Digitalisierung“ bezeichneten historischen Prozess lediglich um der Herausbildung neuer Produktivkräfte im Rahmen der der großen Industrie selbst inhärenten allgemeinen Tendenz zur stetigen Revolutionierung ihrer technischen Basis, die mit dieser Basis auch die Funktion der Arbeiter und die Kombination des gesellschaftlichen Gesamtarbeiters, also die Arbeitsteilung innerhalb der verschiedenen Produktionszweige umwälzt.

[64] Dennoch ist die USA, trotz rasanten Aufholjagd Chinas, auch noch heutzutage mit deutliche Abstand der unangefochtene Weltmarktführer in dieser Branche.

[65] Radikale Vertreter der „New Economy“ lehnten jede werttheoretische Fundierung der politischen Ökonomie ab und gingen davon aus, dass der Wert der „Güter“ in der „New Economy“ durch ihre universelle Verfügbarkeit, die überhaupt erst ihren Nutzen konstituiere (sog. „general purpose technology“), bestimmt werde. Die kapitalistische Produktionsweise büße daher mit der „New Economy“ ihre bisherige Funktionsweise, damit aber auch ihre bislang bestehenden ökonomischen Gesetze ein und werde letztlich sogar quasi automatisch von selbst überkommen, weil die industrielle Massenproduktion historisch an Bedeutung verliere.

[66] Die wertkritische These von der „Abschmelzung der Wertsubstanz“ und einer damit einhergehenden „Abschaffung der Arbeit“ im Zuge einer angeblichen „mikroelektronischen Revolution“, die in dieser Zeit formuliert wurde, saß also im Wesentlichen der Ideologie der „New Economy“ auf. Diese These ist nicht nur theoretisch unvereinbar mit der von Marx wissenschaftlich erarbeiteten der Kritik der politischen Ökonomie, die von der Arbeit als ontologischer Basiskategorie ausgeht, sondern hat sich angesichts des fortschreitenden Wachstums der absoluten Anzahl kapitalproduktiver Arbeiter weltweit empirisch an der Realität blamiert.

[67] MEW 23, S. 442.

[68] Eine solche unbeschränkte Mobilität der Arbeit ist bereits aufgrund desjenigen Teils des fixen Kapitals, der territorial fixiert ist, nicht möglich. Hinzu kommen die durch den jeweiligen Entwicklungsstand der Transportindustrie gesetzten Schranken der Mobilität sowie die territorialen Grenzen des durch das gesellschaftliche Gesamtkapital bestimmten Nationalstaates, deren Überschreitung durch Arbeitskräfte stets politisch reguliert wird und keinesfalls absolut uneingeschränkt stattfindet.

[69] Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Chancen auf einen höheren Wachstumspfad. Jahresgutachten 2000/01, Stuttgart 2000, S. 29, online unter: https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/download/gutachten/00_ges.pdf.

[70] Im Zuge des Platzens der Dotcom-Blase brach auch die US-amerikanische Technologiebörse NASDAQ, die den größten Finanzmarkt für Technologieunternehmen darstellte, ein. Der an dieser Börse gehandelte größte Index, der Nasdaq Composite, blähte sich ab dem Jahr 1990 durch einen exponentiellen Kursanstieg auf, bevor er auf im Zuge des Platzens der Dotcom-Blase zusammenbrach. Bis heute dümpelt er unter seinen einstigen Höchstständen vor sich hin. Auch die Entwicklung des Nasdaq widerspricht daher empirisch der Theorie von einem „Finanzmarktkapitalismus“.

[71] Auch das technische Potenzial der „Digitalisierung“ ist noch längst nicht erschöpft, was sich daran erweist, dass sie in jüngster Zeit zur entscheidenden technologische Basis für die Etablierung der elektronischen Interaktion über netzwerkbasierte Plattformen avanciert ist. Der Unterschied dieser Plattformen zu anderen Produktionsmitteln der modernen Industrie besteht darin, dass sie von verschiedenen Einzelkapitalen zugleich als eine gemeinsame Produktions- und Zirkulationsbedingung konsumiert werden und damit eine bestimmte Anzahl verschiedener Produktionsprozesse miteinander verbinden (sog. „Plattformökonomie“). Mit der Etablierung der für diese Plattformen notwendigen Netzwerkstrukturen und der mit ihnen einhergehenden Umwälzung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die eine neue Kombination des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses einschließt, verbessern sich die Verwertungsbedingungen für die im IKT-Sektor fungierenden Einzelkapitale. Durch die sich auch in diesem Bereich durchsetzende Tendenz zur Konzentration und Zentralisation des Kapitals steigt die Produktivität der Arbeit und sinken die Fixkosten. Zugleich besteht auch hier die Tendenz zu der bei Aktiengesellschaften bereits vollzogenen Trennung der Kapitalfunktion vom Kapitaleigentum, was unter anderem zu einer Verringerung des in den fixen Kapitalteil ausgelegten Kapitals durch eine gemeinschaftliche Nutzung oder Vermietung (sog. „Mobilien-Leasing“), die durch die Online-Abwicklung des Mietverhältnisses nochmal ökonomisiert wird (sog. „Sharing-Ökonomie“), führt. Dadurch wird das konstante Kapital für die Nutzer der entsprechenden Produktionsmittel ökonomisiert, was zunächst zur Stimulierung der Profitrate führt. Letztlich führt die Etablierung der „Plattform- und Netzwerkökonomie“, wie jede Steigerung der Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit, auch zu einer Verringerung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit zur Produktion der Waren oder Dienstleistungen in der IKT-Branche. Insgesamt wird durch diese Reduzierung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit die allgemeine Mehrwertrate erhöht, während die Auslage des Kapitals in das konstante Kapital durch die Ökonomisierung der Produktionsmittel verringert wird und die Mehrwertmasse infolge einer Ökonomisierung der Zirkulationskosten erhöht wird. Damit wirken diese Faktoren als dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegen. Die mit der Digitalisierung zunehmende Automatisierung des kapitalistischen Produktionsprozesses führt allerdings zu einer steigenden Kapitalintensität und damit auch zum Ausbau der für den IKT-Sektor als materielle Grundlage erforderlichen Infrastruktur, was zu einer steigenden organischen Zusammensetzung der in dieser Branche fungierenden Kapitale führt. Sofern diese Steigerung nicht durch eine Erhöhung der Mehrwertrate kompensiert werden kann, kommt es daher zu einem weiteren Sinken der allgemeinen Profitrate.

