Staatssozialistische Forderungen der Neuen Bourgeoisie „von oben“ und „von unten“ in der „Coronakrise“

1. Einleitung
Die Initiative „Solidarisch gegen Corona“[1] möchte als „unsichtbarer Pilot“ (Marx) endlich die avantgardistische Führung der Linken in der derzeitigen „Coronakrise“ übernehmen. Im Wesentlichen handelt es sich bei ihr um den Versuch, die verschiedenen Ansätze der Neuen Bourgeoisie „von unten“ zu bündeln. Damit sollen unbestimmt bleibende „Kämpfe“ verbreitet und ohne eine ausgearbeitete wissenschaftliche Theorie politische Analysen geleistet werden. Aufgrund dieser mangelnden wissenschaftlichen Grundlage liefert die Initiative keinerlei tatsächliche Untersuchung der wirklichen Kämpfe. Stattdessen werden in ihnen oberflächliche Gemeinsamkeiten gesucht, um eine Einheit zu finden, mit der „Politik“ gemacht werden kann. Diese Einheit ist notwendigerweise eine scheinbare. Es handelt sich also um eine Bewegung im Kopf, die selbst dann, falls sie auf relevante Teile der Arbeiterklasse übergreifen und damit praktisch werden sollte, sofort an den wirklichen Widersprüchen, Schwierigkeiten, Bornierungen und Grenzen – die nur nach langen Kämpfen überwunden, aber nicht wegdekretiert werden können – einen Halt finden, sich also in Luft auflösen wird.
Mit einem Forderungskatalog[2] serviert die Initiative der Linken gewissermaßen auf dem Silbertablett eine politische Leitlinie, an die sich zur Kompensation der eigenen Ohnmacht angesichts der Pandemie festgeklammert werden kann. Die Forderungen sind ebenso verworren wie widersprüchlich (z.B. sollen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie einerseits nicht repressiv sein, andererseits wird die Politik indirekt zu restriktiveren Maßnahmen aufgefordert, da sie derzeitig angeblich zu vermeidbaren Todesfällen führe), was der Initiative insofern unmittelbar zum Vorteil gereicht, als sie de facto möglichst viele Linke zur Durchsetzung ihrer Forderungen sammeln will.
Die meisten ihrer Forderungen (z.B. Einschränkung weiter Teile der von ihr relativ willkürlich als „nichtnotwendig“ charakterisieren „Arbeiten“, nach Möglichkeit staatliche „Rettung“ von Unternehmen, was Lohnfortzahlung zur Folge hätte, Lohnfortzahlung für Selbständige und „Künstler“, öffentliche Aufklärung statt Notstandsverordnungen, Wahrung der Bewegungs- und Meinungsfreiheit, Wahrung von Persönlichkeitsrechten und Datenschutz, Hilfestellungen für Frauen, die zu Hause „von männlicher Gewalt betroffen sind“) erfüllt der bürgerliche Staat ohnehin schon, wofür er sich noch mehr verschuldet, oder aber die Kapitale selbst reagieren bereits vereinzelt mit einer „politischen“ Festlegung von Preisen und Lohnerhöhungen, um Versorgungsengpässe durch „Hamsterkäufe“ zu vermeiden und die überdurchschnittlich hohe Belastung der Arbeitskräfte in den nicht stillgelegten Betrieben zu kompensieren.
2. Staatsverschuldung und „Staatsanarchismus“ (Situationistiche Internationale)
Wie an dem am 23.03.2020 beschlossenen Nachtragshaushalt ersichtlich ist, sind die Staatsausgaben gegenüber der ursprünglichen Haushaltsplanung bereits um 36 Prozent gestiegen und insgesamt kosten alle angesichts der Krise geplanten Maßnahmen laut Finanzminister Scholz sogar 750 Milliarden Euro (Spiegel, 23.03.2020). Ob diese Maßnahmen ausreichen werden, ist völlig offen. Letztlich ist daher nicht absehbar, welchen Umfang die Staatsverschuldung annehmen wird.
