Der Tod darf nicht leben! Zur jüngsten Offensive der Neuen Bourgeoisie anlässlich der Coronapandemie

„Der menschliche Leib ist von Natur sterblich. Krankheiten können daher nicht ausbleiben. Warum wird der Mensch erst dem Arzte unterworfen, wenn er erkrankt, und nicht, wenn er gesund ist? Weil nicht nur die Krankheit, weil schon der Arzt ein Übel ist. Durch eine ärztliche Kuratel wäre das Leben als ein Übel und der menschliche Leib als Objekt der Behandlung für Medizinalkollegien anerkannt. Ist der Tod nicht wünschenswerter als ein Leben, das bloße Präventivmaßregel gegen den Tod? Gehört freie Bewegung nicht auch zum Leben? Was ist jede Krankheit als in seiner Freiheit gehemmtes Leben? Ein perpetuierlicher Arzt wäre eine Krankheit, an der man nicht einmal die Aussicht hätte, zu sterben, sondern zu leben. Mag das Leben sterben: der Tod darf nicht leben.“ (MEW 1, S. 59)

Die Verbreitung des sogenannten „Coronavirus“, die von der WHO seit dem 11. März als Pandemie eingestuft wird, geht seit Beginn des Ausbruchs mit dem epidemischen Auftreten alarmistischer Warner einher. Insbesondere die „kritische Kritiker“ der Linken warnen panisch vor einer viralen Apokalypse, auf die man sich nun vorzubereiten habe. Werde ihrem Imperativ zum Handeln nicht nachgekommen, drohe der Weltuntergang. Daneben werden die Medien, die nicht im Interesse dieser Panikmache berichten, der Lüge bezichtigt. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie Hofberichterstattung für „die Politik“ betreiben. Die bürgerlichen Politiker selbst werden als „inkompetent“ abgekanzelt oder ihnen wird unterstellt, dass sie die Bevölkerung fälschlicherweise beschwichtigen würden. Selbst wissenschaftliche Experten, welche die Panik nicht teilen und daher auch nicht vor dem Untergang des Abendlandes warnen, werden als bloße Lakaien der Politik denunziert. Die Volksrepublik China wird politisch lagerübergreifend dafür gelobt, dass sie aus ihren Fehlern beim Ausbruch des Virus „gelernt“ habe und nun den einzigen gangbaren Weg weise, um die finale Katastrophe noch abzuwenden. Schließlich wird allen vermeintlichen „Beschwichtigern“ die Verantwortung dafür gegeben, dass im Rahmen der Pandemie Menschen gestorben sind, die, ohne jegliche Empathie für das Leben der einzelnen Individuen, nur noch abstrakt als „die Toten“ beklagt werden. Wo sie sich nicht mundtot machen lassen, sollen solche Störer der alarmistischen Harmonie dingfest gemacht und auf die eine oder andere Art zur Rechenschaft gezogen werden – ganz so, als wären Menschen, die nicht in den Chor der Panikmache einstimmen, Verschwörer und Saboteure der Krisenbekämpfung.

Instrumentalisierung des Coronavirus für die politische Agenda der Neuen Bourgeoisie

Die zunehmende Ausbreitung des Coronavirus liefert der Neuen Bourgeoisie einen willkommenen Anlass für eine weitere Offensive. Sie versucht, den Virus zu benutzen, um eine politische und ökonomische Krise herbeizuführen und zu vertiefen. Bislang, so lautet der Tenor, habe „der Staat“ versagt, womit die alte Bourgeoisie gemeint ist, die noch überwiegend die Staatsmacht in den Händen hält. Das politische Personal dieser alten Bourgeoisie wird diskreditiert, um sozusagen einen dauerhaften Quarantänezustand zwischen ihm und einem Großteil der Bevölkerung einzurichten. Diese Diskreditierung geht soweit, dass jenes Personal nicht mehr als politische Entscheidungs- und Funktionsträger, die bestimmte Fraktionen der Bourgeoisie vertreten und deren Handlungsspielraum in letzter Konsequenz durch die ökonomischen Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise bedingt wird, betrachtet wird, sondern vielmehr als inkompetente oder böswillige Bürokraten, die „Mordpläne“ für die Alten und Kranken als „schwächste Mitglieder der Gesellschaft“ umsetzen oder zumindest mutwillig über Leichen gehen würden – selbstredend nur im Dienst für „die Wirtschaft“.

Letztlich soll das politische Personal der alten Bourgeoisie zurücktreten, um den Platz für die technokratischen Politkader der Neuen Bourgeoisie zu räumen, welche die Gesellschaft als bloßes Objekt für ihre willfährigen Manipulationen ansieht. Diese neuen Kader werden dann, so wird propagandistisch suggeriert, die Zügel fest genug in die Hand nehmen und endlich die straffe Führung zur Lösung der „Coronakrise“ übernehmen, bei welcher der Staat „hart durchgreifen“ müsse. In Wirklichkeit würde dadurch lediglich die politische Agenda der Neuen Bourgeoisie auf die Bereiche der Innen-, Gesundheits- und Bevölkerungspolitik übertragen bzw. angewandt. Die alarmistischen Aufrufe zum „Handeln“ sind also keine bloßen Aufrufe für ein von der Politik versäumtes Handeln, sondern, da in Wirklichkeit überall „gehandelt“ wird, Aufrufe zur Umsetzung eben jener Programme der Neuen Bourgeoisie. Die entsprechende Propaganda, welche sich angesichts der Pandemie mit einer großen Wucht Bahn bricht, plädiert für Maßnahmen zur umfassenden Verstaatlichung und Entdemokratisierung, die auf einen politischen und ökonomischen Notstandsstaat hinauslaufen. Während sich selbst im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bereits Stimmen finden, die ganz offen für einen solchen Notstandsstaat plädieren,[1] zieht Bundeswirtschaftsminister Altmaier mittlerweile die Verstaatlichung deutscher Schlüsselindustrien in Erwägung[2] – was der Neuen Bourgeoisie in die Hände spielt und von ihren Anhängern als „Schritt in die richtige Richtung“ auf dem „Weg zum Sozialismus“, der für sie eben nichts anderes als Staatssozialismus ist, gefeiert werden dürfte.