[72] Diese ausbleibende Stimulierung einer erneuten, langfristigen Phase der beschleunigten Kapitalakkumulation durch die IKT in den entwickelten kapitalistischen Nationen belegt allerdings keinesfalls die genuin staatssozialistische These einer „strukturellen Überakkumulation“ seit der Krise von 1974/1975, wie Vertreter der „Finanzmarktkapitalismus“-Theorie behaupten. Daran zeigt sich vielmehr, dass eine Überakkumulation von Kapital nicht „strukturell“ sein kann, sondern stets zyklisch begrenzt ist. Ein mögliches Steigen der Profitraten, das nicht nur zu wirtschaftlichen Aufschwüngen in neuen Konjunkturzyklen, sondern auch langfristig zu einer  erneuten, überzyklischen Beschleunigung der reproduktiven Kapitalakkumulation führt können daher nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Hieran erweist sich auch, dass sich das Gesetz vom tendenziellen Fall der allgemeinen Profitrate in der Wirklichkeit niemals „rein“, sondern immer nur modifiziert durch entgegenwirkende Ursachen durchsetzt.

[73] Vgl. Stephan Krüger, Allgemeine Theorie der Kapitalakkumulation, a.a.O., S. 866; dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass aufgrund der Weltgeldfunktion des Dollars als internationaler Leit- und Reservewährung die Verbindlichkeiten der USA selbst auf Dollar lauten. Daher ist für die Gläubiger der US-Auslandsschulden, zumindest solange der US-Dollar seine Rolle als Weltgeld nicht verliert und die US-Devisen daher nicht international entwertet werden, nicht das Risiko eines Liquiditätsengpasses, sondern eher das Wechselkursrisiko aufgrund einer hohen Verschuldungsquote entscheidend.

[74] Bei den gekauften Wertpapieren handelte es sich um verschiedene Anlageformen, vor allem Anleihen, Investmentzertifikate und Aktien, die sich zusammenfassend unter der gängigen Bezeichnung für Wertpapiere US-amerikanischer Emittenten als „US-Wertpapiere“ fassen lassen.

[75] Diese Entwicklung wurde von bourgeoissozialistischen Kritikern des „Neoliberalismus“, wie etwa linken Keynesianern und Vertretern einer „sozialistischen Marktwirtschaft“, fälschlicherweise als empirischer Beleg für die Theorie des „Finanzmarktkapitalismus“ herangezogen. Dabei wurde übersehen bzw. ausgeblendet, dass das an den US-Wertpapierbörsen investierte ausländische Geldkapital nur einen, wenn auch vorübergehend bedeutenden Teil des gesamten in die USA importierten Geldkapitals darstellte und die Investitionsquote im Vergleich zum BIP lediglich vorübergehend sank. Deshalb stellt dieses Phänomen auch keinen „Beweis“ für eine angebliche „Flucht“ des Kapitals, das gemäß der „Finanzmarktkapitalismus“-Theorien aufgrund einer „strukturellen Überakkumulation“ nicht mehr produktiv im „Realsektor“ angelegt werden kann, in zinstragende Anlageformen auf den „Finanzmärkten“, d.h. in den „Finanzsektor“ dar.

[76] Die Bedienung dieser Hypothekarkredite war durch eine zunehmende Steigerung der Mieten und Kaufpreise für Häuser im Zuge des Immobilienbooms, aber auch potenziell langfristige Lohnrückgänge von Anfang an gefährdet.

[77] Der Immobilienmarkt ist prädestiniert für die Absorption von überschüssigem und nach Anlage suchenden Geldkapital, weil eine Immobilie keine Arbeitsprodukt „diskreter Natur“ (Marx) darstellt, das sich teilen lässt, sondern ein langfristiger, kontinuierlicher Arbeitsprozess zu ihrer Produktion erforderlich ist. Die Produktionsperiode der Immobilien und damit der Umschlag des in ihnen produktiv angelegten Kapitals überschreitet daher die Reproduktionsdauer des aus den Arbeitsmitteln bestehenden fixen Kapitalteils in der Bauwirtschaft. Wie andere Produktionszweige, in denen der Profit erst langfristig produziert wird, dient die Bauwirtschaft daher zur Schaffung einer Nachfrage, ohne unmittelbar zugleich das Angebot erhöhen zu können. Hierin, und nicht in charakterlichen Mängeln wie einer besonderen „Gier“ der als „Immobilienhaie“ moralisch denunzierten ökonomischen Charaktermasken in der Baubranche und auf dem Immobilienmarkt, liegt sowohl der Grund dafür, dass der Bau und die Vermietung bzw. der Verkauf von Immobilien prädestiniert für die Spekulation mit brachliegendem Geldkapital ist als auch die Bauwirtschaft zu den besonders krisenanfälligen Produktionszweigen der kapitalistischen Produktionsweise gehört.

[78] Vgl. Guenther Sandleben: Finanzmarktkrise – Mythos und Wirklichkeit, a.a.O., S. 11.

[79] Im September 2008 betrugen die Abschreibungen auf Subrpime-Kredite infolge der Zahlungsausfälle schätzungsweise 900 Milliarden US-Dollar (vgl. Guenther Sandleben: Finanzmarktkrise – Mythos und Wirklichkeit, S. 14; siehe auch derslb.: Politik des Kapitals in der Krise. Eine empirische Studie, S. 19).