Die Finanzierungsmöglichkeiten des bürgerlichen Staates und der Umfang seiner Verschuldung sind grundsätzlich begrenzt. Sie können nicht, wie die Neue Bourgeoise behauptet, willkürlich gesteigert werden und grenzenlos wachsen. In der ökonomischen Krise, auf die angesichts des „Lockdowns“ zugesteuert wird, sinken die Steuereinnahmen als Finanzquelle des Staates, während seine Ausgaben steigen. Die ordentliche Kreditaufnahme ist, als Finanzierungsmittel des Staates, allgemein begrenzt. Sie ist zudem in der Krise nur zu hohen Zinssätzen möglich. Die Finanzierung des Schuldendienstes durch Neuaufnahme von Krediten zu relativ hohen Zinssätzen, also Erhöhung der Staatsschulden, ist daher nur ein kurzfristiges Mittel. Auch die Privatisierung von Staatsvermögen ist, wo überhaupt möglich und sinnvoll, beschränkt. Die Betätigung der Notenpresse zur Finanzierung der Staatsausgaben führt zur einer Erweiterung der Geldmenge und damit zur Inflation, indem der Staat mit gedrucktem Geld seine Beamten, Angestellten und Pensionäre bezahlt oder Sachmittel verschiedenster Art (von Waffen bis hin zu Schulen) kauft. Die auf dem Markt zirkulierende Geldmenge entspricht dadurch nicht mehr der Summe der Marktproduktionspreise, wodurch die einzelne Banknote entwertet wird. Selbst, falls der Inflationseffekt durch allgemein fallende Warenpreise kompensiert werden könnte, würde er weiterwirken, da das so geschöpfte Geld gemäß den Gesetzen der Geldzeichenzirkulation nicht nach einer bestimmten Zeit wieder aus der Zirkulation zurückfließt. Die Inflation führt daher ab einem gewissen Punkt zu einer allgemeinen Diskreditierung des Geldes und damit zur Hemmung wirtschaftlicher Tätigkeit, also zur Krise. Soll dieses Mittel nicht oder nur sparsam verwendet werden, so wird der Schuldendienst und in der Folge auch der Druck auf das Proletariat zunehmen – zunächst auf den mehrwertproduktiven Teil und schließlich auch auf alle anderen Segmente der Lohnarbeiterklasse. Schließlich gibt es auch noch umgekehrt die Möglichkeit, kapitalistische Unternehmen, seien es Privatkapitale oder gesellschaftliche Privatkapitale, dauerhaft zu verstaatlichen. Dies nennt die Initiative zwar nicht explizit als politisches Ziel, objektiv liefe ihre Politik allerdings auf eine solche Verstaatlichung hinaus. Die Initiative arbeitet also praktisch „von unten“ in einem „Staatsanarchismus“ (Situationistische Internationale) den führenden politischen Kadern der Neuen Bourgeoisie zu.
3. Staatssozialistische Propaganda
Die Situation der Frauen möchte die Initiative dadurch gebessert wissen, dass die vorrangig von ihnen geleistete Haushalts- und Familienarbeit, die im Zuge der Schließungen von Bildungs- und Erziehungsinstitutionen wie Kindergärten und Schulen zunimmt, vom Staat bezahlt werden soll. Damit würden Frauen zu unproduktiven Lohnarbeitssklavinnen des Staates degradiert werden, was zwar dem Interesse des Staatssozialismus entspricht, aber tatsächlich dem System der Lohnarbeit widerspricht. Das gesamte Problem der Haus- und Familienarbeit wird bourgeoissozialistisch nur als Frage der Einkommensverteilung thematisiert, nicht aber als Frage der Subsumtion der Individuen unter das hierarchische System der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit. Die Frauen sollen, entsprechend der patriarchalen Arbeitsteilung, weiterhin die entnervende Scheißarbeit im Haushalt und der Familie leisten, aber dafür künftig ein paar Groschen erhalten.