Kaschiert wird diese Propaganda mit einem pseudohumanistischen Moralismus: Der Staat soll, in seiner angeblichen All- und Übermacht, mit rigorosen bevölkerungs- und gesundheitspolitischen Maßnahmen das Virus „unter Kontrolle“ bringen, um das „Leben zu schützen“ – und zwar nicht das des einzelnen Individuums, um das es nicht geht, sondern das „der Bevölkerung“. Dahinter steht nicht nur das autoritäre Bedürfnis, mündigen Individuen die Selbständigkeit zu nehmen und sie durch den Staat kontrollieren zu wollen. So werden den Bürgern in den bürgerlichen Demokratien zurzeit auf Grundlage transparenter und nachvollziehbarer Informationen bestimmte Verhaltensweisen nahegelegt und mehr oder weniger dringlich empfohlen, während in den despotischen Regimen den Untertanen Maßnahmen aufgezwungen werden. Vielmehr noch steht dahinter die illusorische Auffassung, dass die Politik des bürgerlichen Staates sich beliebig über ökonomische Notwendigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise hinwegsetzen könnte. Diese Illusion von einem „Primat der Politik“ gehört zum Kern der (neo)bourgeoisozialistischen Ideologie, die überall von den ökonomischen Gesetzen der kapitalistischen Produktionsweise absieht oder diese „bewusst anwenden“ will. Stattdessen wird verkündet, dass der Staat eine umfassende Kontrolle über das gesellschaftliche Leben ausüben solle, weil „Menschenleben“ wichtiger seien als „die Wirtschaft“. Für die Ergreifung harter staatlicher Maßnahmen ist man auch bereit, grundlegende bürgerliche Freiheitsrechte wie z.B. das Recht auf Freizügigkeit außer Kraft setzen zu lassen. Despotische Regime wie China und Russland nutzen, unter dem moralischen Vorwand des „Lebensschutzes“, die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus bereits, um die Überwachung und Kontrolle über das Alltagsleben ihrer Bevölkerung auszuweiten und zu vertiefen.[3]

Der dabei vorausgesetzte, angebliche Dualismus zwischen „dem Leben“ und „der Wirtschaft“ geht zurück auf die völlige Ablösung der ökonomischen Formbestimmungen des Kapitals von ihrem materiellen Inhalt, während in Wirklichkeit letzterer in der Hülle der ersteren notwendig erscheint und beide untrennbar — nur analytisch voneinander unterscheidbar — miteinander verwoben sind. Als Formen der gesellschaftlichen Arbeit vermitteln die ökonomischen Formen ihrem Inhalt nach gerade den Stoffwechselprozess der Gesellschaft mit der Natur, ihren materiellen Lebensprozess und stehen diesem nicht äußerlich gegenüber. Diese äußerliche Gegenüberstellung führt zu der Annahme, es käme nur darauf an, die Machthaber auszutauschen, damit endlich „sinnvoll“ und „menschlich“ gewirtschaftet werde. Sie stellt bloß das spiegelbildliche Abbild ihrer Identifikation in der liberal-bürgerlichen Ideologie dar und ist genau wie diese gänzlich unfähig, historisch aus den Elementen der bürgerlichen Gesellschaft die Übergänge in eine kommunistische Produktionsweise theoretisch zu entwickeln und praktisch zu antizipieren. Die ritterlichen Kathedersozialisten stellen so völlig abstrakt „die Wirtschaft“ „dem Leben“ gegenüber und behaupten dann auftrumpfend von sich selbst, sie stünden allein für letzteres ein.

Der letzte Grund des mit der „Rettung des Lebens“ moralisch gerechtfertigten Appells, dass der Staat nun harte Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus ergreifen und endlich die „richtigen“ Kader an die Schaltstellen der Macht lassen müsse, ist eine insbesondere im Neobourgeoissozialismus tief verwurzelte Lebensfeindlichkeit. Hintergrund dieser Feindlichkeit ist, dass dieser neue Bourgeoissozialismus eine staatskapitalistische Reproduktionstotalität anstrebt, in der nicht nur die Entwicklung der Produktivkräfte ökonomisch durch die Produktionsverhältnisse und politisch durch die Form eines despotischen Regimes gefesselt werden soll, sondern auch die im Rahmen dieser Produktionsverhältnisse selbst hervorgetriebenen Potenzen einer allseitigen, umfassenden Individualität beschränkt werden sollen, damit diese Individualität auf ein gesellschaftliches „Normalmaß“ zurechtgestutzt werde. Mit der propagandistischen Behauptung, dass man das „Leben der Bevölkerung schützen“ wolle, lässt sich stets das gesellschaftliche Leben einschränken und zum Gegenstand umfassender staatlicher Kontrolle machen. Jedes Scheitern der rigorosen Maßnahmen des Staates birgt in sich den Ruf nach weiterer Verschärfung des Notstandes, nach „radikaleren“ Maßnahmen, also letztlich nach totaler staatlicher Kontrolle.