[80] Diese Überakkumulationskrise wurde gemeinhin – nicht nur von bürgerlichen Ideologen, sondern auch von „Marxisten“ – als „Finanzkrise“ interpretiert, indem die spektakulären Manifestationen dieser Krise an den „Finanzmärkten“ zur Ursache der Krise verkehrt und die allgemeine Überproduktion des fixen Kapitals als tatsächliche Krisenursache ausgeblendet wurde. Die Auffassung, dass eine endogene „Finanzmarktkrise“ auf den „Realsektor“ übergesprungen sei, wurde in der Folge zum in der öffentlichen Meinung kolportierten Allgemeingut. Dazu trugen nicht zuletzt die verschiedenen Spielarten der „Finanzmarktkapitalismus“-Theorien bei. Diese Kriseninterpretation ist nicht nur unvereinbar mit der Marxschen Krisentheorie als Theorie konjunktureller Überakkumulationskrisen, sondern erweist sich bei näherer Betrachtung des chronologischen Verlaufs der „Großen Rezession“ auch empirisch als unhaltbar.

[81] Die verstärkte Durchsetzung dieser Tendenz begründet allerdings keinesfalls die separate historische Epoche einer „strukturellen Überakkumulation“ von Kapital bzw. eine Niedergangsperiode des Kapitals, wie bourgeoissozialistische Ideologen behaupten. Vielmehr zeigte sich an dem erneuten langfristigen Aufschwung der US-Konjunktur nach der „Großen Depression“, wie bereits während des „New Economy“-Booms in der Dekade vor der Jahrtausendwende, dass eine beschleunigte Kapitalakkumulation durch ein erneutes Steigen der Profitraten nicht per se ausgeschlossen werden kann. Die Leugnung dieser Möglichkeit beruht nicht zuletzt darauf, dass die materialistische Geschichtsauffassung von Marx und Engels im linken Bourgeoissozialismus zu einer deterministischen Geschichtsphilosophie pervertiert wird, der eine ökonomistische Fehlinterpretation der Marxschen Krisentheorie als einer  Zusammenbruchstheorie entspricht, wie sie bereits innerhalb des klassischen Marxismus bzw. Marxismus-Leninimsus populär war. Diese Fehlinterpretation, in deren Folge es bei jeder Krise zur Verkündung eines finalen Zusammenbruchs der kapitalistischen Produktionsweise gekommen ist, hat sich angesichts der fortdauernden Existenz der kapitalistischen Produktionsweise hinlänglich diskreditiert. Die These von einer „strukturellen Überakkumulation“ stellt im Wesentlichen einen Aufguss dieser ökonomistischen Zusammenbruchstheorie, also „alten Wein in neuen Schläuchen“ dar.

[82] Damit erwies sich praktisch, dass die Verlagerung der Krise nicht bedeutete, dass sie in den jeweils vorangegangenen Sektoren gelöst worden war, sondern vielmehr potenzierte sie sich kaskadenartig.

[83] Vgl. Stephan Krüger: Profitraten und Kapitalakkumulation in der Weltwirtschaft, S. 147.

[84] Die durch diesen Aufschwung der Industrieproduktion induzierte konjunkturelle Erholung zeigte auch, dass die Krise ihren Ursprung keinesfalls in angeblich von der „Realwirtschaft“ entkoppelten „Finanzmärkten“ hatte: der erneute Konjunkturaufschwung fand nicht auf der Grundlage eines dynamischen Wachstums der „Finanzmärkte“ statt, sondern trotz deren fortgesetzter Störungen.

[85] Allerdings setzte sich nach der „Großen Rezession“ auch weder in den USA noch anderen entwickelten kapitalistischen Industrienationen die Entwicklungstendenz einer „säkularen Stagnation“ durch, wie es von bestimmten bourgeoissozialistischen Ideologen erwartet wurde (vgl. Bischoff et al.: Vom Kapital lernen. Die Aktualität von Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie, Hamburg 2017, S. 157-161).

[86] Der erneute Umschwung von der temporären keynesianischen Krisenintervention des „deficit spending“ zum „neoliberalen“ Paradigma einer durch Austeritätspolitik angestrebten Haushaltssanierung in der EU war hauptsächlich bedingt durch diesen objektiv bestehenden ökonomischen Druck und rührte nicht, wie Staatssozialisten aller Couleur monieren, aus einem politisch willkürlichem Umschwung in der Wirtschaftspolitik.

[87] Das „electoral college“ wurde von den Gründungsvätern der USA und ihrer Verfassung ursprünglich eingeführt, um die Macht der Exekutive zu beschränken und einen möglichen Missbrauch zu verhindern: der Präsident sollte nicht direkt von der Bevölkerung gewählt werden, sondern stattdessen sollte die Bevölkerung Wahlmänner eines Gremiums bestimmen, welche ihrerseits erst den Präsidenten wählen. Damit wurden nicht nur die radikaldemokratischen Ansätze der „Amerikanischen Revolution“ von 1765-1783 suspendiert, sondern dieser anachronistische Konzeptionsmangel der US-amerikanischen Demokratie erwies sich auch im Verlauf der Geschichte der Präsidentschaftswahlen, wie in der Wahl 2016, immer wieder als dysfunktional.

[88] Auf diesen ideologischen Synkretismus, der laut dem einstigen Chef-Strategen des „Trumpismus“ Steve Bannon zu einer Bindung der weißen US-Industrieproletarier an die Republikaner zwecks Erringung kultureller und politischer Hegemonie führen sollte, reagierte der linksliberale Teil der US-amerikanischen Bourgeoisie mit dem Vorwurf, dass der „Trumpismus“ ebenso ideologisch inkonsistent wie politisch erratisch sei, was allerdings an der durchaus kohärenten Agenda des „America First“ vorbeiging.