Wie es dem außenpolitischen Paktieren der Neuen Bourgeoisie mit dem geopolitischen Lager der globalen Konterrevolution entspricht, nimmt die Initiative das islamfaschistische Regime des Iran in Schutz, das umstandslos unter das entwicklungspolitische Schlagwort des „globalen Südens“ subsumiert wird, welcher unter „mangelnder Ausstattung“ leide. Hier wird eine interessierte Umkehr vorgenommen: Nicht die mangelnde kapitalistische Entwicklung und die Verquickung vorkapitalistischer mit staatskapitalistischen Elemente wird als ökonomische Basis der religiös-fundamentalistischen, staatskapitalistischen oder nationalistischen Despotien des „globalen Südens“ betrachtet, sondern diese als Opfer der kapitalistischen Entwicklung dargestellt. Ihr Wohlergehen und ihre „Demokratisierung“ hängen dann vom Niedergang der kapitalistischen „Metropolen“ ab. Letztlich handelt es sich also um eine ideologische Apologie der massenmörderischen Despotien, weshalb die demokratisch-säkularen Bewegungen dagegen, wie sie im „Arabischen Frühling“ gipfelten und seitdem immer wieder auftauchen, nur zum Schein unterstützt werden. Ihre wirkliche Entwicklungsetappe, nämlich die bürgerlich-demokratische, wird daher politisch indifferent ignoriert oder sogar „antibürgerlich“ bzw. utopisch „sozialrevolutionär“ bekämpft.
Allgemein schwingt in den Forderungen der Initiative die Illusion von einem „Primat der Politik“ mit, d.h. dass der Staat sich voluntaristisch über die ökonomischen Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise hinwegsetzen könnte, sobald einmal die „richtigen“ technokratischen Funktionäre, nämlich die politischen Kader der Neuen Bourgeoisie an den bürokratischen Schalthebeln der Macht walten würden. Dementsprechend wird davon abgesehen, dass das Privateigentum an den Produktionsmitteln zugunsten des gesellschaftlichen Gemeineigentums und damit auch die kapitalistischen Reichtumsformen wie Ware, Geld und Kapital aufgehoben werden müssen, damit sich das Gesundheitswesen unter den Bedingungen einer höheren, kommunistischen Gesellschaftsformation an den Bedürfnissen der gesellschaftlichen Individuen orientiert. Stattdessen bemüht die Initiative das staatssozialistische Propagandanarrativ vom angeblichen „Kaputtsparen“ des Gesundheitssystems im Rahmen des „Neoliberalismus“. Dabei verschweigt sie, wie es für Staatssozialisten typisch ist, nicht nur die Bedingungen der kapitalistischen Produktion, unter denen das Gesundheitswesen in der bürgerlichen Gesellschaft betrieben wird, sondern auch, dass diese Bedingungen durch Staatsmaßnahmen nicht aufgehoben werden können.
4. Extremer Liberalismus und Staatssozialismus als falsche Alternative
Während der extreme Liberalismus Staatseingriffe per se ablehnt und damit von allen körperlichen und moralischen Vorbedingungen der Emanzipation der Arbeiterklasse absieht, ergreift der bürgerliche Staat notwendigerweise Maßnahmen, die tatsächlich alle Gesellschaftsmitglieder oder zumindest einen Teil vor schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden schützen. Die Neue Bourgeoisie wiederum versucht unter dem Vorwand solcher Maßnahmen die Etablierung einer staatssozialistischen Despotie zu befördern. Dabei ist ihr Hypermoralismus, der zum „Schutz des Lebens“ den kompletten Stillstand der kapitalistischen Produktion fordert, aber dafür die Lebensqualität und sogar den Tod vieler Menschen in Kauf nimmt, in sich widersprüchlich. Er behauptet, nur eine Ausnahme zu sein und wehrt jede Kritik, wonach er der Neuen Bourgeoisie als Kampfmittel dient, mit dem Verweis auf die außergewöhnliche Situation ab. Er verweist ständig abstrakt und damit letztlich empathielos auf „die Toten“ der „Coronakrise“, kann aber nicht angeben, warum diese moralisch bedeutsamer sein sollen als andere. Sein Maßstab würde, falls er über den Partikularismus seiner Protagonisten hinaus zu einem gesellschaftlichen Prinzip verallgemeinert würde, zum „rohen Kommunismus“ (Marx) einer permanenten Kommandowirtschaft auf niedrigstem Entwicklungsniveau führen. Der Staat könnte theoretisch, auch wenn es ihm praktisch aufgrund der von ihm unangetasteten kapitalistischen Produktionsverhältnisse unmöglich ist, eingreifen, um „Leben zu retten“, d.h. eine angebliche Abwehr von Gefahren für Leib und Leben kann stets vorgebracht werden, um die Befriedigung mannigfaltiger Bedürfnisse sowie soziale und politische Tätigkeit ohne eine tatsächlich gegebene Notwendigkeit einzuschränken. An seinem eigenen Prinzip erscheint alle Differenzierung und Beschränkung als bloße Willkür. Das ist überhaupt eine wesentliche Bestimmung des Staatssozialismus der Neuen Bourgeoisie, nicht nur dort, wo sie bereits an der Macht ist, sondern auch, wo sie nur Bewegung ist.