Ökonomische Krise

Die allerorts kursierenden, sich ständig überbietenden Forderungen zur Bewältigung der „Coronakrise“ laufen letztlich auf eine Vertiefung der wirtschaftlichen Rezession hinaus, die von einem Großteil der europäischen Länder seit der zyklischen Überakkumulationskrise 2007ff. zumindest strukturell immer noch nicht bewältigt wurde. Diese Verschärfung der Rezession wird langfristig betrachtet drastischere Konsequenzen haben als das Virus selbst, die ökonomische Gefahr rigider Staatsmaßnahmen zur Eindämmung des Virus potenziell größer sein als die Gefahr des Virus für das Gesundheitswesen. Wirtschaftsverbände aus ganz Europa laufen Sturm gegen staatliche Maßnahmen, die zum Verlust von Milliardengewinnen führen könnten. Die Aktienmärkte beginnen bereits zusammenzubrechen und verzeichnen die schlechtesten Kurse seit der Weltwirtschaftskrise 2007ff.[4] Die ökonomische Basis Italiens, das bereits die von den Bourgeoissozialisten geforderte rigiden Notstandsmaßnahmen umgesetzt hat, steht vor dem Kollaps. Angetrieben wurde die italienische Regierung von rechten bis neofaschistische Parteien wie der „Lega“, die ebenso wie die Staatssozialisten die absolute Stillstellung des öffentlichen Lebens und der Ökonomie fordern. Die kapitalistische Produktionsweise in Italien droht, mit unabsehbaren Folgen für den Binnenhandel in der EU und den Weltmarkt, zusammenzubrechen – trotz wirtschaftlicher Notprogramme in Höhe von 25 Milliarden Euro und eines geplanten Maßnahmenpakets von Kurzarbeit, Stundung von Krediten und Steuerzahlungen, Unternehmenssubventionen und Zuschüssen bei den primären Revenuen sowie Mietkosten, [5] wie sie von sich besonders radikal dünkenden Linken auch hierzulande gefordert werden. Damit beweist Italien, wohin die rigorosen Maßnahmen eines staatlichen Notstandes führen: Zum drohenden Zusammenbruch der kapitalistischen Produktionsweise. Während sich der „Primat der Politik“ so an der Realität der ökonomischen Gesetzen der kapitalistischen Produktionsweise blamiert, bereitet deren drohender Zusammenbruch zugleich den Ausnahmezustand vor, auf dessen Heraufbeschwörung die Neue Bourgeoisie in letzter Konsequenz abzielt, damit sie sich zur Etablierung und Sicherung ihrer politischen Macht als „Retter in der Not“ aufspielen kann. Der Etatismus der Neuen Bourgeoisie beruht darauf, dass der Staat auf Grundlage kapitalistischer Produktionsbedingungen der bürgerlichen Gesellschaft selbst entfremdet und verselbständigt als „organisierte Gewalt der Gesellschaft“ (Marx) gegenübertritt. Daraus resultiert die vulgäre Annahme, dass nur der Staat den atomisierten Individuen gegenüber eine organisierte Form der Gesellschaftlichkeit darstelle oder zumindest eine kollektive, organisierte Form des gesellschaftlichen Handelns nur in der entfremdeten Form von Staatsmaßnahmen möglich sei. Das ganze politische Programm der Neuen Bourgeoisie beruht letztlich auf dieser historisch-spezifischen Entfremdung der Gesellschaft von sich selbst, also der Verdopplung der Gesellschaft in Gesellschaft und Staat. Das ist auch der Grund dafür, dass der Staatssozialismus im Wartestand gerade in Situationen der Krise und des Ausnahmezustandes den fruchtbarsten Boden vorfindet. Er kann dann auf die Notwendigkeit, „hier und jetzt“ handeln zu müssen pochen. Demgegenüber scheint die langwierige, zähe Herausbildung einer eigenen Innenpolitik des Proletariats im Sinne einer „revolutionären Realpolitik“ (Luxemburg/ Lukács), welche die revolutionäre Klassenbildung des Proletariats und die vollständige Umwälzung der kapitalistisichen Produktionsverhältnisse zum Ziel hat, verantwortungslos zu sein. Der Bourgeoissozialismus erweist sich damit nicht nur als in Wirklichkeit konservativ und reaktionär. Es zeigt sich auch, dass er in den verkehrten Erscheinungsformen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse stecken bleibt, wie sie sich dem Alltagsverstand unmittelbar darstellen, und davon ausgehend taktizistisch Politik betreibt. Wenn er sich überhaupt um den inneren notwendigen Zusammenhang dieser Erscheinungsform schert, dann allein, soweit es dem nächsten Anlauf der politischen Machtübernahme – vordergründig „im Interesse des Proletariats“, tatsächlich aber zur Errichtung einer staatssozialistischen Diktatur über das Proletariat – dienlich erscheint. Er behandelt diese Erscheinungsformen als Naturformen und versucht, sie – selbstverständlich im „Sinne des Gemeinwohls“ – zu Instrumenten der staatsozialistischen Herrschaft über die Gesellschaft zu machen.