[89] Für die langfristige Etablierung und Konsolidierung dieser Klientel hatte insbesondere die rechtspopulistische „Tea Party“-Bewegung gesorgt, die im Zuge der „Großen Rezession“ 2007 bis 2009 unter der Präsidentschaft Obamas aufkam.

[90] Allein in den „sozialen Medien“ wurden Millionen Beiträge zugunsten Trumps manipuliert. Dies geschah nicht nur durch die russische Trollarmee „Internet Research Agency“, sondern auch durch Trumps eigenes Wahlkampfteam nutze seine Kampagne fünf Mal so viele Bots, wie ihre demokratischen Gegner. Sie verbreiteten täglich bis zu 50.000 pro-trumpistische Werbebotschaften in den „sozialen Medien“ und betrieben durch die Firma „Cambridge Analytica“ zielgruppenspezifische Werbung (sog. „strategic targeting“), mit der sie versuchten, das Wahlverhalten durch individuelle Botschaften zu manipulieren (sog. „microtargeting“). Regionales Ziel waren dabei die Wechselwählerstaaten (sog. „swing states“) und die für die Wahl entscheidenden Schlüsselbezirke (vgl. https://www.theguardian.com/technology/2016/dec/04/google-democracy-truth-internet-search-facebook).

[91] Der „Clinton-Leak“ sollte nicht nur dem politischen Image Clintons schaden, sondern sie auch als Person ohne jegliche Integrität denunzieren. Der Diebstahl selbst wurde von russischen Hackern betrieben und die Veröffentlichung von durch Plattform „WikiLeaks“ von Julian Assange statt, der mutmaßlich mit Russland kooperiert. „WikiLeaks“ war bereits seit Jahren durch seine Voreingenommenheit zugunsten des despotischen Lagers der globalen Konterrevolution aufgefallen und hatte bereits mehrere „Leaks“ vorgenommen, welche die nationale Sicherheit der USA als fortgeschrittenster privatkapitalistischer Nation gefährdeten und das Vertrauen der US-Bevölkerung in ihre Demokratie aushöhlen sollten.

[92] Seit Putins Amtsantritt im Jahr 2000 unterwanderte die russische Mafia und die russischen Geheimdienste zunehmend und gezielt die verschiedenen Lobbygruppen in Washington.

[93] Neben dem 1983 eröffneten „Trump Tower“ dienten vor allem Trumps Casinos wie das seinerzeit größte, mit Schrottpapieren (sog. „junkbonds“) finanzierte und letztlich bankrott gegangene Taj Mahal (Atlantic City) der russischen Geldwäsche.

[94] Vgl. dazu ausführlich Craig Unger: Trump in Putins Hand. Die wahre Geschichte von Donald Trump und der russischen Mafia, 2. Auflage, Berlin 2018.

[95] Leon Fink: Deliverance Revisisted: Der Triumph von Trump, die liberalen Eliten und die weiße Zombie-Arbeiterklasse, in: derslb. Deliverance Revisisted: Der Triumph von Trump, die liberalen Eliten und die weiße Zombie-Arbeiterklasse, S.5-24, Oldenbourg 2019, S. 8.

[96] Vgl. ebd.; siehe auch Sarah Jaffe: Whose Class Is It Anyway? The “White Working Class” and the Myth of Trump, in: Jasmine Kerrissey et al. (Hrsg.): Labor in The Time of Trump, Cornell University Press 2019, S. 87-105, S. 88.

[97] Entgegen der aus einem liberalen elitären Dünkel herrührenden Behauptung Clintons auf einer Veranstaltung zur Spendensammlung am September 9 im Jahr 2016 machte dieses von ihr als „Korb der Kläglichen“ („basket of deplorables“) bezeichnete Klientel nicht einmal annähernd die Hälfte der Trumpwählerschaft aus.

[98] Im historischen Rückblick betrachtet fand der entscheidende Einbruch der weißen US-Arbeiterschaft als Wählerbasis der Demokraten sogar bereits ab 1967, also noch vor dem Umschwung vom keynesianischen zum „neoliberalen“ Wirtschaftsparadigma statt. Nicht zufälligerweise war dies zwei Jahre, nachdem die Produktivität der nationalen Gesamtarbeit der USA abzunehmen und die Durchschnittsprofitrate des US-Nationalkapitals auf ihr niedrigstes Niveau in der gesamten Ära des „Goldenen Zeitalters“ gesunken war, womit sich das Ende der beschleunigten Kapitalakkumulation und der langanhaltenden Phase der Nachkriegsprosperität ankündigte. Damit wurde auch der sozialpartnerschaftliche Klassenkompromiss der „New-Deal-Koalition“, der seit der US-Regierung unter dem Roosevelt bestanden hatte, zur Disposition gestellt. Diese Koalition, in deren Rahmen die sich gewerkschaftlich und politisch konsolidierende US-Arbeiterklasse über ethnische Grenzen hinweg als festes Stammwählerklientel der Demokraten fungierte, wurde von der liberalen US-Bourgeoisie fälschlicherweise auch noch nach ihrer historischen Auflösung als Norm für das Wahlverhalten insbesondere des weißen Teils des US-amerikanischen Proletariats betrachtet. Tatsächlich avancierten die Republikaner aber schon mit der Wahl Richard Nixons zum US-Präsidenten im Jahr 1968 zur Mehrheitspartei der „weißen Arbeiterklasse“ in den USA.