Die Staatssozialisten, die Krokodilstränen für „die Arbeiter“ vergießen, übersehen aufgrund des antiontologischen Charakters ihrer grenzenlose Manipulation versprechenden idealistischen bzw. hyperrationalistischen Ideologie, dass der Stillstand der kapitalistischen Produktion zu einem Verfall von Gebrauchswerten und damit einer Entwertung von Kapital führt. Sie wollen die gesellschaftlichen Produktivkräfte, die ein Teil des Kommunismus als „wirklicher Bewegung“ sind, fesseln, weil sie diese Bewegung selbst aufzuhalten angetreten sind. Tatsächlich sind diese Produktivkräfte von viel gefährlicherem Charakter für die kapitalistischen Produktionsverhältnisse als die Bourgeoissozialisten und ihre linke bzw. linksradikale Anhängerschaft. Ihre Forderung nach einer Unterbrechung der kapitalistischen Produktion zielt direkt auf eine Beschränkung der Produktivkräfte ab, denn diese „Kontinuität ist selbst eine Produktivkraft der Arbeit.“[3] Unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen verkehren sich die Produktivkräfte der Arbeit allerdings zu Produktivkräften des Kapitals, weshalb auch die Kontinuität der kapitalistischen Produktion als von den unmittelbaren Produzenten selbst getrennte Produktivkraft des Kapitals erscheint. Die sich im Alltagsbewusstsein als scheinbar plausibel darstellende Forderung der Staatssozialisten, die Produktion zu unterbrechen, ist eine entfremdete Reaktion auf diesen entfremdeten Charakter der kapitalistischen Produktion.
Der extreme Liberalismus einerseits, der Hypermoralismus der Neuen Bourgeoisie andererseits bilden also zusammengehörige Gegensätze, d.h. eine falsche Alternative, die schon von Friedrich Engels erkannt wurde: „Es ist eine rein interessierte Fälschung der Manchesterbourgeois, jede Einmischung des Staats in die freie Konkurrenz als „Sozialismus“ zu bezeichnen […]. Das sollen wir kritisieren, nicht aber glauben. Tun wir das letztere und basieren einetheoretische Entwicklung darauf, so fällt diese mit ihren Voraussetzungen, also mit dem einfachen Nachweis, daß dieser angebliche Sozialismus nichts ist als einerseits feudale Reaktion, andrerseits Vorwand zur Geldpresse, mit der Nebenabsicht, möglichst viele Proletarier in vom Staat abhängige Beamte und Pensionäre zu verwandeln, neben dem disziplinierten Kriegs- und Beamtenheer auch ein dito Arbeiterheer zu organisieren. Wahlzwang durch staatliche Vorgesetzte statt durch Fabrikaufseher -schöner Sozialismus! Dahin aber kommt man, wenn man dem Bourgeois glaubt, was er selbst nicht glaubt, sondern nur vorgibt: Staat sei = Sozialismus.“[4]
5. Arbeiterselbstverwaltung statt Degradation zum Rattenschwanz der Neuen Bourgeoisie
Das Kapital nimmt keine Rücksicht auf die Gesundheit des Arbeiters, soweit die Beschädigung und Einschränkung dieser Gesundheit durch die Vermehrung des Profits bedingt ist. Es muss daher durch den bürgerlichen Staat zu dieser Rücksichtnahme gezwungen werden. Insgesamt hängt diese mangelnde Rücksichtnahme aber nicht, wie die Neue Bourgeoisie weismachen will, vom Willen und Gutdünken des einzelnen Kapitalisten ab. Sie ist vielmehr das Resultat der ökonomischen Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise, die sich dem einzelnen Kapitalisten in der Konkurrenz als äußerliche Zwangsgesetze geltend machen. Von diesen Gesetzen aber sieht die Neue Bourgeoisie ab, oder möchte sie durch staatliche Regulation „bewusst anwenden“. Dabei wird der naturwüchsige Charakter dieser Gesetze verleugnet. Die Verstaatlichung von Produktions- und Lebensmitteln hebt diese Gesetze aber nicht auf, sondern verändert nur ihre Form. Die einzelnen Arbeiten der Produzenten werden weiterhin als voneinander unabhängige Privatarbeiten betrieben, die von einer bürokratischen Despotie durch den zentralstaatlichen Plan, der selbst nur die entfremdete Form des Gesamtzusammenhangs dieser Arbeiten darstellt, vermittelt werden sollen.