Da die Neue Bourgeoisie eine staatskapitalistische Reproduktionstotalität mit dem politischen Überbau eines despotischen Regimes anstrebt, geht mit der Propaganda für ihre eigene politische Agenda zugleich die propagandistische Legitimierung der despotischen Regime des Ostens sowie ihrer Maßnahmen zur Bewältigung der „Coronakrise“ einher. Dies gilt besonders für China, wobei geflissentlich verschwiegen wird, dass die rigorosen Maßnahmen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) lediglich die Konsequenzen aus ihrem vorherigen Versagen angesichts des Ausbruchs des Coronavirus sind. Während die KPCh noch die ersten Ärzte, die vor dem Ausbruch des Virus warnten, mundtot machte und die Bevölkerung wider besseres Wissen beschwichtigte, wusste diese es schon besser und floh teilweise aus Wuhan, lange bevor dieses zum Zweck der Quarantäne abgeriegelt wurde. Umso offensichtlicher das Versagen der KPCh wurde, umso drastischer wurden die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus, die nicht zuletzt dazu dienten, ihr ohnehin bereits vertuschtes Versagen durch eine erfolgreiche Bekämpfung des Virus, die mit gefälschten Statistiken belegt werden soll, zu rechtfertigen. Doch auch China, dessen von der KPCh statistisch in die Höhe frisiertes Wachstum vorrangig durch Kredite finanziert wurde, verzeichnet zahlreiche Fabrikschließungen und eine damit einhergehende Reduzierung des produzierten Warenkapitals.[6] Gerade weil es nach wie vor der größte Warenexporteur der Welt ist und versucht, dass Coronavirus mit drastischen Regierungsmaßnahmen einzudämmen, birgt die Pandemie die Gefahr, dass sich die geopolitischen Kräfteverhältnis zugunsten Chinas und anderer despotischer Regime verschieben, für deren „Krisenlösung“ die Propagandisten der Neuen Bourgeoisie derzeit überall trommeln. Ideologisch kommt die weltweite Verbreitung des Virus der KPCh entgegen, weil sie nun behaupten kann, ja von Anfang an einer unaufhaltsamen Naturkatastrophe entgegengestanden zu haben, gegen die selbst die fortgeschrittensten Gesellschaften angeblich machtlos seien. Vor diesem Hintergrund versucht sie mittlerweile auch die Herkunft des Virus zu verschleiern oder verschwörungstheoretisch auf einen Import durch die US-amerikanische Armee zu schieben.[7]

Insurrektionalistischer Utopismus

Während also führende Kader der Neue Bourgeoisie „von oben“ eine massive Propagandakampagne für einen Notstandsstaat betreiben, wirken linke bzw. linksradikale Theorie- und Politsekten angesichts des Coronavirus in einer hierarchischen Arbeitsteilung „von unten“ auf den Ausnahmezustand hin. So schließt sich etwa der linke Möchtegern-Think-Tank, das „Communistische Labor“ der „translib“, italienischen Forderungen nach einem Zahlungsstreik und für ein „Garantiertes Quarantäneeinkommen“ an.[8] Das ist nicht nur an politischer Naivität und Dummheit kaum zu überbieten, sondern dient vor allem dem Interesse der Neuen Bourgeoisie an der Schaffung eines weiteren Unruheherdes, um den liberalen Privatkapitalismus und damit den Westen insgesamt zu destabilisieren. Offenbar sind diesem theorieavantgardistischen Aushängeschild der Leipziger Linken die Abfallprodukte seiner eigenen „Experimente“ zu Kopfe gestiegen. Von Marx, auf den sie sich formell so gerne beruft, hätte die „translib“ lernen können, „dass es einfach ein Betrug sei, das Volk aufzuwiegeln, ohne ihm irgendwelche festen, durchdachten Grundlagen für seine Tätigkeit zu geben“ und die „Erweckung phantastischer Hoffnungen […] niemals zur Rettung der Leidenden [führt], sondern muss zu ihrem Untergang führen. Zumal in Deutschland sich an die Arbeiter wenden ohne streng wissenschaftliche Ideen und konkrete Lehren, sei gleichbedeutend mit einem leeren, gewissenlosen Spiel mit der Propaganda, wobei einerseits ein begeisterter Apostel vorausgesetzt wird, andererseits nur Esel, die ihm mit aufgesperrten Maule zuhören. – In einem zivilisierten Lande wie Deutschland […] kann man ohne feste, konkrete Lehre nichts ausrichten und hat auch bis jetzt nichts ausgerichtet als Lärm, schädliche Ausbrüche und Zugrunderichten der Sache selbst, die man in die Hand genommen.“ (Pavel V. Annenkov [1880], in: „Gespräche mit Marx und Engels“, Bd.1, 1973, S. 61f.)