[99] In dieser Hinsicht ist es falsch, den „Trumpismus“ als eine Form des „Bonapartismus“ zu charakterisieren, da sich letzterer im Unterschied zum ersten aus deklassierten Teilen aller Klassen als klassenübergreifende Basis stützt. Darüber hinaus besteht zwar auch im „Trumpismus“ wie im klassischen „Bonapartismus“ die Tendenzen einerseits zur Verselbstständigung und Stärkung der Exekutive, andererseits zur Schwächung demokratischer Organisationen und Institutionen, aber es handelt es sich bei ihm nicht wie beim „Bonapartismus“ um eine politische Diktatur über die Bourgeoisie. Vielmehr ist der „Trumpismus“ selbst Ausdruck der politischen Herrschaft eines bestimmten Teils der US-Bourgeoisie, die durch die US-Präsidentschaftswahlen demokratisch legitimiert wurde. Dies wird von einem Teil der bourgeoissozialistischen Linken, welche den „Trumpismus“ in einer historischen überstrapazierten und darum falschen Analogie umstandslos unter den „Bonapartismus“ subsumieren, übersehen.

[100] Dieser elitäre Sozialchauvinismus der liberalen Fraktion der US-Bourgeoisie bildet allerdings den Wahrheitskern des vom republikanischen Konservativismus in den 1980er Jahren geschaffenen Narrativs von der „liberalen Elite“, die in den urbanen Metropolen der US-Küstenregionen versnobt lebt und aufgrund ihrer Verachtung die „abgehängten“ Einwohner des „heartlands“ in Mittelamerika bevormunden will, womit die sich im Zuge des „Neoliberalismus“ zuspitzenden ökonomischen Widersprüche und insbesondere die sich verschärfende Klassenspaltung „kulturalisiert“ werden sollten, um die „Klassenkampfenergien“ (Adorno) des US-amerikanischen Proletariats auf die tatsächlichen oder vermeintlichen Repräsentanten der liberalen Moderne zu verschieben.

[101] Diese Restriktionen, die de facto Maßnahmen zur Unterdrückung von Wählerstimmen (sog. „voter surpression“) darstellten, waren eine juristische Reaktion auf die Wahl Obamas zum US-Präsidenten. Sie führten dazu, dass die Präsidentschaftswahl 2016 die erste seit 50 Jahren war, in denen der 1965 verabschiedeten „Voting Rights Act“, der rassistischen Diskriminierungen bei der Wahl auf Bundesebene verbietet, nicht mehr vollumfänglich griff. Dies war einer der am meisten unterschätzen Faktoren für die Wahl Trumps.

[102] Selbst von den 18 Millionen Wählern, die beide Kandidaten für zu unpassend für das Präsidentenamt hielten, wählten letztlich 69% Trump (vgl. Sarah Jaffe: Whose Class Is It Anyway?, a.a.O., S. 93).

[103] Vgl. Sarah Jaffe: Whose Class Is It Anyway?, a.a.O., S. 91.

[104] Vgl. Torben Lütjen: Amerika im kalten Bürgerkrieg, a.a.O., S. 73f.

[105] Diese Klassenbasis teilt der „Trumpismus“ tatsächlich mit dem klassischen Faschismus, der sich insbesondere in seinen Anfängen als Massenbewegung auf das kapitalistische Kleinbürgertum stützte. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die NDSAP eine „Mittelstandspartei“ und der Nationalsozialismus, der sich vor allem durch seinen eliminatorischen Antisemitismus vom Faschismus unterscheidet, eine „rein“ kleinbürgerliche Bewegung gewesen sei, wie von „Marxisten“ zuweilen behauptet wird, um den klassenübergreifenden Charakter der deutschen Volksgemeinschaft als Mordkollektiv der Shoa zu leugnen. Trotz dieser Gemeinsamkeit ist es verkehrt, den „Trumpismus“ als „faschistisch“ zu charakterisieren, wie es von Teilen der Linken gemacht wird. Der „Trumpismus“ hat äußerlich keine faschistischen Merkmale (Massenaufmärsche, Stützung auf paramilitärische Kampfverbände, u.a.) und ist auch keine „modernisierte Variante“ des klassischen Faschismus: Trumps Rassismus und seine Misogynie machen ihn nicht zum „Faschisten“ und seine „America first!“-Agenda richtet sich nicht in einem aggressiven Imperialismus nach außen, sondern für sie ist vielmehr eine isolationistische Außenpolitik zentral. Ebenso dürften überzeugte Neonazis nur einen marginalisierten Teil von Trumps Anhängerschaft bilden. Selbst die Umstände, unter denen Trump zum Präsidenten gewählt wurde, wie etwa die sich im Aufschwung befindende US-Wirtschaft, widersprechen einer historischen Analogie zur Weimarer Republik. Der entscheidende Unterschied ist aber vor allem, dass der klassische Faschismus und Nationalsozialismus zugleich archaische wie moderne, reaktionäre wie „revolutionäre“ Bewegungen waren, die sich mit den Mitteln der Moderne gegen die Moderne selbst richteten und die bürgerliche Gesellschaft regressiv umwälzen wollten. Dies trifft auf das trumpistische Programm des „Make America Great Again“ nicht zu.