Ebenso wie die sozialen, so sind auch die gesundheits- und bevölkerungspolitischen Konzessionen, welche die Neue Bourgeoisie fordert und denen die alte Bourgeoisie teilweise schon längst nachkommt, immer nur gering. Sie werden einerseits nur gemacht, soweit es dem Interesse der kapitalistischen Produktion nicht widerspricht und sind andererseits das Ergebnis aus der Konkurrenz der Einzelkapitale, die in der „Coronakrise“ um möglichst große Subventionen durch den Staat buhlen, um ihren Niedergang durch die verschärfte Tendenz zur Konzentration und Zentralisation des Kapitals abzuwenden. Selbst dort, wo sich die Bourgeoisie tatsächlich um die Eindämmung von Epidemien und Pandemien bemüht, handelt sie nicht im Interesse der Arbeiterklasse, sondern aus Angst um die eigene Gesundheit, wie bereits Engels feststellte: „Die wiederholten Heimsuchungen durch Cholera, Typhus, Pocken und andre Epidemien haben dem britischen Bourgeois die dringende Notwendigkeit eingetrichtert, seine Städte gesund zu machen, falls er nicht mit Familie diesen Seuchen zum Opfer fallen will.“[5]
Dagegen müssen die Arbeiter die Versuche der Neuen Bourgeoisie, sie durch diese Konzessionen zu ködern, abwehren und ihre eigenen Forderungen durch ihre selbständige Agitation stellen. Sie müssen die Bemühungen, ein Bündnis zwischen ihnen und der Neuen Bourgeoisie zur Schikane und zum Schaden der alten Bourgeoisie zu knüpfen, bekämpfen. Ansonsten geben sie die Möglichkeit, sich selbst zur revolutionären Klasse herauszubilden, auf und lassen sich selbst zum Rattenschwanz der staatssozialistischen Agenda der Neuen Bourgeoisie degradieren. Der Übergang der Produktions- und Lebensmittel vom kapitalistischen Privateigentum in das Gemeineigentum der Gesellschaft kann nur durch die revolutionäre Praxis des selbständig zur politischen Partei organisierten Proletariats bewerkstelligt werden. Die Forderung, dass privatisiertes Eigentum, das sich einst in öffentlicher Hand befand, im Gesundheitssektor erneut verstaatlicht werden soll, dient nur der Agenda des Staatssozialismus. Stattdessen müssen die Arbeiter soweit als möglich die Rücknahme von Privatisierungen und zugleich die Übergabe der staatlichen Betriebe an die in ihnen beschäftigten Arbeiter fordern, um dem Staatssozialismus entgegenzuwirken und auf eine aktive Selbstverwaltung der Produktion durch die unmittelbaren Produzenten selbst hinzuwirken. Das gleiche gilt hinsichtlich der Krankenkassen, von deren Verwaltung die Kapitalisten ausgeschlossen und die aus der Hand des Staates in die Selbstverwaltung der Arbeiter übergeben werden müssen. Denn schon hier und jetzt müssen sich die Arbeiter in der selbsttätigen Kontrolle ihre eigenen Angelegenheiten üben.