Entsprechend dem Paktieren der Neuen Bourgeoisie mit den staatskapitalistischen Despotien und der hierarchischen Arbeitsteilung zwischen ihren führenden und unteren Kadern verwundert es nicht, dass die „translib“ auch einen Text insurrektionalistischer Blogger aus China bewirbt, der von der Redaktion des pro-operaistischen Magazins „wildcat“ übersetzt wurde.[9] Darin wird die „China-Kritik“ angesichts des „Managements“ des Ausbruchs und der Verbreitung des Virus zurückgewiesen und die Herkunft des Virus unter Berufung auf das „China Internet Information Center“, ein staatliches Propagandainstrument der KPCh, verdunkelt. Die kritische Berichterstattung über China wird, mit dem propagandistischen Narrativ vom „Rassismus gegenüber China“, das die KPCh bereits zur Diskreditierung der Hongkonger Protestbewegung bemüht hat, des „Orientalismus“ und der „Kriegstreiberei“ geziehen. Wie der Insurrektionalismus stets alles, von Stromausfällen bis hin zu Depressionen, zu Sabotageakten gegen „das System“ umlügt, so behaupten auch die chinesischen Blogger, dass die Quarantäne in China im Grunde ein Streik sei – auch wenn die Massen das noch nicht wüssten. Die schlechte Ausgangslage (schlechtes Gesundheitssystem, schlechte Hygiene, schlechte Lebensmittel), von der aus China auf den Ausbruch des Virus reagiert hat, wird mit einer angeblich sehr niedrigen Stufenleiter der kapitalistischen Produktion begründet, vergleichbar mit England im 18. Jahrhundert. Die schlechte Gesundheitsversorgung in China liege an zu niedrigen Profiten und wird, wie es der bourgeoissozialistischen Agenda entspricht, mit dem Rückzug des Staates aus dem Gesundheitssystem in Verbindung gebracht. Die Einsperrung und Überwachung der Bevölkerung durch den Staat wird nicht etwa als Ausdruck des staatskapitalistischen Despotismus, sondern als Ausdruck der Schwäche der KPCh interpretiert und in einem antiimperialistischen Antizionismus mit der „militärisch-kolonialen Besetzung etwa von […] Palästina“ verglichen, wozu die Israelfreunde der „translib“ in ihrer insurrektionalistischen Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand kein Wort verlieren. Insgesamt wird an der Politik der KPCh nur die Methode der „Krisenlösung“ bemängelt, deren Mangel aus einer Schwäche der „Führung“ resultiere, nicht aber der Despotismus der Partei überhaupt. Die verschiedenen Ebenen des despotischen Staatsapparates seien schlecht koordiniert, da die oberste Zentralgewalt nicht oder zumindest nicht ausreichend mit den unteren Kadern in Verbindung stehe. Das erinnert an Maos scheindemokratische „Massenlinie“, die sich im Gegensatz zu subjektivistischen, bürokratischen Führungsmethoden angeblich am „Volk“ orientierte, aber nicht dessen Souveränität akzeptieren wollte: Die Führungsrolle verbleibt bei der Partei und die „Volksmassen“ dürfen sich nur innerhalb des von der Partei bestimmten politischen Rahmens äußeren. Die Bemängelung der „falschen“, weil „zu zentralisierten“ Führung durch die Insurrektionalisten zeigt, dass sie trotz ihrer scheinbaren „Basisnähe“ und „Volkstümlichkeit“ dem chinesischen Proletariat von vornherein jedwede Potenz zu revolutionärer Selbsttätigkeit absprechen und lediglich alternative Hinweise zur flexibleren Anleitung der Massen geben. Die disparaten Elemente der Gesellschaft sollen gewaltsam durch eine Verallgemeinerung des hierarchischen, aber angeblich „harmonischen“ Funktionärswesen zusammengefügt werden. Die Werbung für einen solchen Artikel durch die „translib“ zeigt, wohin die Reise des insurrektionalistischen Utopismus gehen soll: Ziel ist eine flexiblere, weniger zentralisierte Bürokratie aus staatssozialistischen Parteikadern, die sich „volkstümlicher“ geben, sozusagen „netter“ sind – was ja die Qualifikation der fröhlichen Studis für die unteren Schichten des Staatsapparates darstellt – als die der alten Bourgeoisie.

Abstraktion von den ökonomischen Existenzbedingungen

Die staatssozialistischen Trittbrettfahrer der Pandemie abstrahieren von den ökonomischen Existenzbedingungen der bürgerlichen Gesellschaft, also auch von der Bedingtheit der bürgerlichen Politik durch die Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise. Die Bourgeoissozialisten, welche mit apodiktischer Gewissheit ihre Rezepte für rigorose Notstandsmaßnahmen ausgeben, gaukeln der Arbeiterklasse zwar vor, dass sie mit Sicherheit wüssten, es handle sich dabei um die einzig angemessenen Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus. Die mittel- und langfristigen Folgen, die ein „Shut-down“ in nur einem Land, auch für die Arbeiterklasse darin, hätte und die sich wie bereits angemerkt schon in Italien deutlich abzeichnen, thematisieren sie aber nicht. Keine Rede ist bei ihnen davon, dass das nationale Kapital eines Landes in der Weltmarktkonkurrenz durch eine „radikale“ politische Entscheidung, die zu harten Einschnitten führt, an Boden verlieren kann. Solche ökonomischen Notwendigkeit der inneren Natur des Kapitals, welche die Konkurrenz den einzelnen Kapitalen und den nationalen Gesamtkapitalen auf dem Weltmarkt als äußere Gesetze aufzwingt, interessieren die Apologeten des Bourgeoissozialismus in ihrer Illusion vom „Primat der Politik“ nicht. Dies zeigt sich insbesondere an ihrer Kritik des Gesundheitssystems in den westlichen Industrieländern, das durch „Privatisierungen“ im Zuge des von den Staatssozialisten verfemten „Neoliberalismus“ „kaputtgespart“ worden sein soll.[10] Die Anhänger des Bourgeoissozialismus sind blind gegenüber der Tatsache, dass das kapitalistische Gesundheitsbudget begrenzt ist und in außergewöhnlichen Notfällen wie dem bislang unbekannten Coronavirus an seine Grenze stoßen muss – unabhängig davon, wie genau sich das Verhältnis der verstaatlichten zu den privaten Institutionen des Gesundheitswesens bestimmt und welchen Anteil seiner Finanzmitteln der Staat, dessen finanzieller Handlungsspielraum durch die von ihm besteuerten primären Revenuen bedingt ist, diesem Sektor zukommen lässt.