[106] Da „Deregulierungen“ und „Steuersenkungen“ zu den entscheidenden Elementen der Ideologie des Wirtschaftslibertarismus“ gehören, verwunderte es auch nicht, dass Trumps wichtigste Finanziers und Unterstützer bei der Wahl zum US-Präsidenten von 2016 der verschwörungstheoretische, rassistische Informatiker und Hedgefondsmanager Robert Mercer sowie seine Tochter Rebekah waren, die zu den politisch einflussreichsten Großkapitalisten der USA gehören. Die Mercer-Familie hängt dem „Minarchismus“, der die Reduktion des Staates auf einen das Privateigentum garantierenden Minimalstaat nach dem Modell eines „Nachtwächterstaates anstrebt, als besonders radikaler Variante der „wirtschaftslibertaristischen“ Ideologie an. Sie bemüht sich seit Dekaden um die Destabilisierung des politischen „Establishments“ in Washington. Im Präsidentschaftswahlkampf von 2016 nutzte sie zur Unterstützung Trumps die Lobbygruppe „Make America Number 1“, die als sogenannter „super-Pac“ Spenden in rechtlich unbegrenzter Summe annehmen konnte, sofern diese Spenden formell nicht unmittelbar an einen politischen Kandidaten oder seine Kampagne weitergeleitet wurden. Im Vorstand von „Make America Number 1“ saß neben Rebekah Mercer auch der Chef-Stratege des Trump-Wahlkampfs Steve Bannon, der als politischer Berater der Mercers fungierte und von ihnen gezielt als Leiter der Präsidentschaftswahlkampagne in Trumps Team platziert wurde. Die Mercers investierten auf Anregung Bannons 10 Millionen US-Dollar in die Website des „Breitbart News Networks“, wofür Bannon wiederum in den Vorstand dieses Unternehmens berufen wurde und ab 2012 schließlich den Vorsitz übernahm, bevor es unter seiner Leitung zur führenden Plattform der amerikanischen „Alt-Right“ avancierte. Die Mercers finanzierten auch das Daten-Analyseunternehmen „Cambridge Analytica“, mit dem im Zuge des Wahlkampfes 2016 Mikrotargeting zur Manipulation des Wahlverhaltens zugunsten Trumps betrieben wurde, mit etwa 5 Millionen US-Dollar. Nach der Wahl wurde Rebekah Mercer in Trumps Übergangsteam berufen, dass den Regierungswechsel von der Obama- zur Trump-Administration unterstütze und mitregelte (vgl. Jane Mayer: The reclusive hedge-fund tycoon behind the Trump presidency, The New Yorker, 27. März 2017, online unter: https://www.newyorker.com/magazine/2017/03/27/the-reclusive-hedge-fund-tycoon-behind-the-trump-presidency) Die Außenseiterposition Trumps nicht nur im gesamten politischen „Establishment“, sondern auch innerhalb der republikanischen Partei zeigte sich daran, dass die meisten Spenden in „super-Pacs“ flossen, welche die republikanische Kontrolle über den Senat zu sichern suchten, anstatt in die verworrene Sammlung von miteinander konkurrierenden Gruppen zur Unterstützung der Präsidentschaftskandidatur Trumps. Die entscheidende Ausnahme hiervon bildet die Mercers, welche insgesamt die größten Spender Trumps waren. Trump selbst denunzierte zwar in den Vorwahlkämpfen „super-PACS“ populistisch und betonte stets die Eigenfinanzierung seines Wahlkampfes, was ihm den Anschein einer Unabhängigkeit vom wirtschaftlichen und politischen „Establishment“ eintrug und sein Image als „Antipolitiker“ stärkte, aber sobald seine Nominierung als republikanischer Kandidat feststand, akquirierten seine führenden Berater Spenden durch republikanische Lobbyorganisationen.

[107] Vgl. Thomas Jahn et al.: Boom auf Pump – die große Trump-Illusion, Handelsblatt, 12. Oktober 2018, online unter: https://www.handelsblatt.com/politik/international/aufschwung-in-den-usa-boom-auf-pump-die-grosse-trump-illusion/23170124.html.

[108] Vgl. US Bureau of Labor Statistics: Job market remains tight in 2019, as the unemployment rate falls to its lowest level since 1969, April 2020, online unter: https://www.bls.gov/opub/mlr/2020/article/job-market-remains-tight-in-2019-as-the-unemployment-rate-falls-to-its-lowest-level-since-1969.htm

[109] Vgl. Thomas Jahn et al.: Boom auf Pump, a.a.O.

[110] Vgl. ebd.

[111] Vgl. Harm Bandholz: Did He Make America Great Again?, in: Die USA vor dem Wahlkampf: Die Spuren Donald Trumps in Wirtschaft und Politik, ifo Schnelldienst, 1 / 2020, 73. Jahrgang, S. 6-9, S. 7, online unter: https://www.ifo.de/publikationen/2020/aufsatz-zeitschrift/die-usa-vor-dem-wahlkampf-die-spuren-donald-trumps.

[112] Seit der Regierung unter Reagan betrieben die Vereinigten Staaten, mit Ausnahme der Clinton-Administration, auf Bundesebene eine Politik der Steuererleichterung zugunsten der kapitalistischen Unternehmen, die vorrangig zulasten der Arbeiterklasse und des kapitalistischen Kleinbürgertums ging.

[113] Diese einstige Steuerlast für US-amerikanische Unternehmen relativierte sich allerdings bereits damals dadurch, dass ein immenser Teil der Unternehmenskosten von den Steuern abgesetzt werden konnten, wodurch die reale Unternehmenssteuer de facto 15 Prozent unter ihrer nominalen Festlegung lag (vgl. Michael Dobbins: Trumps Innenpolitik im Schatten von Obama. Stillstand oder Rechtsruck?, in: Christopher Daase, Stefan Kroll (Hrsg.): Angriff auf die liberale Weltordnung, Die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik unter Donald Trump, Wiesbaden 2019, S. 101-121, S. 116).

[114] Vgl. Philip Wallmeier: Trumps organisierte Verantwortungslosigkeit. Ein Deutungsvorschlag zur Krise der liberalen Weltordnung aus der Perspektive der Kritischen Theorie, in: Christopher Daase, Stefan Kroll (Hrsg.): Angriff auf die liberale Weltordnung, Die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik unter Donald Trump, Wiesbaden 2019, S. 77-97, S. 84.

[115] Vgl. Michael Dobbins, Trumps Innenpolitik im Schatten von Obama, a.a.O., S. 117.

[116] Vgl. Philip Wallmeier: Trumps organisierte Verantwortungslosigkeit, a.a.O., S. 84.

[117] Eine Ausnahme bildeten hierbei Immobilien in hochversteuerten Metropolen wie New York und Kalifornien, die nicht zufällig Hochburgen der Demokraten sind, die ihre hohen Immobiliensteuern nicht mehr unbegrenzt von der nationalen Einkommenssteuer (sog. „federal income tax“) absetzen können.