6. Gesundheitsschutz und revolutionäre Diktatur des Proletariats
Die Neue Bourgeoisie braucht die Arbeiter, aber diese nicht umgekehrt die Neue Bourgeoisie. So ist etwa die Forderung der Initiative nach „hygienischen und sichern Arbeitsplätzen“, welche von streikenden und protestierenden Arbeitern rekuperiert wurde, prinzipiell richtig, wird aber in den Händen des Staatsanarchismus zum politischen und ideologischen Instrument, um die Arbeiter an die Neue Bourgeoisie zu binden. Moralisch werden Arbeitsbedingungen beklagt, die ein Gesundheitsrisiko darstellen, aber die Subsumtion der Individuen unter das naturwüchsige System der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, ob in privat- oder staatskapitalistischer Form, wird in den „Forderungen“ vollkommen ausgeblendet. Die größte Teilung der Arbeit ist die zwischen den Klassen, gefolgt von der zwischen Stadt und Land sowie geistiger und körperlicher Arbeit. Der Zerstückelung der Individuen zu Detailarbeitern wird nicht nur in privatkapitalistischer Form betrieben, sondern auch im Staatssozialismus werden sie zu bloßen Teilarbeitern degradiert, weil sie als bloßes Mittel der Verwertung des Staatskapitals dienen, was ideologisch als Produktivkraftentwicklung „zum Nutzen der Arbeiter“ umgedeutet wird.
Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Arbeiter können erst in einer revolutionären Diktatur des Proletariats, von der die Initiative schweigt, vollumfänglich wirksam werden und ihre tatsächliche Bedeutung erlangen. Bis dahin werden sie, wenn überhaupt, von den einzelnen Kapitalisten nur widerwillig und unvollständig verwirklicht werden. Auf der Grundlage der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die bei einer Verstaatlichung des Kapitals grundsätzlich bestehen bleiben, lässt sich das Gesundheitsrisiko für die Arbeiter, auch und gerade angesichts von Pandemien, nur einhegen, soweit es diese Produktionsverhältnisse erlauben. Demgegenüber würden diese Risiken in einer kommunistischen Produktionsweise, als Assoziation freier Individuen, soweit als irgend möglich reduziert werden, auch wenn sie grundlegend bestehen bleiben und niemals vollständig aufgehoben werden können. Die universale Befreiung des Individuums kann nur durch Aufhebung des naturwüchsigen Charakters der kapitalistischen Produktion und aller Entfremdungen der menschlichen Gattung, als Aufhebung des kapitalistischen Privateigentums zugunsten des gesellschaftlichen Gemeineigentums und Selbstaufhebung des Proletariats, stattfinden. Eine solche Aufhebung bedeutet, dass die Produzenten auf Basis des Gemeineigentums an den Produktions- und Lebensmitteln gemeinsam über alle Belange ihres Lebens selbst entscheiden können. Die Konkurrenz der Privatkapitale aufheben, aber die Kontrolle über die Produktionsmittel dem Staat und seinen Funktionären übertragen, heißt der Unterjochung der Individuen unter den naturwüchsigen Charakter der kapitalistischen Produktion nur eine andere Form geben. Eine Form, die mit der entwickeltsten Stufe der Widersprüche des Kapitals nicht nur dessen Destruktivkräfte, sondern auch seinen „zivilisierenden Einfluss“ (Marx) in Ketten legen soll. Eine Form, die zugleich mit einen Rückschritt in der Politik einhergeht, in dem in ihr die Institutionen, in denen der Klassenkampf innerhalb der Bourgeoisie ausgefochten wird und der das beste Terrain für den Klassenkampf des revolutionären Proletariats darstellt, unter der zynischen Losung der „Diktatur des Proletariats“, die tatsächlich eine Diktatur über das Proletariat darstellt, vernichtet werden. Was die „armseligen Rückschrittspropheten“ (Marx) des Staatssozialismus in Verwirrung bringt, ist der widersprüchliche Charakter des kapitalistischen Fortschritts. Während die Neue Bourgeoisie darin einerseits nichts als Niedergang und Verfall erblicken mag, versucht sie andererseits die „guten“ von den „schlechten“ Seiten des Kapitals und des Staates voneinander zu trennen und den Arbeitern einzureden, dass die Sklaverei der Lohnarbeit für den Staat keine sei, weil der Staat ja schließlich ein „sozialistischer Staat“ geworden sei. Dagegen erkennt das revolutionäre Proletariat in diesem Fortschritt seinen „wackern Freund Robin Goodfellow, den alten Maulwurf, der so hurtig wühlen kann, den trefflichen Minierer – die Revolution.“[6]
[1] https://solidarischgegencorona.wordpress.com/
[2] https://solidarischgegencorona.wordpress.com/erlauterung-unserer-forderungen/
[3] MEW 24, S. 283.
[4] MEW 35, S. 170.
[5] MEW 22, S. 268.
[6] MEW 12, S. 4.
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