Selbst dort, wo der Bourgeoissozialismus nicht von den ökonomischen Existenzbedingungen abstrahiert, verbleibt er im traditionellen Rahmen des Marxismus-Leninismus als „feindlichem Bruder“ des wissenschaftlichen Kommunismus, wie er originär von der „Partei Marx“ entwickelt wurde. Das zeigt sich etwa an dem Kathedersozialisten Rob Wallace, mit dem anlässlich der Coronapandemie ein Interview auf der Plattform des, bezeichnenderweise, trotzkistischen Netzwerks „Marx21“ veröffentlicht wurde. Dieses Interview, das in weiten Teilen demagogisch-konterrevolutionär ist, wurde von zahlreichen linksradikalen Politsekten wie u.a. der bereits genannten „translib“ verbreitet.[11] Darin hebt Wallace den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Agrikultur, monokulturellen Anbaumethoden und Resistenzen hervor. Die in seinem Buch „Big Farms Make Big Flu“ vertretene Hauptthese besteht darin, dass die kapitalistische Landwirtschaft die Entwicklung hoch ansteckender Krankheitskeime begünstige, da die fließenden Übergänge von Slums und Agrikultur in ärmeren Ländern, die Aufzucht von Monokulturen, die die Übertragung beschleunige, und die kürzeren Lebenszyklen, die durch das frühe Schlachten der Tiere bedingt sei, tendenziell hoch angepasste Viren entstehen lassen, von denen sich anschließend die besonders erfolgreichen durch „weltweite Warenkreisläufe“ und Bewegung der Arbeitskraft schnell verteilen. Das zunehmende Auftreten von Viren stehe im Zusammenhang mit der „Profitabilität der multinationalen Unternehmen“, wie Wallace globalisierungskritisch raunt. In seinem regressiven Antikapitalismus beklagt er ausgerechnet die „zivilisatorische Mission des Kapitals“ (Marx), die letzten vorkapitalistisch, agrarisch geprägten Flecken der Erde zu erobern, wodurch zuvor eingeschlossene Krankheitserreger freigesetzt und durch die die globalisierten Warenströme weltweit verbreitet werden. Die kapitalistische Landwirtschaft trete an die Stelle der scheinbar unberührten, an sich harmonischen „natürlichen Ökologie“, wobei Wallace vom staatssozialistischen Standpunkt aus das „neoliberale Projekt“ kritisiert, in dem „Unternehmen aus den entwickelteren Industrieländern […] Land und Ressourcen schwächerer Länder […] stehlen“ würden. Wie andere bourgeoissozialistische Propagandisten, die vor dem Coronavirus Alarm schlagen, personalisiert auch er die Ursachen der Pandemie, nur sind bei ihm nicht nur die bürgerlichen Politiker als „Lakaien“ des Kapitals reine Egoisten, die aus bösem Willen über Leichen gehen, sondern die kapitalistische Agrarindustrie selbst besteht ihm zufolge offenbar nur aus „grauen Herren“, die sich aufgrund ihrer Gier und Gewinnsucht bewusst „für das Virus“ und „gegen das Leben“ entschieden haben: „Die Agrarindustrie ist so auf Gewinn ausgerichtet, dass die Entscheidung (!) für ein Virus, das eine Milliarde Menschen töten könnte, das Risiko wert zu sein scheint.“

Schließlich verdunkelt auch Wallace die Herkunft des Virus, indem er zwar eingesteht, dass die erste Infektionskette zum „Hunan-Großmarkt für Meeresfrüchte in Wuhan“ führe, aber er relativiert diese Tatsache zugleich, da die „Fokussierung (!) auf den Markt […] die Ursprünge bei der Wildlandwirtschaft im Hinterland und ihre zunehmende Kommerzialisierung“ außer Acht lasse. Selbst die Vertuschung des Ausbruchs und das Versagen der KPCh relativiert er mit einem Verweis auf den Westen, nämlich die USA und Europa, weshalb diese Vertuschung „kein chinesischer Sonderfall“ sei.  Symptomatische Abhilfe würde laut Wallace für die USA „eine Notverordnung“ zur Finanzierung der Tests und für die Behandlungen schaffen, wobei Trump ersteres in seiner letzten Ansprache an die Nation längst in Aussicht gestellt hat. Grundlegend besteht die Lösung für ihn in einer Verstaatlichung des Gesundheitswesens. Wallace kritisiert zwar vordergründig, dass die „Coronakrise“ einen Anlass dafür biete, „um die neuesten autokratischen Kontrollmöglichkeiten zu testen“, was „ein Kennzeichen des aus den Fugen geratenen Katastrophenkapitalismus“ sei und setzt stattdessen zur Bekämpfung des Virus auf menschliche Werte wie „Vertrauen und Mitgefühl“, „ein Gefühl der Solidarität und des gegenseitigen Respekts, um solche Bedrohungen gemeinsam zu überstehen.“ Doch auch er plädiert vollkommen utopisch für „Arbeitsbefreiung und Arbeitslosenversicherung“ in der Selbstquarantäne und, ganz der staatssozialistischen Agenda der Neuen Bourgeoisie entsprechend, für die Verstaatlichung der „Nahrungsmittelsysteme“. Dass es ihm wie dem Bourgeoissozialismus überhaupt dabei nicht um die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer entfremdeten Reichtumsformen geht, macht er ausdrücklich deutlich, indem er die Verbindung „eine[r] gerechte[n] Produktion mit einem gerechten Warenkreislauf“  fordert. Dafür soll, entsprechend seines kruden Antikapitalismus, der hinter die historischen Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft zurückfällt, nicht etwa die kapitalistische Form der Agrarindustrie, sondern regressiv diese selbst „als Form der sozialen Reproduktion […] für immer abgeschafft“ und die „Nahrungsmittelproduktion zunächst wieder in die Bedürfnisse der ländlichen Gemeinden integriert werden.“ Wallace zielt also auf eine Art agrarisch-kleinbäuerlichen Staatskapitalismus ab, in dem die „hoch industrialisierte Produktion von Nahrungsmitteln“ durch die „agroökologische Praktiken“ einer verstaatlichten, aber deindustrialisierten Landwirtschaft ersetzt werden.