[118] Vgl. Michael Dobbins, Trumps Innenpolitik im Schatten von Obama, a.a.O., S. 117.

[119] Vgl. Tax Policy Center (2017): Distributional Analysis oft he Conference Agreement for the Tax Cuts and Jobs Act, online unter: https://www.taxpolicycenter.org/publications/distributional-analysis-conference-agreement-tax-cuts-and-jobs-act/full.

[120] Vgl. U.S. Department of the Treasury, Fiscal Service und Federal Reserve Bank of St. Louis (2020): Federal Debt: Total Public Debt, online unter: https://fred.stlouisfed.org/series/GFDEBTN

[121] Nicht nur für die USA, sondern alle entwickelten kapitalistischen Nationen galt, dass sie seit dem Ende der „Großen Rezession“ eine deutlich protektionistischere Handelspolitik verfolgten.

[122] Im Widerspruch zur protektionistischen Handelspolitik der Trump-Administration befürwortet die überwiegende Mehrheit der US-Unternehmer eine liberale Freihandelspolitik, insbesondere in der Form bi- und multilateraler Freihandelsabkommen (NAFTA, TPP u.a.). Das gilt nicht nur für die international orientierte IKT-Branche, sondern z.B. auch für die Automobilindustrie in den USA. Dabei spielt einerseits die Öffnung ausländischer Absatzmärkte, andererseits die Reduzierung von Produktionskosten durch internationale Produktions- und Wertschöpfungsketten eine wichtige Rolle. Diese Öffnung ausländischer Märkte liegt auch weitgehend im Interesse der US-Agrarindustrie, was insbesondere für die Rindfleischindustrie gilt. Auch der „Finanzsektor“ setzt mit der „Deregulierung“ der Finanzmärkte auf einen liberalen Außenhandel. Demgegenüber stehen importorientierte Produktionszweige wie die Stahlindustrie, die hinsichtlich des nationalen Gesamtkapitals der USA allerdings vergleichsweise klein und einflusslos ist, dem durch Handelsabkommen rechtlich festgelegten Freihandel ablehnend gegenüber. Wie ein Großteil der US-Wirtschaft, so befürwortet auch die Mehrheit der US-amerikanischen Bevölkerung trotz einer zunehmenden Skepsis den Freihandel.

[123] Zu den mittlerweile nicht mehr aus dem politischen Diskurs der USA wegzudenkenden Erscheinungen dieser Polarisierung gehören die Entmenschlichung politischer Gegner, die zunehmende Militarisierung nicht nur der Sprache, in der dieser Diskurs geführt wird, sondern auch der Formen der praktischen politischen Auseinandersetzungen sowie die rasante Zunahme kollektiver Wahnformen, darunter vor allem paranoider Psychosen.

[124] Vgl. https://plot-point.org/2020/08/03/schwarze-haut-und-kapital/.

[125] So kam es etwa bei Demonstrationen in Kenosha (Wisconsin), die ausgebrochen waren, nachdem der Afroamerikaner Jacob Blake am 23. August 2020 von Polizisten hinterrücks angeschossen worden war, zur Ermordung zweier Protestierender durch den 17-Jährigen überzeugten Trump-Anhänger Kyle Rittenhous.

[126] Die USA verfügt pro Kopf über weniger Krankenhausbetten als nahezu jede andere entwickelte kapitalistische Nation und eine gute medizinische Versorgung können sich aufgrund des rudimentären Sozialstaates nur Teile der US-Bourgeoisie mit hohem Einkommen leisten. Allgemein hat sich die medizinische Versorgung weiter Teile der US-Bevölkerung durch die Abschaffung von „Obamarcare“, welche die Trump-Administration ohne eine ausgearbeitete Alternative zur Krankenversicherung vorgenommen hatte, rapide verschlechtert.

[127] Noch im Februar warf Trump angesichts beginnender Einbrüche an den US-amerikanischen Börsen dem CDC unnötige Panikmache vor der Coronapandemie vor.

[128] Dabei wurde nach Trumps Ansteckung ebenso wie in Bezug auf die Pandemie allgemein eine Beschwichtigungstaktik angewandt, um seinen tatsächlichen Gesundheitszustand, der sich als gravierender als vom Weißen Haus behauptet herausstellen sollte, zu verschleiern. Diese Taktik gipfelte schließlich in teilweise grotesken öffentlichen Auftritten Trumps, um die Öffentlichkeit und seine Anhängerschaft von seiner soliden gesundheitlichen Verfassung und robusten Konstitution zu überzeugen. Schließlich nutzte Trump die „heiße Phase“ des Wahlkampfes sogar, um auch noch seine Genesung spektakulär zu inszenieren.

[129] Vgl. Alyssa Fowers, William Wan: A third of Americans now show signs of clinical anxiety or depression, Census Bureau finds amid coronavirus pandemic, Washington Post, 26. Mai 2020, online unter: https://www.washingtonpost.com/health/2020/05/26/americans-with-depression-anxiety-pandemic/.

[130] Vgl. Daniel Nass: How Many Guns Did Americans Buy Last Month? We’re Tracking the Sales Boom, The Trace, 3. August 2020, online unter: https://www.thetrace.org/features/gun-sales-estimates/.

[131] Vgl. Sriya Anbil, Alyssa Anderson und Zeynep Senyuz: What Happened in Money Markets in September 2019?, FED Notes, 27. Februar 2020, online unter: https://www.federalreserve.gov/econres/notes/feds-notes/what-happened-in-money-markets-in-september-2019-20200227.html.

[132] Vgl. Astrid Döner, Annett Meiritz, Dr. Jens Münchrath: Minus 32,9 Prozent: Historischer Konjunktursturz in USA, Handelsblatt, 30. Juli 2020, online unter: https://www.handelsblatt.com/politik/international/corona-folgen-minus-32-9-prozent-historischer-konjunktursturz-in-usa/26051690.html.