Psychische Funktionen des Alarmismus

Neben dem Propagieren der Verstaatlichung als im wahrsten Sinn des Wortes angebliches Allheilmittel beschränken sich die Apologeten eines modernen Bourgeoissozialismus  darauf, in ihrer positivistischen Sammlerwut akribisch „Daten“ und andere „Informationen“ zusammenzutragen, die weder gründlich geprüft noch umfassend bewertet werden, sondern „für sich“ sprechen sollen. Jeder Anstieg der Infiziertenfälle wird nahezu bejubelt, jeder weitere Todesfall zynischerweise als Bestätigung des eigenen Alarmismus begrüßt. Jede Revision von statistischen Daten, wissenschaftlichen Einschätzungen und Prognosen, wie sie in einem freien Wissenschaftsbetrieb gängig sind und von einer freien Presse stets mit unterschiedlicher Interpretation kommentiert werden, wird in einer an verschwörungstheoretische Weltbilder gemahnenden Rezeption öffentlicher Meldungen zum Beweis genommen, dass „da“ etwas nicht stimme, die tatsächliche Lage „viel schlimmer“ sei als von den lügenden Medien, lakaienhaften Wissenschaftsexperten und inkompetenten oder böswilligen Politikern zur Beschwichtigung „immer“ behauptet wurde und sich etwas „unfassbar Großes“ anbahne. Letzteres bewahrheitet sich tatsächlich und wird als Triumph des antiintellektuellen „common sense“ gefeiert, obwohl von vornherein klar war, dass es sich bei der Verbreitung des Coronavirus um eine Epidemie handelt, die sich zur Pandemie entwickeln würde.

Diese alarmistische Propaganda ist deshalb so wirksam und wird von vielen, insbesondere sich „kritisch“ dünkenden Linken geteilt, weil sie letztlich allgemein in den modernen, neuen Formen der Entfremdung in der bürgerlichen Gesellschaft wurzelt. Die zunehmende Potenzierung dieser Entfremdungsformen konfrontiert das einzelne Individuum immer schlagender damit, dass es von den Möglichkeiten zur freien Entfaltung seiner eigenen Persönlichkeit und freien Gestaltung seines Lebens überall abgeschnitten ist, weil es in der letzten Konsequenz nicht über die Produktions- und Lebensmittel verfügt, die von der Klasse der Kapitalisten privat monopolisiert worden sind. Ihre Ohnmacht, mit welcher die Menschen nun angesichts der Ausbreitung des Coronavirus so deutlich konfrontiert werden, versuchen sie zu kompensieren und sich damit psychische Entlastung zu verschaffen, indem sie in einer irrationalen Ersatzhandlung, die eine infantile Regression darstellt, Waren zum individuellen Konsum durch sogenannte „Hamsterkäufe“ horten. Die Kehrseite dieses individuellen Kompensationsversuchs ist der, ebenfalls vor infantiler Regression strotzende, alarmistisch vorgetragene Appell an den Staat: Da man selbst ohnmächtig ist, soll nun der Vater die Kontrolle übernehmen, hart durchgreifen und zugleich die eigenen – letztlich analen – Triebimpulse unterdrücken. So ist in diesem etatistischen Appell stets die Forderung nach nahezu totalen Hygienmaßnahmen enthalten, wobei dieser Wunsch nach der Etablierung übertriebener Reinlichkeit von Staats wegen selbst nur eine Reaktionsbildung ist, um tatsächlich die eigene Schmutzlust zu befriedigen. Die Forderung nach solchen Hygienemaßnahmen ist daher nicht zuletzt insbesondere bei den analen Charakteren innerhalb der deutschen Zustände präsent.[12] Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass ein Großteil solcher „Hamsterkäufe“ aus Hygieneartikeln und insbesondere Klopapier besteht, worüber sich vielerorts ohne tiefergehendes Verständnis für die psychischen Triebkräfte dieses Phänomens lustig gemacht wird.

Deutlich wird an dem vorherrschenden Alarmismus auch die unbewusste masochistische Lust eines Großteils der Bevölkerung, die Integrität des eigenen Selbst zu verlieren, indem sich dieses in eine äußere Macht auflöst, von der es verschlungen wird. Diese Lust wird als Panik, als übertriebener Schutz vor der äußeren Macht selbst abgewehrt. Der latente Antisemitismus, der in dieser masochistischen Lust zur Ichauflösung enthalten ist, zeigt sich in bestimmten verschwörungstheoretischen Erklärungen für die Ursache des Virus, der z.B. von der Pharmaindustrie erzeugt worden sein soll, um Medikamente verkaufen zu können. Damit geht einher, dass die Atemnot, ja letztlich die Angst vor dem Ersticken ein typisches Symptom der „Konversionshysterie“ (Freud) ist, in der sich die frei flottierende Angst ausdrückt. Diese Erstickungsangst spielt auch im antisemitischen Wahn eine zentrale Rolle, in dem als pathische Projekt die Juden „die Luft verpesten“, um die Deutschen zu ersticken. Hinter dieser Projektion verbirgt sich der etwa in Stürmer-Karikaturen dargestellte Tötungswunsch, die als „Ratten“ imaginierten Juden durch „Rattengift“ zu Ersticken – was schließlich in den Vernichtungslagern durch die Vergasung der Juden mit Zyklon B verwirklicht wurde. Daraus erklärt sich unter anderem, warum die Coronapandemie einen geeigneten Nährboden für antisemitischen Verschwörungstheorien liefert, die nicht zuletzt vom Iran als einer der Haupttriebkräfte der derzeitigen weltweiten Faschisierung bewusst forciert werden, um von dem eigenen Versagen im Umgang mit dem Virus abzulenken.[13]