[133] Vgl. US Bureau of Labor Statistics; Unemployment rate rises to record high 14.7 percent in April 2020, 23. Mai 2020, online unter: https://www.bls.gov/opub/ted/2020/unemployment-rate-rises-to-record-high-14-point-7-percent-in-april-2020.htm.

[134] Carl Hulse, Emile Cochrane: As Coronavirus Spread, Largest Stimulus in History United a Polarized Senate, New York Times, 25. März 2020, online unter: https://www.nytimes.com/2020/03/26/us/coronavirus-senate-stimulus-package.html.

[135] Vgl. US Department of Commerce, Bureau of Economic Analysis: Gross Domestic Product, Third Quarter 2020 (Advance Estimate), 29. Oktober 2020, online unter: https://www.bea.gov/news/2020/gross-domestic-product-third-quarter-2020-advance-estimate.

[136] Vgl. tagesschau: Corona-Krise verdreifacht Haushaltsdefizit, 17. Oktober 2020, online unter: https://www.tagesschau.de/ausland/usa-haushaltsdefizit-103.html.

[137] Vgl. https://plot-point.org/2020/08/03/schwarze-haut-und-kapital/.

[138] Einen Monat später ernannte er den Unternehmer Louis DeJoy, der ein enger Vertrauter von ihm und Großspender seiner Wahlkampfkampagne ist, zum „Postmaster General“. Unter dem Vorwand einer Ökonomisierung der Post ließ DeJoy etliche Briefkästen und Briefsortierungsmaschinen abbauen und reduzierte Kosten, indem er Überstunden und Trinkgeld für Briefzusteller verbot. Aufgrund der dadurch entstehenden Rückstände und Verspätungen bei der Zustellung von Briefen kam es zu einer Krise des US-amerikanischen Postwesens, die als „United States Postal Service crisis“ bekannt wurde.

[139] Vgl. Tomasz Konicz: Amerikas Demenzwahlkampf, Telepolis 09. März 2020, online unter: https://www.heise.de/tp/features/Amerikas-Demenzwahlkampf-4678451.html

[140] Vgl. Thorsten Brückner: Zwischen Sozialismus und Senilität, Junge Freiheit, 04. März 2020, online unter: https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2020/zwischen-sozialismus-und-senilitaet/

[141] Andererseits ist die Zunahme der Polarisierung der Parteien in den USA auch nur zum Teil repräsentativ für die politischen Einstellungen und die Weltanschauungen der US-amerikanischen Bevölkerung, die sich vor allem hinsichtlich zentraler ökonomischer und sozialer Probleme (Gesundheitssystem, Klimawandel, Studienbedingungen usw.) vergleichsweise einig ist. Dieser relative politische Konsens wird in dem politischen System der USA, das lediglich aus zwei Parteien besteht, allerdings nicht angemessen widergespiegelt, d.h. vor allem die politische „Mitte“ wird demokratisch nicht ausreichend repräsentiert: Ein zahlenmäßig durchaus relevanter, aber moderater Block an US-Bürgern fühlt sich von keinem der beiden politischen Pole angesprochen und neigt zunehmend zu einer Ablehnung der bürgerlichen Politik in den USA insgesamt. Dadurch werden wiederum die politischen Extreme der beiden Polen von links und rechts gestärkt.

[142] Vgl. Vgl. Torben Lütjen: Amerika im kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert, Darmstadt 2020, S. 112.

[143] Beide wurde bei der Ausarbeitung des Wahlprogramms von Biden eingebunden, um den politischen Fehler innerparteilicher Grabenkämpfe wie nach der Nominierung Hillary Clintons zur Präsidentschaftskandidatin für die Wahl 2016 zu vermeiden, und haben durchaus realistische Aussichten auf einen Ministerposten in einem Kabinett unter ihm.


[144] Astrid Dörner: Hoffnungsträger Joe Biden: Was sein Wahlsieg für die deutsche Wirtschaft bedeuten würde, Handelsblatt, 30. Oktober 2020, online unter: https://www.handelsblatt.com/politik/international/wahlen-in-den-usa-hoffnungstraeger-joe-biden-was-sein-wahlsieg-fuer-die-deutsche-wirtschaft-bedeuten-wuerde/26570590.html.

[145] Michael Sainato: ‚It’s all fake‘: Trump’s manufacturing jobs promises ring hollow in midwest, The Guardian, 16. Oktober 2020, online unter: https://www.theguardian.com/business/2020/oct/16/manufacturing-jobs-trump-promises-midwest.

[146] Josh Rogin: Secret CIA assessment: Putin ‘probably directing’ influence operation to denigrate Biden, The Washington Post, 22. September 2020, online unter: https://www.washingtonpost.com/opinions/2020/09/22/secret-cia-assessment-putin-probably-directing-influence-operation-denigrate-biden/.

[147] Vgl. Torben Lütjen: Amerika im kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert, Darmstadt 2020, S. 153.

[148] Das FBI hob am 8. Oktober hob das eine unter der Bezeichnung „Wolverine Watchmen“ firmierende rechtsterroristische Zelle aus, welche die demokratische Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, kidnappen und hinrichten wollte, um anschließend das Landesparlament zu stürmen und einen heißen Bürgerkrieg zu eröffnen. Whitmer geriet ins Visier, weil sie im Zuge der „Coronakrise“ einen strengen Lockdown in ihrem Bundesstaat anordnete, woraufhin Trump unter anderem auf Twitter dazu aufrief, Michigan zu „befreien“. Ausgelöst durch diese Tweets von Trump stürmten am 30. April dieses Jahres Milizen das Parlament von Michigan und besetzten vorübergehend das Michigan State Capitol.

[149] Vgl. Torben Lütjen: Amerika im kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert, Darmstadt 2020, S. 192.

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