Wider das Leben des Todes

Die Anhänger der Neuen Bourgeoisie kritisieren stets, als Kehrseite zum Vorwurf der Inkompetenz gegenüber bürgerlichen Politikern, den angeblich ineffektiven Föderalismus Deutschlands, da dieser einer schnellen und einheitlichen Bekämpfung des „Coronavirus“ im Wege stehe. Tatsächlich aber geht es ihnen um eine zentralistische Umsetzung staatlicher Notstandsmaßnahmen, wie der Zentralismus überhaupt ein wichtiges Merkmal des staatskapitalistischen Despotismus ist. In Wirklichkeit aber potenziert eine zentralisierte Staatsmaschinerie die Entfremdung der Individuen von ihren eigenen Existenzbedingungen und treibt die Trennung der Gesellschaft vom Staat, als entfremdeter Form der Gesellschaft, auf die Spitze.  Föderalistische, dezentrale Strukturen mit einer Zentralregierung, wie in Deutschland, eignen sich daher prinzipiell besser für den politischen Umgang mit außergewöhnlichen Notfällen, da sie besser und mehr Einfluss auf das Alltagsleben der Menschen nehmen können. Zugleich ist die Resilienz einer Gesellschaft gegen einen solchen Notfall allgemein höher, je wenig obrigkeitshörig die Mitglieder der Gesellschaft sind, wobei die Obrigkeitshörigkeit der Menschen in despotischen Regimen mit staatskapitalistischer Produktionsweise wie China notwendigerweise außerordentlich hoch ist.

Der allseits betriebene alarmistische Umgang mit der Coronapandemie beruht letztlich auf einer Leugnung der Kausalitäten des gesellschaftlichen und natürliche Seins. Die Kritik an einer mangelnden staatlichen Vorbereitung auf diese Pandemie entspringt einem säkularisierten religiösen Bedürfnis nach totaler Kontrolle über die menschliche und außermenschliche Natur. Doch selbst nach einer Aufhebung des kapitalistischen Privateigentums an den Produktions- und Lebensmitteln zugunsten des gesellschaftlichen Gemeineigentums können destruktive Kausalitäten auftreten, mit denen die „frei assoziierten Individuen“ (Marx) umgehen werden müssen. Ein Null-Risiko kann seinsmäßig in keiner Gesellschaft bestehen und auch in einer kommunistischen Gesellschaft wird es keine Garantie gegen mögliche Pandemien geben. Im Unterschied zur kapitalistischen Produktionsweise können die unmittelbaren Produzenten in einer solchen Gesellschaft allerdings selbst entscheiden, wie groß der Assekuranzfond der Gesellschaft für solche Notfälle ist, wobei es selbst dann noch zu Problemen kommen könnte, sollte dieser zu knapp bemessen werden. In jedem Fall aber werden die Gesellschaftsmitglieder, im Unterschied zur ihrer despotischen Kontrolle im Staatssozialismus, selbst gemeinschaftlich nach bestem Wissen und Gewissen darüber bestimmen können, welche von ihnen als vernünftig erachteten Maßnahmen zur Eindämmung und Bekämpfung einer solchen Pandemie ergriffen werden, weil die Gesellschaft selbst über das Gemeineigentum an den dafür notwendigen Mitteln verfügen wird. Damit wird auch die ökonomische Grundlage für die modernen Entfremdungen aufgehoben worden sein, welche die Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft in Panik versetzten und zum Alarmismus treiben. In rationaler wie humaner Einsicht in die Notwendigkeit, dass ihr Tod lediglich den Sieg ihrer eigenen, menschlichen Gattung über sie selbst als einzelnes Individuum darstellt, werden die Menschen die objektiven Möglichkeiten dafür besitzen, um ein Leben führen zu können, das kein Übel darstellt. Mag es zwar auch dann noch sterben, so wird der Tod dennoch nicht leben.


[1] https://www.hr-inforadio.de/programm/das-thema/corona-und-der-foederalismus-warum-notstandsgesetze-jetzt-helfen-koennten,corona-notstandsgesetze-100.html; https://www.tagesschau.de/inland/notstandsgesetze-deutschland-101~amp.html.

[2] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_87515164/coronavirus-altmaier-will-notfalls-wichtige-firmen-verstaatlichen-.html.

[3] Vgl. zu China das „heute journal“ vom 06.03.2020 [online unter: https://www.youtube.com/watch?v=otiyiVo9TqU&feature=youtu.be] und zu Russland https://www.reuters.com/article/us-china-health-moscow-technology-idUSKBN20F1RZ.

[4] https://www.independent.co.uk/news/world/americas/coronavirus-stock-market-close-2008-financial-crash-dow-jones-shares-latest-a9389111.html.

[5] https://www.nzz.ch/wirtschaft/coronvirus-in-italien-bricht-die-oekonomische-basis-weg-ld.1546085.

[6] https://www.independent.co.uk/voices/coronavirus-deaths-trump-stock-market-pandemic-economy-bankrupt-italy-a9394891.html.

[7] https://www.nbcnews.com/news/world/coronavirus-chinese-official-suggests-u-s-army-blame-outbreak-n1157826.

[8] https://www.facebook.com/translib.leipzig/photos/a.1435202703402287/2534368003485746/?type=3.

[9] https://www.wildcat-www.de/aktuell/a112_socialcontagion.html?fbclid=IwAR0z2aTWDWVh4tK2RsHr63W9S2cBMQskAw4tQhCEPuAtfikKnc1cyZW8b0I#fnref2.

[10] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/der-kern-der-deutschen-krankenhausmisere.

[11] https://www.facebook.com/translib.leipzig/posts/2534680026787877.

[12] So stellt etwa der pro-chinesische Propagandist Christian Y. Schmidt einen ganzen Forderungskatalog mit solchen Hygienemaßnahmen auf, vgl. https://www.facebook.com/1134706567/posts/10219904334695477/.

[13] https://www.jpost.com/Middle-East/Iran-News/Irans-regime-pushes-antisemitic-conspiracies-about-coronavirus-620212?fbclid=IwAR1v6S7trHx71BRKR0MsKqmgBVAZGCPinXm9u4UAO7qotJBT6W08qrHxRBI.

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